Ich verspüre Scham und Schuld
Gerade erschien Robbie Williams‘ neues, nunmehr achtes Studio-Album „Rudebox“ (Capitol/EMI), und diesmal hat der größte britische und wohl auch europäische Popstar seine Erfolgsformel ein wenig überarbeitet: Statt wie auf der letzten, vor einem Jahr erschienenen Platte „Intensive Care“ mit einem Songwriting-Partner ein dezent freches, aber solides Pop-Album zu fertigen, versucht er sich diesmal an einer Reihe von Cover-Versionen (von Human League über My Robot Friend bis Manu Chao), gepaart mit kühnen Vorstößen in die Welten des HipHop und Elektro-Pop. Dabei kommen ihm prominente Produzenten wie William Orbit, Mark Ronson, ja sogar die Pet Shop Boys zu Hilfe. In Songs wie „80s“ und „90s“ versucht sich Robbie Williams überdies, nicht unmutig, als Rapper. Wir trafen ihn zum Interview:

Jetzt bringen Sie schon wieder ein neues Album auf den Markt. Warum denn eigentlich? Und warum so schnell?

Aus Irrtum. Nachdem wir das letzte Album „Intensive Care“ aufgenommen hatten, wollte ich einmal ein bisschen Spaß mit Beats haben. Ich bin weiß, 32, und komme aus Stoke-on-Trent im Norden Englands. Ich bin kein geborener Rapper. Andererseits sagen die Leute auch immer, ich sei kein Sänger – und ich habe mit meinem Gesang 50 Millionen Platten verkauft. Also dachte ich mir, werde ich jetzt einmal genauso nicht rappen, wie ich nicht singe, und mal sehen, wieviel ich von dem Ergebnis verkaufen kann. Was aber am wichtigsten ist: Ich kann jetzt beim Musizieren einen Trainingsanzug aus angenehmem Flanell anziehen. Ich wollte es schon immer so bequem haben wie diese Rapper.

Ihr Song „Good Doctor“ hört sich an wie eine in Medikamentennamen gefaßte Auseinandersetzung mit Ihrem Suchtproblem.

1aarobbie-williams.jpgManchmal will ich mich lange Zeit überhaupt nicht berauschen. Und dann sage ich wieder: „Ich will mich niederdröhnen!“ Es ist ein ewiger Kampf. Ich gewinne Schlachten, aber niemals den Krieg. Ich versuche, meine nüchternen Phasen so weit wie möglich zu dehnen, aber unglücklicherweise bin ich mit diesem Gen geboren. Wenn ich einen Keks esse, esse ich gleich alle Kekse. Wenn ich eine Line Koks ziehe, schniefe ich gleich alles auf. Leute mit einer guten Konstitution werden das jetzt lesen und wahrscheinlich nicht verstehen, warum das für mich anders sein sollte als für sie. Aber es ist so.

Meine Beziehungen leiden darunter, ich leide darunter, weil ich Scham und Schuld verspüre. Ich weiß einfach, daß ich ein besserer Mensch, glücklicher und gesünder bin, wenn ich mich nicht dieser anderen Welt der rücksichtslosen Selbstvergessenheit ausliefere. Aber ich bin immer noch am Suchen. Ich will die Droge finden, wo man Gott und den Außerirdischen begegnet, ich glaube, sie heißt Peyote. Bis ich endlich gelernt habe, wer oder was ich wirklich bin, werde ich einfach diesen Kampf dokumentieren und es für die Voyeure da draußen so unterhaltsam wie möglich gestalten.

In einigen auf „Rudebox“, die von Danny Spencer und Kelvin Andrews alias Soul Mekanik produziert wurden, kommen Sie konkret auf die Schauplätze Ihrer Jugend zu sprechen. War es hilfreich, daß die beiden aus derselben Stadt kommen wie Sie?

Ja, da gibt es schon ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen uns. Wir sind ja buchstäblich in derselben Straße aufgewachsen. Stoke-on-Trent ist kein sehr moderner oder berühmter Ort. Als Kind war ich immer sehr aufgeregt, wenn im Fernsehen der Werbespot für einen bestimmten Teppichgroßmarkt gespielt wurde. Jedes Mal, wenn der Sprecher sagte „Wir haben Filialen in Ashton, Sudbury und Stoke-on-Trent“, rief ich: „Mama, wir sind im Fernsehen!“Sonst kamen wir nie vor. Wir waren im Niemandsland zwischen Birmingham und Manchester. Es hat was von höherer Gerechtigkeit an sich, daß Soul Mekanik und ich mit unserer Musik Erfolg haben, obwohl wir aus diesem Ort kommen, den keiner kennt und der niemand kümmert.

In den beiden autobiografischen Songs „80s“ und „90s“ rappen Sie auf jene spezifische englische Art, die in jüngster Zeit von Mike Skinner alias The Streets oder den Mitchell Brothers kultiviert wurde. Gibt Ihnen dieses Format mehr sprachliche Freiheit?

Sicher. In Gesangstexten muß man kryptischer sein. Wenn man spricht, hat man einfach mehr Silben pro Vers zur Verfügung. Statt nur zu singen „du hast mein Herz gebrochen und du bist gemein“ kann man erzählen, was im Einzelnen passiert ist, und wie diese gemeine Person einem das Herz gebrochen hat. Als ich bei Take That war, schrieb ich immer Raps und schickte sie einem britischen HipHop-Magazin zu. Aber ich hab mich dabei nie getraut, meinen Namen preiszugeben. Es war mir peinlich, ein weißer Junge aus Stoke-on-Trent zu sein. Insofern kehre ich mit „Rudebox“ jezt zu meinen Wurzeln zurück.

Das heißt, Sie hätten der erste Mike Skinner sein können.

Wohl kaum. Ich war schließlich bei Take That. Da hätten sie mir das nicht erlaubt. Wenn du aus einer Boyband kommst, kannst du nicht beschließen, von heute auf morgen Radiohead zu sein. Aber das ist ohnehin nicht in mir drin. Diese Platte ist, was in mir drin ist. Das ist, was aus mir rauskommt.

„Rudebox“ ist also nicht bloß ein Seitensprung, so wie Ihr Swing-Album vor ein paar Jahren?

Das weiß ich noch nicht. So sehr der Song „Rudebox“ überall schlecht gemacht wurde, so ungewohnt freundlich reden die Leute über den Rest des Albums. Gestern erst schoss es mir plötzlich in den Kopf: Verflucht, vielleicht kriege ich sogar eine gute Kritik dafür!

Ist Ihnen das so wichtig?

Von den Medien, auf die es angeblich ankommt, bekomme ich nie gute Kritiken, trotzdem habe ich beständig sechs bis sieben Millionen Stück von jedem meiner Alben verkauft. Ich habe mich schon gefragt, was mir mehr wert ist, und ehrlich gesagt sind es die Plattenverkäufe. Aber es ist angenehm, daß die Leute nette Sachen darüber sagen. Wir werden sehen, was passiert. Ich würde jedenfalls nicht wieder so etwas wie „Trippin“ oder „Angels“ oder „Old Before I Die“ schreiben wollen, das steht fest.

Und was wird aus Ihrem Songwriter-Partner Stephen Duffy, mit dem Sie „Intensive Care“ aufgenommen haben?

Ich habe einen Plan. Nächstes Jahr wird es zwei Platten geben. Eine mit ihm und eine ohne ihn. Wir sind schon am Arbeiten.

Kommen Sie sich nach all den Stadion-Konzerten, all den großen Auftritten bei der Arbeit im Studio nicht ein wenig einsam vor?

Keineswegs. Ich habe mein Studio in meinem Schlafzimmer in Los Angeles eingerichtet. Es ist großartig. Ich hasse Studios leidenschaftlich. Sobald ich eines betrete, will ich weglaufen. Das ist wie eine Schule für große Jungs oder wie die Kirche. Wenn ich dagegen ein Studio im Schlafzimmer habe, kann ich kommen und gehen, wann ich will.
Um ehrlich zu sein, ich kann mir gut eine Zukunft vorstellen, in der ich nie wieder auf Tournee fahre. Das macht mir überhaupt keinen Spaß. Ich fahre gern drei Wochen lang von Land zu Land und trete in all diesen Fernsehshows auf, wo sie mich groß ansagen: „Und hier ist er! Robbie Williams!“ Und ich winke allen zu: „Ja, das bin ich! Bin ich nicht wunderbar?“ Dann kann ich zehn Minuten lang im Fernsehen sein, alle mögen mich und ich gehe wieder. Aber jetzt bin ich ein ganzes Jahr auf Tour gewesen, und ich mußte zwei Stunden pro Nacht spielen, immer wieder und wieder. Ich habe das den Leuten versprochen, die eine Karte gekauft haben. Ich bin nicht dort, um unterhalten zu werden. Sie schon. Und mir gefällt diese Vereinbarung gar nicht, um ehrlich zu sein.

Dann sind Sie auf der Bühne aber ein guter Schauspieler.

Mein Talent ist, es simpel aussehen zu lassen. Wenn Sie meinen Dialog mit mir selbst in meinem eigenen Kopf hören könnten, das ist eine Show für sich. Oft sag ich zu mir selbst: „Zum Teufel, wofür hältst du dich eigentlich? Schau dich an, wie du versuchst, auf sexy zu machen. Und wie du furzt, während du tanzt. Du gibst dich aufreizend und furzt dabei, du Trottel. Und schau dir die da an, putzt die ihre Zähne mit Schießpulver? Und die Titten von der da! Tu sie wieder rein! Du kannst ja nicht einmal singen, und die Textzeile, die jetzt kommt, ist entsetzlich. Aber jetzt gerade hast du sogar was ziemlich Witziges gesagt. Das war gut, sehr brav.“ Ich weiß nicht, wie das auf dem Kontinent ist, aber in Großbritannien bringen sie einem als Kind nicht bei, an seinen Erfolg zu glauben und ein Gewinner zu sein. Wir werden so erzogen, daß wir wissen, wo wir hingehören, das Maul halten und in der Discount-Apotheke die Kunden bedienen. Und dann stehst du auf der Bühne und musst so tun, als wärst du der Größte, während du dich selbst für ein fettes Aas hältst. Das Touren wird mir wirklich immer ein Rätsel bleiben.

Mit Robbie Williams sprach Nils Routifer.

„Ich bin mit diesem Gen geboren: Wenn ich einen Keks esse, esse ich gleich alle Kekse.“
„Bei uns bringen sie einem als Kind nicht bei, an seinen Erfolg zu glauben und ein Gewinner zu sein.“

Okt. 2006 | Allgemein, Junge Rundschau | Kommentieren