Mann monologisiert, Frau hört zu?
Im Laufe der Jahre ist es mir immer wieder passiert, dass männliche Kollegen über meine Arbeit hinweggingen. Das lief meistens so ab: Wir trafen uns in irgendeinem Café oder Restaurant und ich erkundigte mich im Laufe des Gesprächs höflich nach dem Stand der Arbeit meines Gegenübers. Der Kollege hob dann in der Regel zu einem ellenlangen Monolog an: über seine Forschung und über die Recherchen, die er dafür anstellen wollte. Ich stellte interessierte Nachfragen zum jeweiligen Vorhaben und bestärkte, indem ich Literaturtipps gab. Danach hatte ich immer ein merkwürdiges Gefühl, konnte aber nicht genau sagen, was falsch war.
Erst jetzt verstehe ich, dass mein Unwohlsein von der Tatsache herrührte, dass es bei diesen Treffen niemals oder nur ganz am Rande um meine Arbeit ging. Auch wenn gerade eine Publikation von mir erschienen war, die kaum an meinen jeweiligen Kollegen gänzlich vorbeigegangen sein durfte, fragten sie mich nicht danach. Ich versuchte, die Männer gedanklich zu verteidigen, dachte, dass sie meine Arbeit vielleicht insgeheim kritisierten und aus Taktgefühl nichts sagten, um mich nicht zu verunsichern.
Heute glaube ich aber, dass ihre Ignoranz System hat und nicht unbedingt mir persönlich gilt. Immerhin kommen bei diesen Männern – in meiner Beobachtung – Frauen generell nicht vor. Die Texte von als Frauen gelesenen Personen übersehen sie, als kämen sie als Referenz für sie gar nicht in Betracht, stattdessen beziehen sie sich fast ausschließlich auf die Arbeiten ihrer männlichen Kollegen. Das ist einigermaßen erstaunlich angesichts der Tatsache, dass weibliche Stimmen in unserem Feld der Kunstgeschichte keine Ausnahmeerscheinung sind.
Ich ärgere mich, dass ich so oft höflich geblieben bin. Wütend und lautstark hätte ich meinen männlichen Kollegen das Übergehen meiner Arbeit und der Werke von anderen Frauen an den Kopf werfen müssen, vielleicht hätte ich sogar aus Protest aufspringen und aus den Cafés oder Restaurants stürmen sollen. Aber als Frau neigt man dazu, noch angesichts von Unzumutbarkeiten well behaved zu bleiben. Dies bestätigt der Dokumentarfilm Feministinnen – was haben sie sich dabei gedacht von 2018, in dem es die Kämpferinnen für Frauenrechte der 1970er vor allem bereuen, ihre Wut damals nicht ausgelebt zu haben. Wahrscheinlich bin ich wie meine Vorgängerinnen eine Gefangene meiner Erziehung und weiblichen Sozialisation.
Womöglich war es aber auch strategisch klüger von mir, mich cool und souverän zu geben angesichts des herabwürdigenden Verhaltens. Denn auf diese Weise gab ich zu verstehen, dass mir ihr Desinteresse gar nichts ausmachte, da ich über andere Unterstützungsinstanzen verfüge, die mir viel mehr bedeuten. Und das trifft auch zu, denn ich brauche die Anerkennung von Männern nicht. Nur wieso entmutigt mich ihre Missachtung dennoch immer wieder?
Ich erzähle ein paar Freundinnen und Kolleginnen von meinen Gedanken. Sie berichten von ähnlichen Erfahrungen, auch ihre Texte und Bücher werden von ihren männlichen Kollegen häufig ignoriert. So als gäbe es die gar nicht. Es liegt also nicht an mir persönlich. Klar, es gibt Ausnahmen, Männer, die sich für unsere Arbeit interessieren, sie sogar unterstützen und fördern. Und es gibt natürlich auch Kolleginnen, die alles ignorieren, was andere machen. In der Mehrheit sind es jedoch Männer – und dabei leider oft jene, die sich für „progressiv“ und „feministisch“ halten –, die unsere Bücher und Texte grundsätzlich übergehen. Dahinter muss nicht unbedingt böse Absicht stecken, oft ignorieren sie – das ist unser Eindruck – die Werke von Frauen unbewusst. Was es freilich nicht besser macht.
Meine Freundinnen und ich einigen uns darauf, dass es sich um eine reflexhafte sexistische Abwehrstrategie handeln muss, mit der einige Männer auf als bedrohlich oder übermächtig empfundene intellektuelle Frauen reagieren. Mit dieser Methode des Nicht-zur-Kenntnis-Nehmens halten sie sich uns als Konkurrentinnen vom Leib. Denn wenn wir nichts Relevantes produzieren, dann können wir ihnen nicht gefährlich werden.
Abends um 10 nach 8 wird Abseitiges relevant, Etabliertes hinterfragt und Unsichtbares offenbart.
Wir sind ein vielseitiges Autorinnenkollektiv. Wir schreiben selbst und suchen nach Texten, die neue Welten erschließen oder altbekannte in neuem Licht erscheinen lassen. Wir laden Schriftstellerinnen, Journalistinnen und Wissenschaftlerinnen, aber auch Expertinnen spezieller Fachgebiete ein, mit und für uns zu schreiben; bei uns kommen Gastautorinnen zu Wort, die in ihren Ländern nicht mehr publizieren dürfen oder aus deren Ländern gerade kaum berichtet wird. Wir sind neugierig auf neue Sichtweisen, neue Erzählungen, Text für Text, bei uns, zweimal pro Woche, immer um 10 nach 8.
Wie lässt sich jedoch diese Mauer des Ignoriert-Werdens durchbrechen? Wir erinnern uns an Fälle, in denen sich diese Mauer als durchlässig erwies. In der bildenden Kunst regierte zum Beispiel lange Zeit das Prinzip „Ausnahmefrau“, das heißt: Pro künstlerischer Formation wurde eine markterfolgreiche Künstlerin zugelassen, wie etwa Meret Oppenheim im Surrealismus oder Helen Frankenthaler im abstrakten Expressionismus. Diese Künstlerinnen wurden integriert unter der Bedingung, dass sie eine Ausnahme bleiben, sodass sie den Männern andere Frauen, die diesen Platz ebenso verdient hätten, ersparten. Dieses Strukturgesetz dominierte bis in die Achtzigerjahre und wurde erst mit dem Aufkommen der Appropriation Art in den USA obsolet, innerhalb derer einige Künstlerinnen erfolgreich waren. Von da an konnten mehrere Frauen innerhalb einer künstlerischen Formation erfolgreich sein.
Orientierung an weiblichen Vorbildern
Nur: In welchem Ausmaß die eigene Arbeit übergangen wird, ist auch eine Frage des Alters. Meiner Beobachtung nach gelingt es vor allem jüngeren Frauen, ältere Männer mit Machtpositionen als Fürsprecher zu gewinnen. Letztere haben aber auch etwas davon, wenn sie junge Frauen fördern – sie können sich mit ihnen schmücken. Für die junge Frau ist das ein zweischneidiges Schwert. Denn sie weiß, dass sie nicht nur aufgrund ihrer Arbeitsleistung, sondern ebenso aufgrund ihres jugendlichen Aussehens unterstützt wird. Sie kann sich des Werts ihrer Arbeit also nie sicher sein. Bei älteren Frauen funktioniert dieses Fürsprechertum nicht mehr, was Vorteile hat. Man ist zum Beispiel unabhängiger. Doch zugleich gelten ältere Frauen aufgrund von Altersdiskriminierung als weniger attraktiv, und deshalb wird auch ihre intellektuelle Leistung geringer geschätzt oder unsichtbar gemacht. Als ob ein überzeugender Gedanke nur von prallen Lippen formuliert werden könnte.
Dem entgegenwirken können informelle Frauengruppierungen, die auf gegenseitige Förderung und Unterstützung basieren. Diesen losen Gruppierungen liegen oft Freundschaften und inhaltliche Übereinkünfte zugrunde. Man schätzt die Arbeit der anderen und geht gelegentlich gemeinsam essen, um Pläne zu schmieden. Manchmal kommt es auch zu Treffen in größerer Runde, in denen man sich austauscht und abspricht. Wenn meine Kolleginnen und ich beispielsweise Konferenzen organisieren, achten wir darauf, dass wir vor allem Wissenschaftlerinnen einladen, deren Arbeit uns interessiert und begeistert. Auch unsere Texte lesen wir füreinander Korrektur, wir ermutigen uns gegenseitig zu Forschungsvorhaben, informieren uns über frei werdende Stellen und betätigen uns als Mentorinnen für jüngere Kolleginnen.
Das Problem dabei ist jedoch, dass die von Frauen gebildeten Gruppierungen über keine dem Male Bonding – also der wechselseitigen Unterstützung von Männern im beruflichen Kontext – vergleichbare Tradition verfügen und deshalb weniger gut eingespielt sind. Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem die Frauen meiner Generation (und hier nehme ich mich selbst nicht aus) so stark durch das Patriarchat geprägt worden sind, dass sie sich in jungen Jahren oft in erster Linie auf männliche Autoritäten fixierten, deren Zuspruch ihnen wichtiger war als der ihrer Kolleginnen. Der Grund dafür ist simpel: Bei den Männern lag die kulturelle Macht und an der wollten Frauen teilhaben. Das hat ja auch bis zu einem gewissen Grad funktioniert. In meinem Fall hat es jedenfalls lange gedauert, bis ich mich von meiner Fixierung auf vermeintlich „mächtige Männer“ befreit habe. Heute orientiere ich mich in erster Linie an weiblichen Vorbildern.
Zudem wird die Bildung von Frauengruppierungen auch durch überzogene Erwartungen erschwert. Entgegen der von uns Feministinnen oft propagierten Vorstellungen herrschen innerhalb solcher Zusammenhänge keine paradiesischen Zustände. Denn selbstverständlich gibt es auch unter Frauen Hierarchien, Machtbeziehungen und Ausgrenzungen, wie Jo Freeman bereits 1976 in ihrem Text über die Dark Side of Sisterhood festgestellt hat. In diesem bahnbrechenden Essay berichtet Freeman davon, wie vor allem die in irgendeiner Form herausragenden Frauen von anderen Frauen für ihr achievement bestraft und abgekapselt wurden. Was natürlich eine Folge des Patriarchats ist, in dem Frauen traditionell gegeneinander ausgespielt und voneinander isoliert werden. Zugleich werden Frauengruppen ja gegründet, um ebensolche Strukturen zu überwinden. Das kann also kein Argument sein gegen das Knüpfen tragfähiger Beziehungen unter Frauen.
Auf eine aktuelle Spielart des gegenseitigen „trashings“ (Freeman) beziehungsweise Sich-Niedermachens von Frauen hat kürzlich die Sängerin Pink auf YouTube aufmerksam gemacht. Statt sie zu ihrem neuen Album zu befragen, wollte ein Journalist von ihr wissen, was sie vom operierten Gesicht von Madonna halte. Pink weigerte sich, gegen Madonna in Stellung gebracht zu werden, und konstatierte: „We still are plotted against each other.“ Statt wie verlangt einmal mehr auf Madonnas Aussehen herumzuhacken, forderte Pink Respekt für ihre Vorreiterinnen ein, deren Kämpfe ihr und uns allen den Weg geebnet haben. Hier zeigt sich die Möglichkeit einer Solidarität unter Frauen, die den Aufruf zu Spaltung und Rivalität verweigert.
Nur: Wer hat denn überhaupt Zeit für die Bildung von Frauengruppen? Alle Kulturarbeiterinnen, die ich kenne (mich eingeschlossen), sind hoffnungslos überlastet und dauererschöpft. Niemand hat Kapazitäten für zusätzliche Verpflichtungen oder gar Gruppenarbeit, obwohl sich alle danach sehnen und sich tendenziell isoliert fühlen. Ich erinnere mich an einige feministische Initiativen, an denen ich beteiligt war. Alle sind irgendwann versandet, weil es nicht möglich war, einen gemeinsamen Termin für ein Treffen zu finden.
Unter diesen Bedingungen muss man sich vielleicht mit weniger zufriedengeben, mit kleinformatigen Zusammenschlüssen, mit kurzen Treffen und Telefonaten mit befreundeten Kolleginnen. Meiner Erfahrung nach genügt das manchmal schon, um ein Wunder zu bewirken. Indem wir uns mit Interesse begegnen, uns für die Arbeitsvorhaben der anderen interessieren, schaffen wir uns selbst, was wir so dringend brauchen: Anerkennung und einen Resonanzraum. Denn wer weiß, ob uns alle unsere männlichen Kollegen jemals als gleichwertiges Gegenüber respektieren werden. Falls es eines Tages doch gelingen sollte, dass sich gestresste Kulturarbeiterinnen in größeren Gruppenzusammenhängen engagieren, werden wir unsere eigenen Anerkennungsinstanzen weit vorantreiben. So weit, dass uns der Beifall der uns vormals ignorierenden Kollegen gar nicht mehr wichtig sein wird.
Ich bin erst relativ kurz Abonnent. Bei der ZEIT deswegen weil ich eigentlich dachte, sie sei ausgewogener und weniger erzieherisch als andere Medien. Nach dem x-ten Artikel in diesem männerkritischen Ton frage ich mich nun aber langsam, ob die Redaktion der ZEIT nicht ein bisschen zur Misandrie neigt. Ich habe während meiner Abo Zeit gefühlt mindestens 20 – 30 männerkritische Artikel wahrgenommen, an einen frauenkritischen Artikel kann ich mich dagegen gar nicht erinnern. Und Entschuldigung, dass alle Männer alles falsch und alle Frauen alles richtig machen, daran glaube ich nicht.
Hab den Artikel nicht gelesen, weil er mir, als emanzipiertem Mann, zu sehr nach Womansplaining aussieht.
anekdotische Evidenz, getrieben vom eigenen Bias
Schön, diese verallgemeinernden Vorurteile. Und ich dachte immer, Frauen hören sich am liebsten reden und wissen immer alles besser. Meine Erfahrungen im privaten Bereich. Sind diese jetzt auch allgemeingültig?
Ein unglaublicher Artikel. Davon sollte es Hunderte geben!
Leider gibt es Tausende davon..
„In diesem bahnbrechenden Essay berichtet Freeman davon, wie vor allem die in irgendeiner Form herausragenden Frauen von anderen Frauen für ihr achievement bestraft und abgekapselt wurden. Was natürlich eine Folge des Patriarchats ist, in dem Frauen traditionell gegeneinander ausgespielt und voneinander isoliert werden“
uff. Was für ein unbewiesener, sexistischer Quatsch. Hauptsache nochmal irgendwo Patriarchat untergebracht, damit Frauen ja nicht die Verantwortung für das eigene Verhalten übernehmen müssen. Wenn man in Wissenschaftsbetrieb arbeitet, muss einem doch bekannt sein, dass man nicht einfach irgendwelche Sachen behaupten kann. Oh je, oh je, ich habe eine Ahnung, warum die Autorin nicht auf ihre Publikationen angesprochen wird.
Wer sich pathologisch ignoriert fühlt ist entweder uninteressant oder sollte mal professionelle Hilfe aufsuchen.
Was ich denke? Dass manche Frauen mal mit dem Gejammer aufhören sollten. Wenn ich mich mit einem Gesprächspartner treffe, der sich offensichtlich nur für sich interessiert-egal ob m/w/ , breche ich das ab.
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