Papst Franziskus hat bei der Frühjahrstagung der italienischen Bischöfe Homosexuelle beleidigt. Ihre angeblichen Umtriebe an Priesterseminaren hat er als „frociaggine“ (etwa: Schwuchtelei) bezeichnet. Man muss sich schon sehr verrenken, um die Bezeichnung „froci“ (Schwuchtel) oder „frociaggine“ nicht als homophob zu erkennen. Das gilt fürs Italienische wie fürs Deutsche.

Der amerikanische „vaticanista“ John L. Allen betreibt in Rom die Website „Crux“ und tritt regelmäßig als Kommentator für Fernsehsender wie CNN auf, wenn es aus dem Vatikan etwas Aktuelles über die Weltkirche zu erklären gibt.

Im Zusammenhang mit dem Skandal um die päpstliche Verunglimpfung von Homosexuellen hat Allen, der keineswegs zur Squadra der erzkonservativen Papstkritiker in den USA gehört, auf ein wichtiges Medienphänomen hingewiesen: Er nennt es das „PR Safety Net“ von Papst Franziskus. Darunter versteht er die ganz überwiegend wohlwollende Berichterstattung des Mainstreams über den Papst, der so etwas wie ein mediales Sicherheitsnetz um „seinen“ Franziskus errichtet hat. Wie diese PR-Schutzmauer funktioniert, kann man beispielhaft am Umgang mit dem jüngsten Homophobieskandal erkennen.

Reformvorschlag der Bischöfe abgelehnt

Gefallen ist die Aussage von der „Schwuchtelei“ am 20. Mai vor gut 200 Bischöfen aus allen Teilen Italiens. Es ging bei der Tagung um mancherlei Krisen, mit denen die katholische Kirche auch im „Mutterland“ des Vatikans zu kämpfen hat. Zum Beispiel um den Priester- beziehungsweise Nachwuchsmangel. Bei ihrer vorherigen Tagung hatten die Bischöfe einen Vorschlag zur Reform der Richtlinien zur Aufnahme von Priesteranwärtern verabschiedet. Danach soll auch homosexuellen Männern der Zugang zum geweihten Leben und zum Priesterseminar gewährt werden, wenn deren sexuelle Veranlagung „nicht tief sitzend“ ist. Wenn sie mithin die Bereitschaft und die Fähigkeit erkennen lassen, ihre Sexualität nicht „auszuleben“ und ein keusches und zölibatäres Klerikerleben zu führen. So wie es die Kirche auch von heterosexuell veranlagten jungen Männern auf dem Weg zum Weiheamt erwartet und verlangt.

Papst Franziskus urteilte bei der Tagung (noch) nicht abschließend über den Vorschlag der italienischen Bischofskonferenz, die gewiss nicht zu den progressivsten unter den nationalen Bischofskonferenzen Europas zählt. Die geplante vorsichtige Reform wird im Vatikan vom zuständigen Dikasterium für den Klerus geprüft. Doch die Warnung des Papstes, es gebe schon jetzt zu viel „Schwuchtelei“ an den Priesterseminaren und man solle junge Männer auch mit „nicht tief sitzender“ homosexueller Tendenz von diesen fernhalten, kann man als Präjudiz für eine künftige Entscheidung verstehen.

Papstsprecher verharmlost den Vorfall

Nicht genug damit, dass schon der Versuch einer „kirchenamtlichen“ Unterscheidung zwischen „tief sitzender“ und „nicht tief sitzender“ (homo)sexueller Veranlagung lachhaft ist, sah sich der Papst auch noch zum Gebrauch des Schmähwortes „Schwuchtelei“ veranlasst. Was von Teilnehmern der Bischofsversammlung an die Medien durchgestochen wurde. Auf die Empörung, zumal von Betroffenen wie dem ehemaligen Priester und jetzigen LGBTQ-Aktivisten Francesco Lepore, der sich fassungslos über das „vulgäre Kneipengeschwätz“ des Papstes zeigte, folgte eine halbherzige Entschuldigung des Papstsprechers Matteo Bruni. Und zwar nicht für die ausfällige Sprache des Papstes selbst, sondern „für die Verwendung eines Begriffs, der von anderen wiedergegeben wurde“. Als ob die „Wiedergabe“ des Schimpfworts durch die Medien und nicht das vom Papst gebrauchte Schimpfwort selbst das Problem wäre.

Schon zuvor hatten sich dem Papst wohlgesinnte Medien, darunter Zeitungen wie die „Repubblica“ und der „Corriere della Sera“, um eine Exkulpation „ihres“ Papstes bemüht, mit dem sie sich mit Blick auf dessen Haltung in der Klima- und Mi­grationskrise in harmonischer Übereinstimmung wissen. Es habe sich um einen sprachlichen Fehlgriff des Papstes aus Argentinien im Italienischen gehandelt, dessen Muttersprache bekanntlich das Spanische sei, hieß es. Nur dass Franziskus in seiner jüngst erschienenen Autobiographie selbst bezeugt, als Nachfahre italienischer Einwanderer sei seine erste Muttersprache eben doch das Italienische gewesen, und zwar der piemontesische Dialekt seiner Großmutter. Es ist mithin eine politisch-medial motivierte Schutzbehauptung, Franziskus habe nicht wissen können, welche Beleidigung er mit dem Wort „frociaggine“ (Schwuchtelei) da ausspreche. Man stelle sich den Sturm der Entrüstung vor, ein als rechts oder auch nur als konservativ etikettierter Kleriker oder Politiker hätte vor 200 Leuten Homosexuelle als „Schwuchteln“ tituliert.

Katholische Kirche verwickelt sich in Widersprüchen

Umgekehrt war der vermeintlich linke Franziskus im Juli 2013 von den Mainstream-Medien dafür bejubelt worden, als er auf dem Rückflug vom Weltjugendtag in Rio de Janeiro auf die Frage von mitreisenden Journalisten zu seiner Haltung zur Homosexualität geantwortet hatte: „Wenn einer schwul ist und den Herrn sucht und guten Willens ist – wer bin ich, ihn zu verurteilen?“ Dabei hatte schon der „rechte“ Papst Benedikt XVI. 2005 in einer Instruktion zur Ausbildung von Klerikern festgelegt, dass Menschen mit „tief sitzenden homosexuellen Tendenzen“ stets „mit Achtung und Takt“ zu begegnen sei und man sich zu hüten habe, „sie in irgendeiner Weise ungerecht zurückzusetzen“; nur hätten sie eben an Priesterseminaren nichts zu suchen.

So sprach vor fast zwei Jahrzehnten der „konservative“ Papst Benedikt XVI. Und so spricht, in der Substanz, heute der „progressive“ Papst Franziskus und reagiert dazu auf den Vorschlag der italienischen Bischöfe, wenigstens Homosexuelle mit „nicht tief sitzender“ Veranlagung an Priesterseminare zuzulassen, mit allergisch-vulgärer Ablehnung. Der mediale Aufschrei, der für die homophobe Ausfälligkeit eines „alten weißen Mannes“ eigentlich fällig wäre, bleibt aus: Das „PR-Sicherheitsnetz“, von dem John L. Allen spricht, hat das Hätschelkind vieler Medien wieder einmal aufgefangen.

 

Juni 2024 | Allgemein, Essay, In vino veritas | Kommentieren