> Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hat ein Playbook zu Künstlicher Intelligenz veröffentlicht. Neun Autoren beschäftigen sich mit der Herkunft, dem Status Quo und den Herausforderungen bei der Arbeit mit KI, insbesondere mit generativer KI. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:

Es ist an der Zeit, die Gedanken zu sortieren, wenn es um das Thema Künstliche Intelligenz geht. Jeder könnte jeden Tag neue Tools testen und versuchen, sie in die eigenen Arbeitsprozesse zu integrieren, und er würde doch der Entwicklung hoffnungslos hinterherhinken. Nach eineinhalb Jahren im Umgang mit ChatGPT wird es Zeit, sich von den Einzelexperimenten zu lösen und einen strategischeren Blick auf KI zu richten. Wo scheint ihr Einsatz sinnstiftend, effizienzsteigernd oder kostensparend, und wo nicht.

 Dabei ist vor allem auch wichtig zu bemerken, dass die Fokussierung auf Tools sich meistens an bestehenden Arbeitsabläufen orientiert. Was wäre aber, wenn die Verfügbarkeit von KI ganz neue Arbeitsabläufe ermöglicht oder sogar zwingend erfordert. Salopp ausgedrückt: Was wäre, wenn man nicht über die KI-unterstütze Form des Schneidens des Youtube-Videos nachdenkt, sondern über einen ganz neuen Kanal mit KI-generierten Filmen.

Solche und ähnliche Fragen versucht das neue Playbook des BVDW zum Thema KI zu beantworten. Tatsächlich beantwortet es die Fragen gar nicht direkt, sondern liefert allerhand Methoden und Handwerkzeug, damit jeder diese Fragen für sich selbst beantworten kann. Und das ist ein starker Ansatz. Es geht weniger um konkrete Anwendungsbeispiele als vielmehr um die strukturellen Prinzipien dahinter. Ja, es geht auch ein paar Tool-Tipps, aber das steht nicht im Mittelpunkt der Arbeit von insgesamt neun Autoren.

Die große Einordnung

Kai Ebert von Syzygy hat die dankenswerte Aufgabe, einmal das ganz große Fass aufzumachen. „Die Text-to-Everything (T2X) -Technologien und generative Agenten haben sich als Schlüsseltechnologien herauskristallisiert, die die Interaktion zwischen Menschen und Computern sowie die Erzeugung digitaler Inhalte revolutionieren“, schreibt der Director of Growth. Auch wenn das vermutlich jeder weiß, aber Ebert macht deutlich, dass die Anwendungsbereiche, die wir heute sehen, nur die Spitzen der Eisberge sind.

„Die Sprachmodelle werden immer „schlauer”, menschenähnlicher und günstiger. Viele Unternehmen und Privatpersonen können sich ihren Alltag nicht mehr ohne die Unterstützung von ChatGPT vorstellen“, Mona Schäffer, KI Managerin bei der Funke Mediengruppe beobachtet die aktuelle Entwicklung. Sie leitet dies aus der Historie der KI ab. Dieses Hintergrundwissen mag für den Arbeitsalltag weniger relevant sein, man kann aber wunderbar damit am Stammtisch glänzen.

Schon deutlich konkreter, wenn auch etwas sehr techniklastig wird es bei Klaus Streller. Er strukturiert das Feld KI. Auch hier könnte man auf den ersten Blick meinen, das wäre eher weniger bedeutsam, allerdings ist es genau diese Unterschiedlichkeit der Technologien, die die weitere Entwicklung aufzeigt, hin zu spezialisierteren KI-Modellen oder zu solchen, die mit sehr wenigen Trainingsdaten auskommen. „Künstliche Intelligenz ist nicht mehr nur ein Forschungsfeld der Informatik, sondern eine Schlüsseltechnologie, die nahezu jeden Aspekt unseres Lebens beeinflusst“, meint der Senior Manager of Product Development, iq digital media marketing GmbH.

Auch Pia Schreiber von der Construktiv GmbH widmet sich der Einordnung und Klassifizierung, wird aber bereits ziemlich konkret: „Bestes Beispiel ist da die Kund*innen-Segmentation im Marketing: durch eine unüberwacht lernende KI ist es möglich, Kundengruppierungen auszumachen, die man bei einer vorherigen Klassifizierung nicht mitgedacht hätte“, schreibt die Senior Content Specialist.

Strategischer Einsatz

„Ein strukturierter Ansatz zur Auswahl und Implementierung der richtigen KI-Lösung ist daher entscheidend“, meint Katharina Jäger, Head of Innovation & Technology beim BVDW. Hier beginnt der wohl wichtigste Teil des Playbooks, in dem konkrete Strategien und Methoden erarbeitet werden, wie man KI-Einsatzfelder auswählt, aber auch wie man die Künstliche Intelligenz implementiert. „Es ist wichtig, Kolleginnen, Freundinnen und Geschäftspartner*innen einzubeziehen und ihnen die Funktionsweise der Tools zu erklären sowie Wachstumsperspektiven aufzuzeigen“, meint Fabian Goebel, Partner bei The Nunatak Group. In seinem Beitrag zeigt Goebel auch eine Reihe von bekannten und weniger bekannten Tools und beschreibt deren Einsatzbereich.

Apropos Einsatzbereich:

Bosse Küllenberg, Geschäftsführer Technology & Operations bei Pilot Hamburg lenkt das Augenmerk auf eines der größten Probleme, die Unternehmen derzeit im Umgang mit KI haben: Wie implementiert und orchestriert man die stetig wachsende Tool-Landschaft. „Durch die Kombination von schmaler KI mit Prozessorchestrierung können Unternehmen komplexe Aufgaben automatisieren und ihre Prozesseffizienz erheblich steigern“, so Küllenberg.

KI, Recht und Ethik

Natürlich dürfen auch die großen Herausforderungen im Umgang mit Künstlicher Intelligenz nicht außen vor bleiben. Marian Klingebiel, Rechtsanwalt bei Unverzagt Rechtsanwälte wird angenehm konkret, will seinen Beitrag aber nicht als Rechtsberatung verstanden wissen. „Zumindest so umfangreiche Prompts, bei denen der Nutzer selbst den kreativen Input liefert und gestalterische Entscheidungen trifft, können selbst urheberrechtlich geschützt sein“. Will sagen: Kreative tun gut daran, ihre Arbeit mit KI zu dokumentieren.

Abschliessend widmet sich Simon Erdmann den wichtigsten Legenden und Mythen rund um das Thema. „Nein, Künstliche Intelligenz hat keine Seele und kein Bewusstsein im menschlichen Sinne“, schreibt der frühere Lead Product Owner von Basilicom, der das Unternehmen zum 31. 3. 2024 verlassen hat. Das mag zum Schmunzeln anregen, aber wer viel über KI diskutiert, wird auch im vermeintlich so digitalen Berufsumfeld viele sehr merkwürdige Thesen zu hören bekommen. Bis hin zum Klassiker des Internets: Das geht schon wieder weg.

In der Pressemitteilung zur Veröffentlichung des Playbooks, das bei BVDW kostenlos bezogen werden kann, fast Vizepräsidentin Eva Werle zusammen: „Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel zur Zukunft und unser KI-Playbook öffnet diese Tür für Unternehmen”, sagt die CEO der Basilicom GmbH. „Es bietet das notwendige Wissen und die Werkzeuge, um KI nicht nur erfolgreich, sondern auch ethisch und nachhaltig einzusetzen.”.

Gibt es am Playbook? Giibt es an alledem vielleicht doch etwas auszusetzen? Vielleicht eine Kleinigkeit. Am Storytelling könnte man vor allem an den Anfängen der Beiträge noch etwas feilen. Formulierungen wie „Im Nachfolgenden diskutieren wir …“, klingen doch sehr  – naja – akademisch. Aber vielleicht ist selbst das noch ein Learning fällig: Selten nämlich war der Bedarf nach lebenslangem Lernen deutlicher spürbar als heute.

Jun 2024 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau | Kommentieren