Wer meint, dass Bibliotheken helle und sympathische Orte sind, wo in gemütlichen Lesesälen in gedämpftem Licht edel eingebundene Bände in schönen Regalen stehen, der wird sich wundern. In Bibliotheken lauern Tod und Verfall! Eric W. Steinhauer zeigt in »Büchergrüfte. Warum Büchersammeln morbide ist und Lesen gefährlich« die Nachtseite der Büchersammlungen. Sein spannendes und amüsantes Sachbuch erscheint am 13. August im Lambert Schneider Verlag. Nähere Informationen finden Sie hier:
In „Büchergrüfte“ geht es um das Hintergründige, das Abseitige der Bibliotheken. Um Bibliotheksbestattungen, Leseseuchen und Krankheiten, die durch Bücher übertragen werden. Der Bibliothekar und Rechtsgelehrte Steinhauer weiß über Leichen im Lesesaal, tödliches Papier und pathogene Bücher zu berichten. Nicht ohne Grund sprechen Bibliothekare von „totem Bestand“, wenn es um seltene oder gar nicht mehr benutzte Bücher geht.
Tote im Lesesaal
Tote in der Bibliothek gibt es nicht nur bei Agatha Christie. Bereits aus der Antike sind Fälle von Bibliotheksbestattungen bekannt. So wurde Tiberius Iulius Celsus Polemaeanus um 120 nach Christus in einer von seinem Sohn Gaius erbauten Bibliothek in Ephesus beigesetzt. Sein Sarkophag existiert immer noch. Der italienische Humanist Celio Calcagnini (1479–1541) wollte sich scheinbar nicht einmal im Tod von seinen Büchern trennen. Er vermachte die wertvolle Sammlung von über 1200 Bänden der Bibliothek des Ferraneser Dominikanerklosters und ließ sich dort über der Eingangstür in einem Marmorsarkophag bestatten. In Bibliotheken wurde aber nicht nur bestattet. Einige sterbliche Überreste wurden auch inventarisiert: So liegt im wunderbaren Bibliothekssaal der Stiftsbibliothek von St. Gallen die Mumie der ägyptischen Priestertochter Schepenese (7. Jh. v. Chr.) in einer Vitrine. Sie befand sich seit 1820 als Leihgabe in der Bibliothek, ist aber seit 1836 als ordentlich katalogisierter Bestand geführt, und damit bei weitem nicht die einzige Bibliotheksmumie. In vielen Bibliotheken finden sich Skelette, Schädel oder Leichenteile. So lag der mumifizierte Finger Galileo Galileis bis 1841 in einem Schauglas der Bibliotheca Laurenziana in Florenz. Das Herz des Aufklärungsphilosophen Voltaire wird bis heute in einer kleinen Kapsel im Sockel seiner Statue in der Französischen Nationalbibliothek verwahrt. Noch morbider sind nur die Folianten, die statt in Leder gleich in Menschenhaut eingebunden wurden…
Lesen ist ansteckend
Spätestens seit „Der Name der Rose“ weiß man, dass Lesen tödlich sein kann. In der Geschichte der Bibliotheken hat man die Übertragung von Krankheiten von einem Benutzer auf den anderen sehr ernst genommen. So wurden Bücher teilweise desinfiziert – ein sogenannter Seuchenparagraf ist bis heute Bestandteil vieler Bibliotheksordnungen. Abgesehen von den Erregern, die man in den Büchern vermutete, galt auch das Viellesen selbst als Leseseuche, das schwächliche Kinder und unfähige Hausfrauen hervorbringt, die jede freie Minute lieber mit Lesen als mit sinnvollen Beschäftigungen verbringen wollen.
Wozu eigentlich noch Bibliotheken?
Als Bibliotheksdirektor beobachtet Eric W. Steinhauer sehr genau die aktuelle Entwicklung. Zwar sind die Bibliotheken an Universitäten und in Großstädten noch zentrale Orte zur Wissensvermittlung. Doch wird auch in den eindrucksvollsten Lesesälen immer öfter nur am Laptop oder Tablet recherchiert und gearbeitet, während die großen Bestände an prachtvollen Büchern prunkvoll im Regal stehen bleiben und Staub ansetzen. Wenn man sich die Frage stellt, warum es im digitalen Zeitalter noch Bedarf an Bibliotheken gibt, was ihren Reiz ausmacht, und warum sie Anziehungspunkte bleiben, gibt Steinhauer eine überraschende Antwort. Gerade die Morbidität der Bücher ist es, die ihr Überleben sichert. In alten Lesesälen steht manchmal das lateinische Sprichwort an der Wand, dass die Toten die Lebenden lehren. So erinnern auch alte Bücher an die eigene Vergänglichkeit, und werden gerade deshalb so dringend gebraucht.
Über das Buch:
Eric W. Steinhauer zeigt die Nachtseite der Bibliothek. Er berichtet von Leichen im Lesesaal, entdeckt Mumien in alten Magazinen und berührt Einbände aus Menschenhaut. Todbringende Erreger nisten in staubigen Folianten. Die Lektüre gewisser Bücher lockt gar Vampire und Monster herbei. Der morbide Charme der Bibliothek wirkt garantiert ansteckend.
Eric W. Steinhauer
Büchergrüfte. Warum Büchersammeln morbide ist und Lesen gefährlich
2014. 144 S. mit 5 s/w-Abbildungen, Fadenheftung, gebunden mit Lesebändchen
EUR 16,95 [D]; ISBN 978-3-650-40021-5
Erscheint am 13. August 2014
Über den Autor:
Dr. jur. Eric W. Steinhauer studierte Rechtswissenschaft, katholische Theologie, Politik- und Erziehungswissenschaft in Münster und Hagen. Er ist Bibliotheksdirektor an der Fern-Universität in Hagen und Honorarprofessor am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.