Warum verteidigen Stadtobere nach ausländerfeindlichen Prügeleien ihre Kommunen oft bis aufs Äußerste, obwohl die Situation eindeutig ist? Die Prügel-Hatz auf acht Inder im sächsischen Mügeln wirft Fragen auf.
Ein rechter Jugendclub im ostsächsischen Zittau, ausgewiesene No-go-Areas für Dunkelhäutige in Ostdeutschland oder Jagd auf Inder in Mügeln – die kommunalen Funktionäre beurteilen die Situation stets milder als Verantwortungsträger, die die Dinge mit Abstand sehen. Auch Gotthard Deuse, Bürgermeister des westsächsischen Mügeln, hatte eine Verantwortung seiner 5000-Einwohner-Gemeinde für eine brutal geendete Hetzjagd auf acht Inder am Samstagabend von sich gewiesen.
Besonders trifft ihn der Vorwurf, am Rande hätten Bewohner ausländerfeindlich gepöbelt. «Es kann ja durchaus sein, daß da im Nachhinein noch Leute nach Mügeln gekommen sind, was man ja nie verhindern kann, die solche Parolen gerufen haben», sagte der FDP-Politiker im Nachrichtensender N24. Schon am Wochenende war er zu dem Urteil gelangt, «wenn es rechtsextreme Geschehnisse waren, dann kamen die Täter nicht aus Mügeln».
Deuse versucht offenbar zu retten, was an dem Ruf seiner Gemeinde zu retten ist: Wenn schon ausländerfeindlich, dann wenigstens nicht rechtsextrem. «Die wollen, daß kein Makel auf ihre Stadt fällt», sagt die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Antje Hermenau, auf Netzeitung.de. «Da fehlt häufig das nötige Feingefühl», sagt Tobias Melzer vom antirassistischen Netzwerk im benachbarten Döbeln. «Vielleicht hat der Mügelner Bürgermeister auch Angst, Investoren zu vergraulen, auf die er schon seit 17 Jahren wartet.»
Dabei fallen vor allem sächsische Gemeinden seit Jahren durch ausländerfeindliche und rechtsextremistische Umtriebe auf. Immer wieder findet die NPD Veranstaltungsorte für ihre propagandaschwangeren Jahresfeste, wie etwa 2004 in Mücka, wo Sachsens NPD-Landeschef Holger Apfel vor seiner Gefolgschaft gegen das Berliner Holocaust-Mahnmal hetzte.
In Zittau verneinte die Stadtverwaltung über Jahre, daß sie ein kommunales Haus per Stadtratsbeschluss nicht Orientierung suchenden Jugendlichen, sondern eben Wehrmachtsverehrern und Ausländerhassern zur Verfügung gestellt hatte. 2006 überfielen im wenige Kilometer von Mügeln gelegenen Roßwein Teilnehmer einer Neonazi-Demonstration einen Jugendclub. Das nahe gelegene Wurzen ist durch seine Probleme mit Rechten bundesweit bekannt.
Hakenkreuzfahne gehisst
Dies zu negieren, nennt der SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy «blauäugig» und mahnt: «Es ist noch nie ein Problem dadurch gelöst worden, daß man seine Existenz bestreitet.» Der Grünen-Innenpolitiker Hans-Christian Ströbele klagte über tagelanges Leugnen der Stadtväter. «Erst wenn es dann unübersehbar ist, wenn schon fast die Hakenkreuzfahne gehisst ist, erst dann ist man geneigt, das zur Kenntnis zu nehmen.» Auch Bundestagsvize Wolfgang Thierse (SPD) oder die Berliner Extremismusexpertin Anetta Kahane warnten vor Ignoranz.
Grünen-Bundeschefin Claudia Roth hält die Äußerungen des Gemeindeoberhauptes Deuse für «unverantwortlich»: «Wer den Kopf in den Sand steckt, stärkt nur die Rechtsextremisten», sagte sie auf Netzeitung.de. Die deutschen Bürgermeister müssten endlich aufhören, rechte Tendenzen in ihren Gemeinden zu leugnen. Wie notwendig das ist, machen auch die Wahlergebnisse der NPD klar: Bei der letzten Landtagswahl erhielten die Rechtsextremisten zehn Prozent der Stimmen aus Mügeln. «Davon zu sprechen, daß in Mügeln ‚bisher keine Dinge, die mit Rechts zu tun haben‘ aufgefallen sind, ist entweder absurd oder verlogen», wetterte Roth.
Pöbel in Schach halten
Die Polizei stellte Mügeln drei Tage nach dem Vorfall unter verstärkten Schutz, Ermittler suchen intensiv nach Motiven und Tätern. Etwa 50 zumeist junge Deutsche hatten in der Nacht zum Sonntag in Mügeln acht Inder nach einer Rangelei im Festzelt des Stadtfestes über den Markt gehetzt. Andere Besucher des Festes sollen tatenlos zugesehen haben. Die Inder flüchteten sich in die Pizzeria eines Landesmannes.
Vermutlich in dem vorangegangenen Handgemenge drosch ein Täter Kulvir Singh mit einer Flasche auf den Kopf, ein Schlag traf sein Auge. Seine Landesleute seien mit Reizgas angegriffen und ebenfalls geschlagen worden, schilderte der 39-Jährige. In der Pizzeria hätten sie sich zusammen mit zwei Polizisten eingeschlossen. Einige Angreifer hätten die Eingangs- und Hintertür der Gaststätte eingetreten und das Auto des Pizzeria-Besitzers stark beschädigt.
Der Rest der eiligst herangeholten Polizeiverstärkung versuchte, den Pöbel im Festzelt in Schach zu halten. Insgesamt 14 Menschen erlitten Verletzungen, unter ihnen alle acht Inder. Während der Hatz gab es ausländerfeindliche Rufe, wie eine Polizeisprecherin betätigte. Bislang gab es zwei Festnahmen. Die 21 und 23 Jahre alten deutschen Tatverdächtigen ließ die Polizei aber wieder laufen. Bürgermeister Deuse bat die Bürger um Hinweise. Der Vorwurf, der auf Mügeln laste, müsse aus der Welt.
Keine Hinweise?
Auch die Passivität der Festbesucher schockiert. Grünen-Bundeschefin Roth zieht Parallelen zur tagelangen Belagerung eines Wohnheimes für Vietnamesen 1992 an der Ostseeküste. «Solche abscheulichen Szenen eines Mobs erinnern mich fatal an Rostock-Lichtenhagen. Auch hier hat die Bevölkerung tatenlos zugesehen.» Die Geschehnisse in Mügeln seien «erschreckend». Ihr Mitgefühl gelte den Opfern dieses Verbrechens.
Streit gibt es jetzt darüber, ob die Attacke vermeidbar gewesen wäre oder nicht. «Es gab im Vorfelde keinerlei Hinweis auf solch einen Zwischenfall. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt von einer Spontanhandlung aus», sagte ein Sprecher der Ermittler. Bürgermeister Deuse hatte von Hinweisen gesprochen, die er aus dem örtlichen Jugendclub «Free Time Inn» erhalten habe und versichert, er habe sie an die Polizei weitergegeben.
Die Gegend zwischen Leipzig, Dresden und Chemnitz zählt nicht gerade zu den Vorzeigeregionen Deutschlands. Die Milliardenströme des Aufbau Ost konnten den wirtschaftlichen Abschwung und die Bevölkerungsflucht bisher kaum stoppen. Die Folge: «Die Kommunen haben es schwer, in diesem Niemandsland dem vorhandenen Rechtsextremismus etwas entgegenzusetzen», sagt die Grüne Hermenau. Im Kampf gegen Rechts blieben die Gemeinden hinter ihren Möglichkeiten. «Sie kennen ihre Handlungsoptionen nicht.»
Nicht nur im Osten
Auch der SPD-Politiker Edathy hatte beklagt, die Kommunen investierten nicht genug in den Kampf gegen rechtsextremistische Entwicklungen. Hermenau forderte die Landesregierung in Dresden auf, die kommunal Verantwortlichen besser zu schulen, um die Ahnungslosigkeit der Bürgermeister im Umgang mit Extremisten zu beenden. Es gelte zu vermeiden, daß sich eine Zusammenarbeit mit zunächst harmlos wirkenden Jugendlichen als Kooperation mit rechten Kameraden entpuppe. Wenn etwa der Städte- und Gemeindetag solche Schulungsangebote machte, wäre das Interesse groß: «Ich glaube, da würden viele Bürgermeister zugreifen.»
Die Grünen wollen den Osten keinesfalls einseitig als Hort von Rechtsextremisten verurteilt sehen. «Rechtsextremismus ist ein Problem im Osten, aber nicht nur dort», sagt Parteivorsitzende Roth. Ein gefestigtes antisemitisches oder demokratiefeindliches Weltbild sei auch im Westen verbreitet. Baden-Württemberg scheint noch eine Insel im braunen Sumpf, wie aber die Friedrich-Ebert-Stiftung ermittelte, ist ein solöches Weltbild in Bayern sogar noch stärker verankert als in Sachsen. got