Wer sein Facebook-Konto deaktiviert, oder auch nur einige Wochen keine neuen Statusmeldungen schreibt, bekommt die virtuelle Armee des sozialen Netzwerkes zu spüren: Die eigenen Freunde. Sie schreiben Kurznachrichten, Mails, sie schreiben auf Twitter: Was los sei, ob man nicht zurück ins Netzwerk – zurück ins Leben – kommen wolle. Das Entkommen aus dem größten soziale Netzwerk der Welt ist schwerer, als das Girokonto oder den Mobilfunkvertrag zu kündigen, sagt die Psychotherapeutin Abby Rodman, die sich mit den Auswirkungen der digitalen Welt auf den Menschen befasst. „Wenn man Facebook plötzlich verlässt, werden die Leute sich fragen, wohin man abgewandert ist“, sagt Rodman.
Zumindest einige der Zurückbleibenden denken dann, dass man mit ihnen persönlich ein Huhn zu rupfen hat, manche unterstellen, man mache eine Scheidung durch – oder schlimmer noch: Man sei in eine tiefe Depression gefallen. „Entweder sie fragen, ob es einem gut geht, oder sie denken, es geht um sie“, sagt Larry Rosen, Psychologie-Professor bei der California State University und Autor eines Buches über die Macht der Technologie über unseren Alltag. „Wir haben Facebook als die eine Plattform in den sozialen Medien etabliert, auf der uns alle unsere Freunde so oft posten, dass wir das Gefühl haben, ständig nachsehen zu müssen“.
Laut der Studie der US-Ostküsten-Universität Cornell haben manche die Seite verlassen, um die Freundschaftsanfrage des Chefs zu umgehen. Andere fanden, dass es zu sehr süchtig macht und sie zu viel Zeit damit vertrödeln, durch das Leben anderer zu scrollen. Laut der Studie haben sich diejenigen, die ihre Konten deaktiviert haben, oft „rebellisch“ und „stolz“ gefühlt – ein Indikator dafür, wie schwierig es ist, das Netzwerk auch nur auf Zeit zu verlassen.
Diejenigen, die Facebook verlassen, sind meist Männer (71 Prozent), beschäftigen sich eher mit dem Schutz ihrer Privatsphäre, und sind älter als der Durchschnitt (31 Jahre statt allgemein 24 Jahre). Das ergibt eine Umfrage der Universität Wien unter 321 Facebook-Nutzern und 310 Personen, die das Netzwerk verlassen haben. Die Facebook-Abtrünnigen hatten zuletzt im Mittel 133 Freunde. Diejenigen, die bleiben, haben 349. Doch beide verbringen fast die gleiche Menge an Zeit auf der Seite: Die, die gehen, sind vorher 1,9 Stunden pro Tag auf der Seite; bei denjenigen, die bleiben, sind es 1,8 Stunden.
Warum nehmen Leute also derart Anstoß an den Facebook-Flüchtlingen? Sich mit jemandem bei Facebook anzufreunden, schafft einen ungeschriebenen Vertrag, sagt Cal Newport, Autor von Selbsthilfebüchern zu Schule, Universität und Karriere. „Menschen wollen, dass andere ihnen Aufmerksamkeit schenken. Das war lange Zeit schwer – man musste dafür etwas Wertvolles schaffen“. Im Facebook-Zeitalter habe sich das geändert, sagt Newport. „Dort sind die meisten Inhalte außerordentlich banal“.
Dazu kommt: Zwischen vielen Menschen ist Facebook mittlerweile der einzige Kanal, auf dem sie kommunizieren. Das Konto zu deaktivieren, ist für diese Beziehungen etwa das gleiche, wie in der Welt vor dem Internet das Telefonkabel aus der Wand zu ziehen, sagt Daniel Miller, Professor für Anthropologie am University College in London, der sich mit der Nutzung von sozialen Netzwerken durch Studenten beschäftigt. „Wie hätten sich Ihre Freunde gefühlt, wenn Sie das Telefon abgeschaltet hätten?“, fragt Miller. „Ich hoffe für Sie, dass sie erschrocken gewesen wären.“ Bei Facebook kämen noch die Fotos hinzu, samt Markierungen – sie sind weg, wenn der Nutzer vom Netz geht.
Wer Arbeit sucht, hat eine zusätzliche Quelle für sozialen Druck. „Kein Facebook-Profil zu haben, wäre etwas komisch, wenn man sich für eine Stelle in Marketing, Vertrieb, Personalbeschaffung oder ähnliches bewirbt“, sagt Nicole Greenberg Strecker, die als Managing Director das Chicagoer Büro der Headhunting-Agentur STA Worldwide leitet.
Brian Smith bekam die ganze Kraft des Facebook-Kults spüren. Der Umweltaktivist aus dem kalifornischen Oakland verließ das Netzwerk vor zwei Jahren für die Konkurrenz-Plattform Google GOOGL -0,36% +. Die meisten seiner Freunde hatten Verständnis für seine Entscheidung – doch sie wollten Facebook nicht für die recht erfolglose Google-Plattform verlassen. „Ich bin im letzten Jahr zu Facebook zurückgekehrt, weil es keine Alternative gibt“, sagt er. Überrascht war niemand. „Die Leute hatten mich gewarnt, dass ich irgendwann zurück bin, und das, das war die Wahrheit.“