Viele Menschen wollen es am liebsten immer noch verdrängen: Spätestens aber seit Donald Trump mit seinem Sieg in mehreren US-Bundesstaaten am Super Tuesday als Präsidentschaftskandidat der Republikaner gesetzt ist, steht fest: Trump ist zurück. Dies trotz unzähliger dummdreister Äusserungen. Trotz offensichtlicher Lügen. Trotz mehrerer Strafverfahren gegen sich …

Wie konnte all das passieren?

In einem Essay über die Dummheit schriebeb wir vor einigen Monaten über Trump: „Ihn als chronischen Dummkopf darzustellen, das war ein Fehler, der anfangs sogar Barack Obama unterlief – genau das ist Trump wohl eher nicht, trotz aller intellektuellen Defizite verfügt er über einen starken Machtinstinkt und ein „sicheres Gespür für Stimmungen.“

Stimmt alles.

Viel entscheidender aber ist aus meiner Sicht etwas ganz anderes: Trump beherrscht die Kunst des sogenannten „Basic Talks“ wie kaum ein Zweiter. Er spricht in kurzen Sätzen (unter zehn Wörtern), einfach (keine Relativsätze), unoriginell, langsam und laut. Und er sagt dieselben Sätze. Immer und immer und immer wieder. Inhaltliche Qualität? Sekundär.

Das bessere Argument wird am Ende gewinnen! Das lernen Akademiker erst in der Schule, später in der Uni. In Wahrheit aber ist das ein bitterer Irrtum. Populisten aller Couleur haben das gut verstanden. Allein auf der argumentativen Ebene lassen sie sich deshalb leider nicht schlagen. Wer es dennoch versucht, scheitert unweigerlich – hierzulande ebenso wie überell in der Welt.

Nachgererade lehrbuchhaft liess sich das am Wahlkampfduell zwischen Hillary Clinton und Donald Trump verfolgen. Für ein Buch habe ich diesen stilprägenden Wahlkampf eingehend analysiert. Wie Trump es in den drei grossen TV-Konfrontationen mit Clinton geschafft hat, eine ihm intellektuell haushoch überlegene Gegnerin zu demontieren, war handwerklich-kommunikativ meisterhaft. Inhaltlich zwar katastrophal, aber methodisch First Class. Seither haben unzählige Populisten auf der ganzen Welt ihn und seine Kommunikationsmethoden kopiert.

Aktenfresserin gegen TV-Star

Bevor wir uns den Populisten in Europa zuwenden, deshalb ein Blick zurück ins Jahr 2016: Bei der ersten Debatte am 26. September in Long Island tritt Hillary Clinton in der Sache brillant auf. Nicht zufällig hat sie in ihrem Wahlkampfteam den Spitznamen „file cruncher“, Aktenfresserin. Sie kann alle relevanten Details abrufen, jederzeit. Trump hingegen hat zwar eine hohe Bühnenpräsenz – er verfügt bereits über eine enorme TV-Erfahrung –, erreicht aber Clintons Argumentationslevel so gut wie nie.

Dennoch ist es am Ende der Mann mit der zu langen Krawatte, der punkten kann. Exemplarisch lässt sich das am Thema Finanzkrise demonstrieren: Clinton formuliert den Vorwurf, er habe von der Krise persönlich profitiert. Statt diese Behauptung zu widerlegen oder sich zu rechtfertigen, greift Trump zu etwas viel Einfacherem, ungleich Wirkungsvollerem: Er raunzt vier Worte ins Mikro: „Das nennt man Business.“
Bei Clinton hat das denselben Effekt wie oft bei intellektuellen Argumentationskünstlern: Es haut sie aus der Bahn. Clinton hat in Yale gelernt, wie man grosse Wortmengen erzeugt, aber nicht, wie man das eigene Wissen auf kurze Statements herunterbricht. Ihr Lächeln, das sie in die Kamera schickt, changiert zwischen der Irritation der Intelligenteren (Unfassbar, dass ich mich mit so einem Typen herumschlagen muss.) und der Bitte um Unterstützung (Ihr seht doch, was er alles nicht kann, findet ihr das nicht auch lächerlich?). Tatsächlich ist ihr Lächeln in dieser Lage aber auch Ausdruck von Ratlosigkeit. Wenn es gar nicht um Argumente geht – ja, worum denn dann?

Gleich zweimal wirft Trump den überaus geistreichen Anwurf in den Raum:

„Sie haben überhaupt keinen Plan.“ Clintons Antwort: „Ich habe darüber in einem Buch geschrieben, das können Sie in einer Buchhandlung bekommen.“ Punkt für Trump. Denn rechtfertigen darf sie sich bei so jemandem nicht.
Hillary Clinton macht damals die Erfahrung, dass man Debatten mit populistischen Hardlinern auf intellektuelle Weise schlicht nicht gewinnen kann, selbst wenn man noch so gut vorbereitet ist. Geradezu zwanghaft fühlt sie sich veranlasst, jedes Mal die absurden Fehldarstellungen ihres Gegners in allen Einzelheiten als unzutreffend nachzuweisen.

Basic Talk gegen High Talk

Während Trump seinen Basic Talk mit grosser Selbstverständlichkeit einsetzt, bleibt sie selbst in gewisser Sturheit auf einer anderen Ebene stecken – dem sogenannten High Talk. Dieser High Talk ist Ausweis des eigenen Fachwissens, der persönlichen Bildung (Platon im Original lesen? Toll), er ist logisch, differenziert, von hoher Formulierungskraft und – selbstverständlich – originell. High Talk haben wir seinerzeit im Deutschunterricht trainiert, in roter Tinte stand da immer beim Aufsatz „Wh“ am Rand oder „A“. Doch sobald jemand im Konflikt auf Basic Talk wechselt, ist der High Talk nur noch wenig wert.

Dies empfinden Menschen mit akademischer Schulung regelmässig als Zumutung. Lieber verbrämen sie ihre verloren gegangenen Auseinandersetzungen mit moralischer Abwertung der Gegenseite: „Auf dieses Niveau lasse ich mich nicht herab!“ Dafür gibt es Zustimmung unter Gleichgesinnten. !When they go low, we go high“, so formulierte es im selben US-Wahlkampf auch die damalige First Lady Michelle Obama, die ihre moralische Überlegenheit zelebrierte. Wenn die anderen an niedere Instinkte appellieren, zeigen wir erst recht, was Anstand ist. Aber so funktioniert die Auseinandersetzung mit Populisten nicht. Moral genügt nicht!
Auch heute noch ist es nur schwer auszuhalten, sich die Videos dieses Duells bei Youtube anzuschauen. Clinton kann sich offensichtlich nicht überwinden, gegen ihren Gegner dieselben Werkzeuge einzusetzen, mit denen Trump laufend punktet. Selbst als dieser sagt: «Wir haben in diesem Land keine Führung. Und, ganz ehrlich: das fängt mit Secretary Clinton an», versucht sie ihn mit einer akribischen Aufzählung von Tatsachen zu widerlegen. Und Trump? Der hörte sich Clintons Rechtfertigungsarie ungerührt an und stellt dann lapidar fest: «Typisches Politikergerede – hört sich gut an, klappt nie.»
Was ist so schwer an der Erkenntnis, dass der Basic Talk eines Opponenten nicht mit erlesenem High Talk beantwortet werden kann, sondern nur mit bewusst eingesetztem Basic Talk? Eine Formel wie «Hört sich gut an – klappt nie» hat ihre eigene Kunstfertigkeit. Es ist tatsächlich zwar nur eine Formel, also kein Argument, keine sinnvolle Information, Lichtjahre entfernt von gehaltvollen Debatten, aber wirksam! Vor allem, wenn sie wiederholt wird. Wer um Gottes willen hindert eigentlich Demokratiefreunde und Rechtsstaatsverteidiger daran, solche effizienten Werkzeuge ebenfalls taktisch einzusetzen?
Damit es keine Missverständnisse gibt:

Basic Talk hat keinen Selbstzweck.

Er dient dazu, wieder zurückzukommen auf eine echte Argumentationsebene. Das gelingt aber nicht etwa durch Ignorieren von Basic Talk, sondern durch Kontern mit demselben Mitteln. Die Bereitschaft zuzuhören muss ziemlich oft erst einmal hergestellt werden. Sie kann nicht vorausgesetzt werden. Dieser Zusammenhang schien Clinton irgendwie entgangen zu sein.
Bekanntlich war der Geschäftsmann Trump objektiv alles andere als unentwegt erfolgreich, auch wenn seine PR das immer anders darstellte. Als er gegenüber Clinton äusserte, dass die USA von jemandem geführt werden sollten, der sich auskenne mit Geld, war das für Clinton zunächst eine grossartige Vorlage. Sie musste nur laut in die Kamera sagen: «Sie sind schon sechsmal bankrottgegangen.» Das sass. Eines der wenigen Male, wo Clinton selbst Basic Talk einfiel – sechs Worte.

Falsch, falsch und nochmal falsch

Was kann man machen, wenn man gerade so einen Treffer kassiert hat? Nun, wie wär’s mit einem noch kürzeren Basic Talk? Mit nur einem einzigen Wort? Trump hat das drauf. Seine Antwort: „Falsch.“ Aber die Opponentin lässt dieses Mal nicht nach und wiederholt ihre Aussage. Trump erwidert: „Falsch.“ Nervigerweise bleibt sie bei ihrem Vorwurf. Da kann er nur zum dritten Mal ein „Falsch“ herausposaunen.
Das muss man erst einmal durchhalten. Vorwurf – „Falsch.“ – Vorwurf – „Falsch.“ – Vorwurf – „Falsch.“ Und dann? Was macht die Opponentin, die Trump endlich in die Enge getrieben hat? Gibt das Thema auf und redet von etwas anderem. Wieder Punkt für Trump.

Bei der zweiten Debatte zwischen Clinton und Trump in St. Louis/Missouri, einem sogenannten Townhall-Meeting, gelingt Trump dann sogar noch eine Steigerung seiner Technik: Dieses Mal befindet sich das Publikum mit auf der Bühne und kann selbst Fragen stellen. Als eine Frage für Clinton kommt, geht sie an Trump vorbei, um sich der fragenden Person zu nähern – für diese ganz sicher ein schönes Zeichen von Respekt.
Für Clinton hat ihr Entgegenkommen allerdings eine unbeabsichtigte Folge: Ihr Gegner hält sich jetzt hinter ihr auf. Und damit hat sie nicht mehr auf dem Bildschirm, wie er sich da aufführt. Grimassen, abfällige Handbewegungen, ostentatives Grinsen – Kommunikation per Körperpositionierung im Raum inklusive vielsagender Gestik und Mimik. Experten nennen das „Move Talk“. Und der kann vernichtend sein. In Clintons Rücken führt Trump eine politische Choreografie auf, mit der er das Revier beherrscht. „He owned it“, wie man im amerikanischen Showbusiness sagt. Oder „he worked the room“ – er hat den Raum bearbeitet, auch das ein Begriff aus dem amerikanischen Englisch.

Wie Schuppen von den Augen gefallen

Was sie ihrem Gegner mit ihrem ungeschickten Verhalten ermöglicht hatte, merkt Clinton erst später. Wie Schuppen sei es ihr von den Augen gefallen, als sie beim Betrachten der Debatte den Ton abgestellt habe, erzählt sie nach der Wahlniederlage. Dabei ist Move Talk eigentlich ein selbstverständlicher Teil von Kommunikation. Aber wir – gebildet wie wir sind – tun flächendeckend so, als seien Verbalität und Sprache dasselbe. Und erschaffen damit in der politischen Auseinandersetzung einen monströsen blinden Fleck. Einen, der für Demokratien sehr gefährlich werden kann. Dann nämlich, wenn dieser blinde Fleck vor allem die Unterstützer der Demokratie lähmt. Wenn jemand wie Hillary Clinton nicht imstande ist, Basic oder Move Talk im eigenen Interesse einzusetzen. Oder aktuell Trumps innerparteiliche Konkurrentin Nikki Haley. Er nennt sie einfach «Birdbrain» (= Vogelhirn). Und der intelligenten Haley? Fällt nichts Vergleichbares für ihn ein.

Trumps Kommunikationsstrategie ist keine schöne Kunst

Aber: Wirksam ist sie allemal. Sie wird deshalb oft kopiert – vor allem von Populisten. Eine bekannte deutsche Repräsentantin des Basic Talk à la Trump ist Alice Weidel. Als die AfD-Politikerin in der Talkshow „Maischberger“ Ende 2022 verlangt, dass die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden sollen, trifft sie jedoch auf Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Weidel haut ein hübsches Basic-Talk-Statement heraus: „Deutschland wird hier vor die Kanone gebunden!“ (sieben Worte, beeindruckend), allerdings wiederholt sie es dann nicht. Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann kommentiert kurz darauf lakonisch: „Ich weiss nicht, wann Sie in Ihrem Leben falsch abgebogen sind.“
Zwar vier Wörter länger, aber durchaus ein Treffer. Weidel schiebt immer wieder wirksamen, aber inhaltsleeren Basic Talk nach: „Das muss man einfach – sagt sie – sagen“ (fünf Worte) oder „Das ist doch so“ (sogar nur vier). Aber als sie sofortige Friedensverhandlungen mit Putin verlangt, wird sie von Strack-Zimmermann mit einem Drei-Wort-Satz in die Knie gezwungen. Als Weidel etwas Ausweichendes zu Putin schwadroniert, fällt Strack-Zimmermann ihr ins Wort: „Machen Sie’s konkret.“ Viermal. Immer mit demselben Wortlaut. Chapeau, Strack-Zimmermann! Worauf Weigel dazu tatsächlich erst einmal nichts mehr einfällt und sie lieber von etwas anderem anfängt.

Auch Gerhard Schröder wusste in seiner Zeit als Kanzler, dass man nicht immer eine längliche Erklärung braucht, um politisch den Ton zu setzen. Unvergessen, wie die Demoskopen im Januar 2002 eine krachende Niederlage für die SPD voraussagten – und nicht wenige in der Partei damit haderten. Schröder brauchte nur einen Satz, um die Stimmung wieder zu heben: WHinten sind die Enten fett“, war seine Replik – humorvoll (gleichwohl auch ziemlich arrogant).

Demokraten sind also nicht grundsätzlich hilflos.

Sie müssen nur zu den richtigen Waffen greifen. Zum Schluss deshalb noch eine kleine Lektion aus dem echten Leben für Einsteiger im Basic Talk: Was hätte der damalige Vizekanzler Olaf Scholz sagen sollen, als ihn der bayerische Ministerpräsident anblaffte: „Sie sind nicht der König von Deutschland!“ – so geschehen in der Ministerpräsidenten-Konferenz 2021. Antwort a: „Ein kurzer Exkurs über Monarchie und Demokratie gefällig?“; Antwort b: Hinweise zu politischer Wahrnehmung generell erteilen; Antwort c: Argumentation darüber, wie wichtig das gerade laufende Meeting ist; oder Antwort d: einfach „Nö“ sagen und weiter nichts. Das wirds dann gewesen sein? Raten Sie doch  mal …

Aug 2024 | Allgemein, Essay, Gesundheit, In vino veritas | Kommentieren