Der Titel basiert auf einer repräsentativen, im Jahr 2005 erhobenen Studie zur Situation des deutschen Journalismus. Sie baut auf einem mit der ersten derartigen Untersuchung aus dem Jahr 1993 nahezu identischen Fragenkatalog auf und erlaubt somit einen direkten Vergleich der Ergebnisse und damit einhergehend der Veränderung des journalistischen Selbstverständnisses über einen Zeitraum von zwölf Jahren.
Siegfried Weischenberg, einer der bekanntesten deutschen Publizistikprofessoren, und seine Mitautoren haben dazu 1.500 Journalisten befragt. Das Ergebnis ist eine präzise Darstellung des Selbstbildes der Journalisten in der heutigen deutschen Medienlandschaft.
Die Studie entspricht auch einem Porträt einer Berufsgruppe, die zweifellos einen großen Einfluß auf die Gesellschaft sowie die gesellschaftspolitischen Entwicklungen hat. Der Band liefert eine außerordentlich informative Darstellung dieses Berufsstandes, der keine formalisierte Ausbildung verlangt, in der Bevölkerung nicht gut angesehen ist und der trotz allem eine Menge Menschen als Beruf anzieht. Für Journalisten und solche, die es werden wollen, ohnehin ein Muß, dürfte der Band auch für all jene interessant sein, die die Medien bewußt konsumieren.
Trotz der Allgegenwart der Massenmedien können auch Journalisten die Wirklichkeit ihres Berufes nicht frei kreieren, sondern müssen von der Wissenschaft erhobene Befunde zur Kenntnis nehmen. Und ein genau solcher Befund ist diese Studie. Sie zeigt, wer die Macher dieser Massenmedien sind und was sie bewegt. Sie stellt Fragen wie: Sind Journalisten die vierte Gewalt im Staate? Wie groß ist ihr Einfluß wirklich? Was verändert sich, wenn Blattmacher wie Frank Schirrmacher (Frankfurter Allgemeine Zeitung) oder Hans-Ulrich Jörges (Stern) nicht mehr nur andere befragen, sondern selbst in Talkshows auftreten? Wie sieht die überwiegende Mehrheit der 48.000 deutschen Journalisten, die nicht im Rampenlicht steht, ihre Arbeit? Wie hat sich der Journalismus durch das Internet verändert?
Weischenberg, Malik und Scholl plädieren für einen aufmerksamen Umgang mit den Veränderungen in der Branche und fordern, die Qualität in der Journalistenausbildung anzuheben. An den Anfang ihrer Studie bereits stellen sie fest, daß viele Journalisten Schwierigkeiten mit dem Umgang mit Fakten und Meinungen haben, obgleich auch für sie das Zitat des Soziologen und Politikers Daniel Patrick Moynihan gelte: „Everyone is entitled to his own opinion, but not his own facts.“ Dies zu akzeptieren, so die Autoren, fällt einem Teil der Journalisten schwer, denn so mancher erhebt nicht nur Anspruch auf die Macht seiner eigenen Meinung, sondern auch die auf seine eigenen Fakten. Gerade „Großjournalisten“, die ständig kräftig auskeilen, empfinden es offenbar als Majestätsbeleidigung, so die Autoren, wenn sie selbst einmal getroffen werden. Auf Kritik würden sie mit Empörung reagieren.
Dennoch geht es in der Studie nicht um die „Dünnhäuter“ unter den Journalisten, sondern vielmehr um die Leistungen der Medien, wobei „Leistung“ nicht immer als Kompliment gemeint ist. Da schimmert stets Manipulationsverdacht, Angst vor einer nicht legitimierten Beeinflussung, Ärger über Aussetzer einzelner Berufsvertreter etc. durch: Wirkungsmächtig, wahlentscheidend, prinzipiell manipulationsfähig und manipulationsbereit kommt der bundesrepublikanische Journalismus nämlich seit einigen Jahren einher; daß diese Ängste berechtigt sind, wird im Band an einer großen Anzahl von Beispielen belegt.
Sicherlich, Journalisten waren immer schon eine einflußreiche Berufsgruppe, allerdings hat sich deren Bedeutung in den letzten Jahren noch verstärkt. Der Übergang in die sogenannte Mediengesellschaft hat dazu geführt, daß die Menschen noch nie so stark ihre Weltbilder mit Hilfe der Medien zeichneten wie heute. Mit dem Begriff der Mediengesellschaft soll dabei verdeutlich werden, daß immer mehr kommunikative Prozesse in der modernen Gesellschaft mediale, also technisch und meist auch professionell-organisatorisch vermittelte Prozesse sind und daß dies die gesellschaftlichen Kommunikationsverhältnisse grundlegend verändert.
Die Probleme der Mediengesellschaft manifestieren sich beispielsweise in Form von Entgrenzungen im gesamten Medienbereich. Nicht nur die bekannten Prozesse der Ökonomisierung, der Hybridisierung – also der Vermischung von Inhalten – sowie der Deprofessionalisierung sind im deutschen Journalismus zu beobachten, sondern zunehmend auch die Boulevardisierung. Daher lautet eine der aktuellsten Fragen zum Zustand des Journalismus: Wie und wann geht dem Journalismus durch den Prozeß der Boulevardisierung so viel Substanz verloren, daß er als Instrument der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung untauglich wird?
Diese Frage ist schon deshalb von überragender Bedeutung, da vor allem durch Journalisten die in der Verfassung garantierte Pressefreiheit realisiert wird. Dabei geht es nicht nur darum, über die Welt zu informieren und die Mächtigen zu kritisieren und zu kontrollieren, sondern auch darum, den Sprachlosen und Ohnmächtigen in dieser Gesellschaft eine Stimme zu verleihen. Deshalb erstaunt es, wie wenig sich um die Qualität und Qualitätssicherung der Medien gekümmert wird. Dies wirft ebenso die Frage auf, ob wir eigentlich die richtigen Journalisten haben: Gut ausgebildete, reflektierende Personen, die uns ins Bild setzen können, Orientierung geben, und glaubwürdig und frei von Vorurteilen sind.
Selbst unter den Journalisten wird dies bezweifelt. Heribert Prantl, der Innenpolitik-Chef der Süddeutschen Zeitung, schreibt: „Wir müssen aufhören von Journalismus zu reden, wenn es sich nicht um Journalismus handelt. Zerstreuung, Kurzweil, Larifari ist Unterhaltung, nicht Journalismus.“ Ebenso kritisch glaubt der ehemalige Chefredakteur der Zeit, Roger de Weck, sogar, daß es inzwischen unter Journalisten mehr Populisten gebe als unter Politikern. Und er fragt, ob z.B. eine Journalistin wie Verona Feldbusch (nach Heirat Verena Poth) noch seine Kollegin sei. Insgesamt lassen sich immer mehr neue Formen ausmachen, die den Journalismus nicht nur hin zu einer Unterhaltung, sondern auch zur Technik, zum Marketing (sic) und zur Öffentlichkeitsarbeit hin erweitern. Es wird befürchtet, daß er zur „fünften Kolonne“ für so manches wird, was mit unabhängiger Berichterstattung nichts zu tun hat und dies seine bisherige Funktion verändert, die da heißt: Als zentrales Selbstbeobachtungsinstrument einer Gesellschaft zu dienen.
Gewiß muß sich der Journalismus in einem marktwirtschaftlichen System rechnen. Medien und Geschäft sind stets Hand in Hand gegangen. Doch ist in den letzen Jahren eine Universalisierung der Marktmechanismen festzustellen. Diese Mechanismen folgen einem neoliberalen Modell von Öffentlichkeit. Danach ist der Kunde König, folgen die Medien bei der Auswahl und Präsentation der Nachrichten ausschließlich den Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger. Es gibt hier keine Skrupel gegenüber der Irrelevanz der Themen und keine sich prinzipiell verbietende Form der Darstellung im Rahmen der geltenden Gesetze.
Hingegen ist Meinungsfreiheit ein öffentliches Gut, das wir uns etwas kosten lassen müssen. Bei seiner Pflege muß der Staat mitwirken, und sei es nur durch die Regulierung von Selbstregulierung. Öffentliche Güter müssen der Kommerzialisierung Grenzen setzen, meint daher der Philosophieprofessor und einstige Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Doch die Medien – inzwischen gilt das längst auch für die öffentlich-rechtlichen Sender – verhalten sich in einer Marktgesellschaft laut der vorliegenden Studie primär kunden- und erfolgsorientiert. Der Zweck heiligt inzwischen fast alle Mittel der Boulevardisierung. Das bedeutet nicht nur Personalisierung, sondern auch Familiarisierung, Simplizifizierung, Polarisierung, Melodramatisierung und Visualisierung aller Themen. Mit dem Feuer spielt man aber zudem insbesondere dann, wenn der Journalismus schutzlos PR-Kampagnen ausgesetzt wird, weil seine Rechercheressourcen nicht ausreichen, und wenn er die Grenze zwischen Fakten und Fiktionen zur Disposition stellt. Boulevardisierung gilt daher als Ausdruck von immanenter Selbstgefährdung auf den globalen Informationsmärkten.
Dies ist etwas grundlegend anderes als das republikanisch-diskursive Modell von Öffentlichkeit, das das offene Forum eines Marktplatzes zum Austausch von Argumenten vor Augen hat und nach dem Beitrag des Journalismus für die demokratische Willensbildung der Bürgerinnen und Bürger fragt. Danach ist die Boulevardisierung der Inhalte grundsätzlich abzulehnen. Zu bekämpfen ist vielmehr alles, was die ernst zu nehmende Berichterstattung aufweicht. Medienkritiker beklagen eine ständige Entwicklung weg von der Information hin zur fiktionalen Unterhaltung. Dies äußert sich in deutlich artikuliertem Unbehagen gegenüber „journalistischen Ergüssen“, die immer mehr den Gesetzen der Kommerzialisierung unterworfen sind. Diesen Gesetzen bewährte berufliche Standards wie Unabhängigkeit, Sorgfalt und Fairness bei der Berichterstattung entgegenzusetzen, werde immer schwieriger. Daher verwundert es nicht, daß in einer Vielzahl von Gerichtsurteilen die mangelhafte Qualität des Journalismus – insbesondere im Bereich der Recherche – nachgewiesen wurde. Allein deswegen erscheint es für alle Medien geboten, sich ernsthafter als bisher mit Strukturen zur Qualitätssicherung zu beschäftigen.
Hierbei ist für die Zukunft von großer Bedeutung, daß zwischen Medien und Journalismus eine Abgrenzung erfolgt. Journalistische Publikationen erfüllen eine spezifische Funktion in der Gesellschaft, indem sie der Öffentlichkeit aktuelle Beobachtungen von Ereignissen als Fremdbeobachtungen zur Verfügung stellen. Darum ist Journalismus etwas anderes als die Medien, denn der Journalismus macht nur einen Teil dessen aus, was durch Medien veröffentlicht wird. Neben journalistischen Angeboten sind dies auch Anzeigen und Werbung, Spielfilme, Kreuzworträtsel, Talentshows, Fortsetzungsromane, Telenovelas oder Hörspiele. Eine Abgrenzung dieser verschiedenen Medienbereiche und eine eingrenzende Aufgabendefinition erscheinen dringend geboten.
Parallel zu dieser Diffusion der Medienteilgebiete nimmt gleichzeitig der Druck auf Journalisten zu, der Konkurrenz die pikante Story, das knackige Zitat, das exklusive Foto wegzuschnappen, um einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Das provoziert zum „corriger la fortune“. Es verführt den Schwachen und unter Zeitdruck Stehenden, seine Geschichte notfalls auch mit grenzwertigen Mitteln aufzupeppen bzw. gar die Grenzen des Journalismus zu überschreiten. Dies wird noch verstärkt, da für viele der Berufsanfänger die Arbeit in den Medien nur noch eine mehr oder weniger spannende Episode ist. Heute ist jemand Gemeinderatssitzungen absitzender Reporter, morgen arbeitet er in einer Werbeagentur und übermorgen an der Börse. Diese Kurzfristigkeit und die oftmalige Kurzsichtigkeit bezüglich ihrer Folgen begünstigt die Boulevardisierung, für die das eherne Gesetz gilt: Der Wert einer Information bemißt sich nicht an ihrer Wahrheit, sondern an ihrer Attraktivität.
Bekanntestes Beispiel dieser Fehlentwicklung sind die Fälschungen des selbst ernannten „Borderline-Journalisten“, also Grenzüberschreitungsjournalisten, Tom Kummer. Leider ist er mit seinen Fälschungen nicht allein geblieben. Für das Publikum ist dies alles kaum mehr durchschaubar. Viele Medienangebote besitzen heute schlichtweg Inszenierungscharakter. Sie sind Konstruktionen, die mehr mit den Gesetzen der eigenen Produktion korrespondieren als mit den dargestellten Ereignissen. Eine Realitätsprüfung ist ohnehin für den Leser nicht möglich, so daß man auf die Zuschreibungen von Wirklichkeitsbezug angewiesen ist. Dabei spielt die Erfahrung mit Medien und einzelnen Journalisten eine große Rolle.
Empirische Befunde der Studie belegen offensichtlich das derzeit akuteste Problem des deutschen Journalismus: Die Grauzone des „Borderline“; also der Bereich, wo sich Einbildung und Wirklichkeit, Dichtung und Wahrheit treffen. Dieser Ausguß journalistischen Niederganges, der heute oftmals in Fälschungen, falschen Behauptungen endet, wurde durch Leute wie Ex-Tempo-Chefredakteur Markus Peichl, einem der Erfinder des ‚Zeitgeist-Journalismus’, und Seinesgleichen bereits vor über 20 Jahren eingeleitet.
Zu diesem Grenzüberschreitungssyndrom gehört auch das Erfinden von künstlichen Nachrichten, also falschen, erfundenen oder künstlich provozierten Nachrichten. Dies wird auch als „Kunststoffjournalimus“ bezeichnet. Dessen Prinzip lautet: Es gibt mehr Medien als Stoff vorhanden ist, daher muß der Informationsstoff künstlich produziert werden. So bekannte beispielsweise Karin P. Vanis vom ZDF-Hauptstadtstudio, daß es ihre Ambition sei, einen Abgeordneten zu überzeugen, daß er den Kopf des Bahnchefs Mehdorn fordert. Aber nicht nur Fälschungen, Unwahrheiten und der besagte Kunststoffjournalimus untergraben die Seriosität des deutschen Journalismus, auch unlautere oder nicht akzeptable Methoden gehören zum marktschreierischen „Hype“ der schönen neuen Medienwelt.
In Großbritannien wird diese Methodenproblematik des Journalismus gleichfalls diskutiert, wobei dort der zentrale Vorwurf lautet, daß diese Methoden die demokratische Institution zerstören, die sie zu schützen vorgeben, und die Massenaufmerksamkeit für eigene Zwecke nutzen, über die sie selbst herrschen. Kritisiert werden im Einzelnen der inquisitorische Interviewstil bestimmter Journalisten oder die Publikation gefälschter Fotos. Unübersehbar sei der Aufstieg einer breiteren „media class“ in den letzten Jahrzehnten, deren „Alphatiere“ heute in unangemessener Weise Einfluß auf die Politik nähmen, so daß sogar die Frage nach einem Putsch der „vierten Gewalt“ gestellt wird. Kurt Kister, langjähriger Hauptstadt-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, attestiert, daß die Rudelführer dieser Meute sich manchmal auf einem sehr schmalen Grat zwischen Journalismus und Politik bewegen.
Für diese Rollenprobleme hat der zurückliegende Bundestagswahlkampf 2005 ein markantes Beispiel geliefert. Ein Teil der Berufsvertreter war durch Gesinnungsjournalismus aus der Rolle gefallen, wie Giovanni di Lorenzo in der Zeit konstatierte. Die Medien hätten sich in diesem Wahlkampf so stark wie kaum zuvor als Macher statt Mittler verstanden, hieß es in der taz. Nach der Auffassung des Berliner Tagesspiegel auf jeden Fall eine Grenzüberschreitung: „Wir haben uns eine Rolle angemaßt, die über das hinausgeht, was den Medien zusteht.“ Während die Rheinische Post ihre Kritik direkt auf eine bestimmte Akteurebene konzentrierte: „Wenn Großjournalisten Politik machen wollen, ist das weder gut für den Journalismus noch für die Politik. Also sollte ab sofort gelten: Mehr Distanz halten.“
Als peinlich und einem Offenbarungseid des deutschen Journalismus gleichkommend kann man das Auseinanderklaffen der Wählermeinung von der von den Journalisten im Endspurt veröffentlichten Meinung ansehen. In der Zeit konnte man anschließend von di Lorenzo lesen: „Es haben […] vor der Wahl nicht nur alle Demoskopen und ein Teil der Politiker die Ängste und Wünsche der Wähler falsch gedeutet und einen klaren Sieg der Union vorausgesagt. Auch die Medien haben sich blamiert. Sie haben sich ganz auf die Prognosen verlassen und sich gegenseitig in ihren falschen Einschätzungen noch bestärkt, statt sie mit Distanz zu prüfen. Insofern sind wir Journalisten Teil des Problems, das mit dem überraschenden Wahlergebnis sichtbar geworden ist: Das Sensorium für die Menschen außerhalb des politischen Betriebs ist stumpf geworden.“
Neben Fehleinschätzungen, Gesinnungsjournalismus sowie der Abstumpfung des dem journalistischen Handwerk zugrundeliegenden Sensorium gibt es aber auch Recherchemethoden, die zu den eindeutig zu verurteilenden Verhaltensweisen im Journalismus gehören und solche Fehlentwicklungen mitzeitigen können. Bei diesen werden die Informanten nicht auf die sanfte Tour zur Herausgabe von Informationen bewegt. Oft wird die Privatsphäre verletzt und mancher Journalist versündigt sich gar gegen die Menschenwürde und macht andere Menschen zu Opfern seiner falschen oder einseitigen Berichterstattung. Zu den nicht korrekten Recherchemethoden zählen unter anderem die dem Informanten versprochene Verschwiegenheit nicht einzuhalten, unwillige Informanten unter Druck zu setzen, um an Informationen zu gelangen, und private Unterlagen ohne Zustimmung zu verwenden.
Die Methodenproblematik ist in Deutschland auch deshalb so stark, da es im Gegensatz zu den USA keine strikte Rollentrennung zwischen Redakteuren und Reportern gibt. In den USA kennt man nämlich eine eigene Rechercheinstanz, während für den deutschen Journalismus ein Rollenmix kennzeichnend ist. Das Recherchieren wurde so zu einer Tätigkeit unter vielen. Die hier vorliegende Studie macht deutlich, daß das deutsche Problem sich noch verstärkt hat, da der zeitliche Aufwand für die Recherche seit 1993 von 140 Minuten auf 117 Minuten in 2005 abgenommen hat. Die am deutschen Journalismus immer wieder kritisierte Rechercheschwäche fällt damit zunehmend noch stärker ins Gewicht.
Die daraus resultierenden Aussetzer gehen bereits soweit, daß sich bisweilen sogar Journalisten einen einzelnen Kollegen öffentlich vornehmen. Das mußte vor allem der FAZ-Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier erleben. In der Wochenzeitung Die Zeit hieß es über ihn, daß der famose Stilist und Beobachter kein Vermittler, sondern durchaus ein Mann der verbrannten Erde sei, der nach 30 Jahren im Beruf nun aus der Rolle des allwissenden, unsichtbaren Beobachters und Erzählers in die des Akteurs geschlüpft sei und „first person journalism“ betrieben hätte. Vor diesem Hintergrund werben Zeitungen bei Ihren Lesern um Glaubwürdigkeit. Ein für die Medien mehr als riskantes Vabanquespiel. Schon eine negative Erfahrung wie im Fall Stadelmaier kann ausreichen, um das über Jahre aufgebaute Vertrauen der Leser wieder entzogen zu bekommen.
Verschlimmbessert werden diese unzufriedenstellenden und die Demokratie unterlaufenden Recherchedefizite weiterhin dadurch, daß sich Journalisten mehr denn je an anderen Medien und an ihren Kollegen orientieren. daß sich Journalisten auf andere Medien beziehen, steigert die mediale Selbstreferenz und macht die journalistische Wirklichkeit unsensibel für nicht-mediale Perspektiven auf die Welt. Der sichtbarste Ausdruck dieser Selbstreferenz ist, wenn Journalisten Journalisten interviewen oder der Journalismus selbst zum Thema der Berichterstattung wird, wie es in Form von Medienseiten in großen überregionalen Tageszeitungen seit einigen Jahren geschieht. Alle Formen der journalistischen Selbstorientierung machen auf eine Gefahr aufmerksam: daß sich Medien auf Themen und Positionen konzentrieren, welche nur die Lebenswelt der Journalisten berühren, Anerkennung durch Kollegen bringen oder der Demonstration der eigenen Macht dienen. Dabei werden oft Ereignisse und Entwicklungen übersehen, die erheblich größere Relevanz für die Gesellschaft und für ihr Publikum besitzen.
Ein einzelnes Medium kann in diesem Zusammenhang dann als Leitmedium gelten, wenn es häufig oder regelmäßig von besonders vielen Journalisten genutzt wird, also als Medium entweder als Informationsquelle oder zur Orientierung für die eigene Berichterstattung herangezogen wird. Die von Weischenberg, Malik und Scholl produzierten empirischen Daten zeigen, daß die wichtigste Rolle in den Printmedien heute die Süddeutsche Zeitung spielt. Sie wird von etwas mehr als einem Drittel der Journalisten (35%) häufig oder regelmäßig beruflich genutzt, dicht gefolgt vom Spiegel mit ebenfalls gut einem Drittel (34%) der Nennungen. Im Segment der Wochenzeitungen und politischen Magazine folgen mit großem Abstand die Zeit (11%) vor Stern (6%) und Focus (5%). Bei den überregionalen Tageszeitungen liegen hinter dem Spitzenreiter Süddeutsche Zeitung mit großem Abstand die Frankfurter Allgemeine Zeitung (15%), die taz (7%), die Welt, Frankfurter Rundschau und Financial Times Deutschland mit jeweils 4 Prozent der Nennungen.
Die Bild-Zeitung, die sich nach dem Kriterium der größten Auflage und Reichweite mit Recht als Leitmedium tituliert, wird allerdings nach eigenen Angaben nur von einem Zehntel der Journalisten (10%) regelmäßig zur beruflichen Lektüre herangezogen. Die Themen, die von Bild aufgeworfen werden und später große Medienresonanz erfahren, gelangen daher eher über die Nachrichtenagenturen in andere Redaktionen. Agenturjournalisten lesen nämlich mehr als doppelt so oft Bild als der Durchschnitt der Journalisten (21%). daß der Bild-Zeitung keine Leitmedien-Funktion zukommen sollte, findet übrigens selbst die Zustimmung des Springer-Chefs Mathias Döpfner. Wörtlich: „Man sollte die ‚Bild’-Zeitung nicht zum vorherrschenden Leitmedium überhöhen. Das ist für die Redaktion zwar ein Kompliment, aber ob es das auch für den geistigen Zustand unserer Republik ist, da habe ich meine Zweifel.“Wie recht er dolch hat …
Mit Blick auf die empirischen Befunde ist es unwahrscheinlich, daß ein einzelnes Medium die Definitionsmacht über gesellschaftlich relevante Themen erlangen kann. Kein Medium – auch nicht Fernsehen und Hörfunk – wird so intensiv von Journalisten rezipiert, als daß seine Themen ohne weiteres von vielen anderen Medien übernommen würden und es damit eine Leitfunktion für den Journalisten innehätte. Dies ist ein erfreulicher Befund für die noch existente Medienvielfalt in Deutschland. Wenn man sich aber dagegen die empirischen Befunde zu Alter, Geschlecht, Familiensituation, Einkommen etc. der Journalisten im Durchschnitt anschaut, die die Studie ebenso zu Tage gefördert hat, kann man gut erkennen, daß die Lebenswelt der Journalisten nicht repräsentativ ist. Hier ergibt sich die Gefahr, daß sich die Journalisten um sich selbst drehen und wichtige Themen außerhalb ihrer Insider-Kreise nicht mehr adäquat wahrnehmen. Jedenfalls läßt sich bereits feststellen, daß gesellschaftsrelevante Themen oft von den Medien nicht oder erst zu spät aufgegriffen werden.
In diesem Kontext erscheint laut des vorliegenden Reports ein weiterer Aspekt die Situation zu verschlechtern: Immer häufiger besteigen Journalisten selbst die Bühne des öffentlichen Theaters. Auf Plakaten werben sie für Fluglinien, in großen Portraits lassen sie ihr Privatleben durchleuchten, in Talkshows flüstern sie uns ihre Einschätzung der politischen Lage zu. So machen wir uns ein Bild von denen, die uns informieren und orientieren, die den Entscheidungsträgern auf die Finger schauen und uns dabei auch noch unterhalten sollen. Zu Recht weist der einstige Chef des Springer-Konzerns, Jürgen Richter, darauf hin, daß dies eine Gefahr für die Pressefreiheit sei. Er stellt fest, daß zu Qualitätsjournalismus nun mal Distanz gehöre und es genau an einer solchen kritischen Distanz fehle. Ins gleiche Horn stößt der Spiegel-Autor Jürgen Leinemann, der kritisiert, daß sich Journalisten heute selbst als Ware verkaufen und „Kenntlichkeit“ zur einträglichen journalistischen Qualifikation geworden sei. Journalisten würden sich als Stars gerieren und die journalistische Freiheit sei daher weniger bedroht durch den Staat als durch die „weiche Knechtschaft einer eitlen Selbstverliebtheit“.
Die Studie belegt diese Tendenz. Deutlich zeigt sich, daß die Menschen und Mächte im eigenen Medienbetrieb die wichtigsten Bezugsgrößen für die Journalisten darstellen. Diverse Studien – auch in anderen Ländern – haben gezeigt, daß sich Journalisten in ihrer täglichen Arbeit in starkem Maße an eigenen Relevanzkriterien orientieren oder sich nach externen Interessen richten. Diese Ausrichtung an der eigenen Branche macht Kollegen, Vorgesetzte und andere Medien zu selbsternannten Indikatoren für mögliche Publikumsinteressen, gerade auch, weil die Journalisten wenig über ihr Publikum wissen. Die vorliegende Studie hat die Kollegenorientierung der Journalisten als interne Einflußgröße auf die Berichterstattung untersucht und bewertet diese als teilweise bedenklich. Auch in Deutschland besteht Gefahr, daß aufgrund einer starken Selbstbezüglichkeit die Autonomie des Journalismus in eine zunehmende Entfremdung vom Publikum umschlagen kann.
Es gibt bereits prominente Beispiele: Man denke etwa an das Medienkarussel, das um das letzte Buch von Frank Schirrmacher entstand. Ein solches Medienkarussel kommt in Fahrt, wenn ein Thema von mehreren prominenten Medien aufgegriffen wird. Aber auch das wacklige Fundament der redaktionsinternen Erwirtschaftung von finanziellen Grundlagen für den eigenen Journalismus macht diesen zunehmend anfällig. Nicht-journalistische Aktivitäten ihrer Verlage müssen die Journalisten immer öfter „redaktionell begleiten“: Man denke an die Buch- und DVD-Reihen des Süddeutschen Verlages oder an die „Volksbibel“, das „Volks-Handy“ und das „Volks-Notebook“ von Bild. Kritische Stimmen beschreiben das Problem so: „Neben den üblichen Anzeigen empfiehlt die ‚SZ-Feuilletonredaktion’ einmal die Woche prominent platziert den neuen Hausband. Die ‚Welt’ wirbt für ihre DVD, und ‚Bild’ meldet anläßlich der mit Weltbild vertriebenen ‚Volksbibel’: ‚Sensation! Mann geht übers Wasser.’ Die Grenze zwischen unabhängiger Berichterstattung und Anzeige verschwimmt.“
Um Werbekunden bei der Stange zu halten, scheinen darüber hinaus journalistische und rechtliche Grundsätze wie die Trennung von redaktionellen und werblichen Beiträgen zunehmend zur Disposition gestellt. Dies passiert zudem nicht nur durch Schleichwerbung in Vorabendserien, sondern auch in der journalistischen Berichterstattung. Im Jahr 2004 registrierte der Deutsche Presserat Schleichwerbung in drei großen Regionalzeitungen. 2005 sollen Pharmafirmen, Finanzdienstleister und Versicherungen in großem Stil redaktionelle Beiträge im Frühstücksfernsehen und in einem Vorabend-Magazin von Sat 1 gekauft haben; Bild.T-Online.de wurde gerichtlich abgemahnt, daß auch im Internet Werbung gekennzeichnet und vom redaktionellen Teil getrennt werden muss.
In der Medientheorie wird dem Journalismus eine besondere Glaubwürdigkeit unterstellt und besonderes Vertrauen entgegengebracht, weil er sich auf Fakten bezieht, relevante Themen behandelt und Objektivität suggeriert. Im Idealfall erfüllen Medienangebote essentielle Aufgaben in einer Demokratie: Sie tragen zur Information und zur politischen Willensbildung der Bürger bei, kontrollieren die Mächtigen, kritisieren Missstände, verleihen den Sprachlosen in einer Gesellschaft eine Stimme. So zeichnen sie mit an dem Bild, das wir uns von der Welt machen, indem sie uns möglichst glaubwürdig und verständlich informieren.
Seine gesellschaftliche Funktion, aktuelle Ereignisse und Entwicklungen in anderen Gesellschaftsbereichen öffentlich zu thematisieren, unterscheidet Journalismus von Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Romanen und anderen Medien. Demnach kann ein Ansatz, der zumindest auf dem Konsens über bestimmte Grenzen beharrt, die der Journalismus nicht überschreiten sollte, gut begründet werden, denn es gibt keine Legitimation für ein Mediensystem, das ausschließlich ökonomisch ausgerichtet ist. Vielmehr gibt es die Verpflichtung zur Übernahme von sozialer Verantwortung von allen Beteiligten in den Medien. Zunehmend gefordert wird daher ein Modell für die Medienberichterstattung, das Mindeststandards für die Qualität der Medien sichert.
Gerade der Aspekt der Glaubwürdigkeit wird wohl entscheidend für die Zukunft des Journalismus werden. Dies gilt auch für die Zukunft des Journalismus im Internet. Den „Crossover“ von der Information zur Unterhaltung („Infotainment“) beschreiben Kritiker gemeinhin als Degeneration des Journalismus. Es ist gleichzeitig ein Indiz dafür, daß Informationsangebote von der Bevölkerung nicht selbstverständlich akzeptiert werden. Seriöser Journalismus könnte letzter Garant für einen anspruchsvollen publizistischen Raum werden, gerade weil andere Formen dazu nicht in vollem Umfang in der Lage sind. Im Vergleich mit der Befragung von 1993 zeigt sich nämlich, daß sich die Bedeutung der Informationsfunktion des Journalismus bei den Konsumenten sogar noch verstärkt hat.
In den heutigen verwirrenden und unübersichtlichen Zeiten gibt es also einen gesteigerten gesellschaftlichen Bedarf nach seriöser, umfassender Information. Diesen Journalismus wird man sich freilich etwas kosten lassen müssen, auf daß die Beziehung zwischen den Medien und ihrem Publikum nicht nur als geschäftlicher Deal betrachtet wird, sondern auch als öffentlich geführter Diskurs über die Probleme der Gesellschaft, das wäre die Legitimation für den Journalismus in der modernen Demokratie. Guter Journalismus ist daher im Gegensatz zur Boulevardisierung der Medien die Zukunft – nicht die Vergangenheit. Eine Korrektur der Entwicklung im deutschen Journalismus im Sinne einer Reform der Reform ist dringend geboten. Die wichtige Studie von Weischenberg, Malik und Scholl zeigt genau dies.
Ulrich Arnswald
Siegfried Weischenberg / Maja Malik / Armin Scholl: Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über die Journalisten in Deutschland, Konstanz: UVK, 2006, 316 Seiten, br., Abb.: 120 sw., ISBN 978-3-89669-586-4, 19,90 €.
15.Aug..2007, 18:12
Sehr vernünftig.