„Aufrechte Amerikanische Wutbürge“ stürmten das Capitol

 

Bei einem Blick in die deutschsprachige Presse könnte man meinen, es gebe keinen einzigen Grund, Donald Trump zu wählen; nur hätten das die «Make America Great Again»-Spinner nicht begriffen. Nun kann man tatsächlich der Meinung sein, dass es Trump am nötigen Mass an Integrität fürs Weisse Haus fehlt: Die Lügen, den Umgang mit Frauen, die Drohung, politische Gegner zu verfolgen, die Mär von der gestohlenen Wahl.
Dennoch wird am Dienstag die Hälfte der Stimmen auf den Ex-Präsidenten entfallen. Das lässt sich nicht allein durch Wirrköpfe erklären. Doch was bewegt vernünftige Menschen dazu, für Donald Trump zu stimmen?

 

Verblendung der Demokraten: Die Demokratische Partei hat sich in den letzten Jahren im Narrativ des strukturellen Rassismus verrannt. Während mittlerweile ein überparteilicher Konsens besteht, dass sich zum Beispiel im Justizsystem tatsächlich Dinge ändern müssen, verschrecken die Demokraten mit Schwarz-Weiss-Denken, das Kriminelle komplett aus der Verantwortung nimmt, moderate Wähler. So wurden etwa in zahlreichen demokratisch regierten Städten Straftaten entkriminalisiert. Doch wenn in Läden am helllichten Tag ungeniert Regale leer geräumt werden, profitiert nicht der afroamerikanische Familienvater, sondern Gruppen dreister Krimineller. Das ist für alle klar – ausser für eingefleischte Demokraten. Derartige Fehlentscheidungen, die im Namen der «Gerechtigkeit» stolz verteidigt werden, beschränken sich nicht aufs Justizsystem. So hat Kamala Harris Anfang Oktober À-fonds-perdu-Kredite speziell für afroamerikanische Männer versprochen, nachdem klargeworden war, dass dieses Jahr rund doppelt so viele von ihnen für Trump stimmen wollen als noch vor vier Jahren. Das Wahlversprechen ist wohl verfassungswidrig; die Kritik liess nicht lange auf sich warten. Im Nachgang «präzisierte» Harris’ Team, die Kredite würden allen offenstehen.

Freier Markt statt staatliche Inkompetenz

Versprechen der Demokraten, grössere Teile der Wirtschaft unter staatliche «Aufsicht» zu stellen, stossen nicht nur auf Begeisterung. Harris verspricht, sie werde «Preistreiberei für Alltagsgüter» verbieten. Dass in erster Linie Gestehungskosten und nicht Wucher die Preise hat steigen lassen – und viele Nahrungsmittelkonzerne heute tiefere Margen haben als vor der Pandemie –, erwähnt sie nicht. Wer zweifelt, dass im (Detail-)Handel Marktmechanismen greifen, dem sei ein Besuch in einem Costco-Supermarkt empfohlen – die Margen liegen offensichtlich tief, bei rund 10 Prozent.

Besonders heikel wird es, wenn Inkompetenz mit Ideologie kombiniert wird. Die FAA, die amerikanische Flugsicherheitsbehörde, hat viel zu wenige Fluglotsen. Diese klagen über Erschöpfungssymptome, und es gibt immer mehr Beinahezusammenstösse. Doch gut vorbereitete Anwärter werden gezielt aussortiert, wenn sie keiner Minderheit angehören. Unter der Leitung der Demokraten hat die FAA den Eignungstest als ersten Bewerbungsschritt durch einen Fragebogen ersetzt, der bewusst viel subjektiver ist. Er vergibt Punkte an Leute, die angeben, Naturwissenschaften seien ihr schlechtestes Fach. Damit sollen «Hürden» für schwarze Anwärter abgebaut werden.

Das Ende der Demokratie?

Das beste Argument gegen Trump ist der Sturm auf das Capitol – seine Wahl könnte das Ende der amerikanischen Demokratie bedeuten. Aus einem ähnlichen Kalkül begrüsste Hillary Clinton bereits vor neun Jahren Trumps Kandidatur. Laut internen E-Mails hatte sie 2015 vor, die republikanischen Präsidentschaftsanwärter in «extreme Positionen zu zwingen», um «jegliches Vertrauen in sie zu untergraben» – so dass sie keine unabhängigen Wähler für sich gewinnen können.

Trump machte es ihr einfach, und Clinton versuchte ihn während der Vorwahlen zu stärken: «Wie maximieren wir (die Chancen von) Trump?» lautete eine Brainstorming-Session in ihrem Team. Dass die Demokraten, nachdem der Plan 2016 nach hinten losgegangen ist, gemäss der «Washington Post» bis heute auf die Taktik setzen und Millionen in Werbung für extreme Trump-Kandidaten investieren, zeigt: Der Nutzen des Narrativs ist gegebenenfalls grösser als die Furcht vor dem Ende der Demokratie.

Doch die Frage ist berechtigt: Halten die Institutionen der Vereinigten Staaten Trump noch einmal vier Jahre stand? Ein Risiko, dass das nicht gelingt, besteht sicherlich. Auch die Republikaner sollten sich eingestehen: Nicht alles, was die Gegenseite sagt, ist von vornherein falsch.

Die eigentliche Gefahr

Stammesdenken ist die grösste Gefahr für das Land. Man ist sich seiner Sache so sicher, man hört die andere Seite nicht mehr an. Das hat zur Verblendung der Demokraten geführt, und es führt zu realitätsfremden Entscheiden. Zu verstehen, wieso Andersdenkende anders denken, ist zentral; ihr Standpunkt enthält unabdingbares Feedback.

Dazu gehört auch folgende Erkenntnis: Unter den Teilnehmern von Trump-Rallys, die in «Make America Great Again»-Montur auftreten, mögen zahlreiche Rassisten und Frauenhasser sein. Doch die breite Unterstützung für Trump erklärt sich damit nicht. Viele moderate Wähler sehen sich zu einer Entscheidung gezwungen – für eine Präsidentin, welche so gar nicht ihre politische Haltung widerspiegelt, oder einen Präsidenten, dessen Persönlichkeit die Demokratie gefährden könnte. Sie sind nicht zu beneiden.

Okt. 2024 | Allgemein, Essay, In vino veritas | Kommentieren