Im Heidelberger Zimmertheater erlebte die Tragikomödie „Fettes Schwein“ des amerikanischen Autors Neil LaBute in der Regie von Ute Richter in stimmigen Bildern von Gerlinde Britsch eine hinreißend-eindrucksvolle Premiere:
Schnellkneipe. Zwei stehen am Tisch: er – Tom – isst Sprossen, sie – Helen – hingegen Pizza, er quält sich mit Grünzeug um schlank zu bleiben, sie genießt jeden Bissen, weil sie nämlich doch erstens eh schon sehr dick ist und zweitens aber damit, es zu sein offenbar überhaupt kein Problem hat. Und das ist auch gut so. Er jedenfalls schaut sie seh- und spürbar fasziniert und ganz hin und weg an; als nun aber er merkt, dass sie gemerkt hat, dass er guckt, meint er etwas verlegen: „Das soll keine Anmache sein“. „Schade“, entgegnet sie.
Das Spiel kann beginnen und es tut es im weiteren Verlauf in scharfkantig-wortwitzigen Dialogen und bös-fröhlich-zynischen Szenen.
Die beiden finden sich, Helen blüht an Toms Seite auf, er seinerseits tut das auch, jedoch haben die beiden die Rechnung ohne die Welt um sie herum gemacht. Derweil nämlich die Beiden sich trotz – (Toms Mutter war, sagt Tom irgendwann, auch sehr dick, er habe sie – zwar – gern gehabt, sich aber ihrer geschämt) oder wegen der doch sehr unterschiedlichen Körperfülle lieb haben, zerreißen sich die Kollegen Carter – der ein Bild von Helen per Rundmail in der Firma kreisen lässt – und (Toms Ex) Jeannie das Maul, dass es nur so kracht – und weh tut.

Tom (Raphael Grosch), Helen (Rada Radojcic), Carter (Jens Wachholz) Jeannie (Gitte Reppin). Bild: Mara Eggert
Die Beiden bleiben sich zwar fürs Erste trotz alledem treu, jedoch geht Tom – ist er mit Helen zusammen – seinen feixenden Kollegen aus dem Weg (hier im Bild, da sind sie eher ausnahmsweise mal zusammen zu sehen), und statt zu den Mitgliedern seiner Yuppy-Clique zu sagen, ihr könnt mich mal gern haben, hat er weder Kraft noch Saft, das loszuwerden; dies nicht zuletzt, weil er zu guter Letzt dann eben selber doch zu sehr einer von jenen ist. Und sich eben drum für Helen fremdschämt – Raphael Gosch gibt diesen Tom nett aber feige, gekonnt janusgesichtig, während Rada Radojcic sich und ihre Figur schlüssig, selbstsicher, klug und sensibel auf die Bühne bringt. „Ich schäme mich nicht – äh – nicht mehr“, sagt sie“ – und Tom zu seiner Ex auf deren Frage, was ihm an der „Dicken“ gefalle: „Sie gefällt mir, weil sie nicht du bist“ – was die Situation zwar erhellt, aber schon für böses Blut sorgt.
Sowohl LaButesText als auch Ute Richters Regiekonzept zielen deutlich auf ein gesellschaftliches Problem, das anders Seienden jeglicher Couleur von eben dieser Gesellschaft gemacht wird. Alte, Gebrechliche, Kranke, Schwule, Langzeitarbeitslose mit Migrationshintergrund, Lesben und eben auch Fette; jedoch, derweil sich die einen und die anderen mit der Gesellschaft arrangiert (zu) haben (scheinen), gelten die Fetten noch immer als Outsider und Zielscheibe von Spott und Ausgrenzung.
Ute Richter erweist sich – einmal mehr – als feinfühlige Beobachterin zwischenmenschlicher Probleme, das aufgeräumte Ensemble greift das auf und so hinterlässt dieser Theaterabend kein flaues Gefühl.
Auf der Bühne aber triggert sich zu guter Letzt die Situation – sie schaukelt sich hoch – und so werden am Ende die Zuschauer nicht nur Tränen gelacht haben, da wird dann auch auf der Bühne herzzreißend geweint. Open end für diese Liebe in Zeiten der Fettleibigkeit – immerhin ist mehr als jeder zweite Deutsche übergewichtig, jeder fünfte adipös; zu guter Letzt bedankt sich das Publikum mit herzlich-starkem Premierenapplaus für das hervorragend aufgestellte Ensemble – bei Toms adonisischen Yuppie Freunden Carter (Jens Wachholz) und Jeannie (Gitte Reppin), für der Intendantin straffe und seziermesserscharfe Regie und zu guter Letzt wohl auch für den Autor mit Bravi und Getrampel, von welch allem freilich Dickmamsell Helen verdienterweise das Meiste absahnt.
Jürgen Gottschling
Bis voraussichtlich Ende Juli 2014 – Beginn 20 Uhr (sonntags 17 Uhr) Ende etwa 22 Uhr
Kartentelefon: 06221- 21069 – Fax 06221 – 28812