Dies bekommt ihr nur in dieser Nacht, also genießt es!“, rief der Moderator den 5 000 Gästen bei einem Popkonzert im März 2021 in Barcelona zu – dem ersten seit langer Zeit der CoronaPandeemie
In der Berliner Philharmonie wagte man dann im März ein Konzert vor 1 000 Zuhörern – und keiner wurde krank. Dennoch schüren deutsche Politiker Ängste und verheddern sich in Konzeptlosigkeit.
Corona gab auch 2021 den Takt an. Zu Beginn des Jahres war die Hoffnung unter den Veranstaltern groß. Dann kamen die ersten Absagen und die Pläne B und C. Das Festspielhaus Baden-Baden etwa verschob sein Osterprogramm auf Mai. Mehr Glück hatten die Festivals im Spätsommer. Sie können darauf hoffen, dass bis dahin die meisten geimpft sind. „Mit Optimismus und großer Vorfreude“ geht Christian Kuhnt, Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF), in die Saison mit einem bunten Programm rund um Franz Schubert. 157 Konzerte, fünf „Musikfeste auf dem Lande“, zwei Kindermusikfeste und einen „Werftsommer“. Klassik, Pop, Rock, Chanson, Klezmer und Jazz. Zwei Drittel davon unter freiem Himmel an 51 Orten von Föhr bis Fehmarn und Lüneburg bis ins dänische Sonderburg.
Diesmal war nicht nur Verhandlungsgeschick mit Kommunen und Gemeinden gefragt, sondern auch viel Überzeugungsarbeit bei den örtlichen Gesundheitsämtern, sagt Jörg Plagmann, der Konzertorganisator des SHMF. Was beispielsweise auf der Freilichtbühne in Lübeck erlaubt ist, muss nicht unbedingt für den Volkspark in Flensburg, die Kulturwerft Gollan oder das Kieswerk Warder gelten – um nur einige der 79 Spielstätten zu nennen. „Die Bürokratie ist mein Partner“, lacht Plagmann. All dies wird nur unter Vorbehalt geplant und mit Blick auf die Inzidenzkurve. Und auf die Wettervorhersage, auch wenn es heißt, dass es in Schleswig-Holstein kein falsches Wetter, sondern nur falsche Kleidung gibt.
Klangvolle Verwandlung von Trabrennbahn und Co.:
Die Festivalsaison startet
Unzählige Konzerte hat Plagmann für das SHMF bereits organisiert, hunderte Bühnen auf den Wiesen adliger Herrenhäuser, den Parkanlagen und Innenhöfen der Schlösser Ahrensburg, Glücksburg, Gottorf oder Plön aufgebaut. Für großes Orchester und für Kammermusik. Mit Akustik-Profis an seiner Seite verwandelt er Orte wie die Trabrennbahn in Elmshorn, den Yachthafen des Kieler Yacht-Clubs in Strande und jetzt auch den Platz vor der Strandkorbhalle des 600 Jahre alten Nordseebads Utersum in Föhr in feinste Konzertmuscheln, so dass jeder im Publikum „Musik unmittelbar und unverfälscht erleben“ kann. Es sei ja nicht wie im Rockkonzert, wo es nur auf den „basslastigen Schalldruck“ ankomme.
Open-Air-Konzerte stellten nicht nur
in akustischer Hinsicht besondere Ansprüche
„In einem Konzerthaus liegen meist alle Genehmigungen vor. In der Regel gibt es eine feste Bestuhlung, Besucher-Toiletten, klare Verkehrswege und alle technischen Bedingungen wie Stromanschlüsse. Für alles ist gesorgt bis hin zum Parkplatz. Man kann sich ausschließlich um die Künstler kümmern.“ Auf der grünen Wiese hingegen sei erst „einmal nichts“ da. Ein Veranstaltungsplan muss her, Genehmigungen müssen eingeholt und die Feuerwehr involviert werden. Sanitäter müssen engagiert werden und Hygiene Stewarts, die beim SHMF „Hygienebeauftragte“ heißen und über eine Zusatzausbildung verfügen.
Scheinbar banale Dinge können plötzlich zum Problem werden, etwa die Frage: „Woher nehmen wir die Stühle?“ und: Wie viele müssen es sein, damit man möglichst viele Zuschauer einzeln schachbrettartig auf die Sitzplätze verteilen kann? Und manchmal auch im Duo, in eineinhalb Metern Abstand zum Nachbarn, wie Plagmann erzählt. Abstandsregeln für Orchestermusiker auf der Bühne und Plexiglaswände findet Plagmann zwar nicht schön, doch auch das „würden wir in Kauf nehmen. Hauptsache, wir spielen!“ Das schulde man dem solidarischen Publikum. „Über 800 000 Euro sind eingegangen an Spenden und vom Verzicht der Rückerstattung von Eintrittsgeldern“, sagt Kuhnt.
Wohin mit dem Chor?
Ganz anders danken die Bayreuther Festspiele ihrem treuen Publikum. Kunden, die 2020 auf eine Erstattung des Geldes verzichtet haben, bekommen jetzt den Vorzug beim Erwerb der im Allgemeinen schwer erhältlichen Tickets für die Saison 2021. Das nennt man Kundenservice! Eine Neuproduktion von „Der fliegende Holländer“ steht unter anderem auf dem Programm, das die genesene Festspielchefin Katharina Wagner nun präsentiert hat. Noch sei nicht entschieden, „ob der Chor aus dem Chorsaal übertragen wird“. Das Festspielorchester hingegen soll in gewohnter Besetzung im Orchestergraben sitzen, alle Musiker vorab auf Corona getestet werden. Bis Redaktionsschluss arbeitete man noch an einem Hygienekonzept für das Festspielhaus. Man darf gespannt sein, denn im alten Holztheater sitzt man dicht an dicht bei Lüftungsbedingungen, die auch in Zeiten ohne Corona-Virus für viele eine Zumutung sind. Wie dem Besucher des japanischen Moonlight Mobile Theater wird es dem Gast in Bayreuth allerdings nicht ergehen. Dort sitzt er nämlich einzeln in kleinen abgeschlossenen Parzellen kreisrund um die Theaterbühne und darf nur durch ein Guckloch die Aufführung verfolgen – wie in einer Peepshow.
Gute Luft garantiert das Rheingau Musik Festival. Bald wird man auf dem Cuvéehof von Schoss Johannisberg mit dem Aufbau eines Konzert-Kubus beginnen. 20 Meter breit, 45 Meter lang und 8 Meter hoch ist er und aus Holz, Glas und Metallwerkstoffen gefertigt. Eine ausgetüftelte Belüftungsanlage sorgt für Zu- und Abluft, ein 150 Quadratmeter großes Akustiksegel unter der Decke und 80 Reflektoren an der Wand sollen ein natürliches Klangerlebnis und eine „gewisse Wohnzimmeratmosphäre“ erzeugen, wie Matthias Becker, der Technikdienstleister des Festivals, versichert. Für etwa 1 200 Zuschauer ist eigentlich Platz, in Coronazeiten werden nur etwa 580 zugelassen. In Planung ist derzeit ein eigenes Schnelltest-Netzwerk für das Rhein-Main-Gebiet, das Testergebnis und Eintrittskarte digital miteinander verbindet.
192 Konzerte an 21 Spielstätten sind geplant, viele davon im Kloster Eberbach, auf der Seebühne von Schloss Vollrads und im Kurhaus Wiesbaden, vorerst aber nicht in den kleinen und charmanten Weingütern. Als Ersatz wird auf dem Gelände des Weinguts Baron Knyp-hausen in Eltville-Erbach ein Wein-Pavillon aufgestellt. Alternativ kann man den Abend in der BRITA-Arena in Wiesbaden verbringen und der Musik in einem der 1 000 Strandkörbe lauschen, die auf dem Spielfeld des Fußballstadions stehen.
Rheingau Musik Festival
Hier treiben sich die „Heidelberger-Rundschauler“
so oft wie möglich herum …
Das Rheingau Musik Festival wurde 1987 gegründet und zählt heute zu den größten Klassikfestivals in Europa. Das Programm reicht von Klassik über Jazz bis hin zu Weltmusik.