Es gibt ein Bild von Caspar David Friedrich, das die vier Elemente zum Stillstand bringt. Im Gemälde «Das Grosse Gehege», das die Landschaft am Südufer der Elbe bei Dresden zeigt, sehen wir eine ruhig vor uns liegende Abendszenerie. Wie Feuer verglüht der Himmel über weiter Ebene mit Schwemmgebiet, Baumgruppen und Wiesenflächen. Das Abendgold, dieses Nachleuchten der Luft, schimmert blässlich in den schon verschatteten, labyrinthischen Windungen des Gewässers. Passend zur Abendstille steht auch das Wasser still. Und die Erde schweigt, während die Luft im Laub der dunkel sich vom Hintergrund abhebenden Baumkronen flüstert.
In diesem Flüstern vernimmt der Kunsthistoriker Florian Illies ein Geheimnis. Es ist dasjenige von Caspar David Friedrichs Kunst. Und Illies erzählt es uns in seinem Epochenporträt «Zauber der Stille: Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten». So heisst es zu dem Landschaftsbild, das als Krönung von Friedrichs Spätwerk gilt: «Friedrich lässt hier aus dem Tosen der vier Elemente plötzlich den Zauber der Stille entstehen.»

Unbesehen von der Welt hing das «Grosse Gehege» Anfang des 20. Jahrhunderts in einem Barockschloss in der Oberlausitz: genauer im Damenstift von Joachimstein, einem Seniorenheim für adlige Dresdner Frauen, im kleinen Zimmer über dem Bett der Gräfin Sophie Elisabeth von Nostitz und Jänkendorf. Aufgespürt wurde es dort 1909 von einem Norweger. Andreas Aubert war ein Kunstforschungsreisender auf den Spuren von Caspar David Friedrich. Ihm ist es zu verdanken, dass das Bild heute im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden bewundert werden kann.

Begeistert von dem Werk und gleichzeitig auch etwas besorgt, fragte Andreas Aubert auch nach einer Feuerversicherung. Und aufgeschreckt durch diesen Hinweis – es war damals noch die Zeit, als Kerzen umfielen oder Lampen durchbrannten –, gab die Stiftsdame das Bild bald zurück nach Dresden, wo es 1832 gemalt worden war, um es einschätzen zu lassen und schliesslich dem Dresdner Museum zu verkaufen. Dort war es gut aufgehoben und nun auch feuerversichert, als 1945 die Russen das Damenstift brandschatzten und sich am Feuer der lichterloh brennenden Keilrahmen und Leinwände anderer Gemälde wärmten.

Friedrichs Feuer-Vision

Das alles schildert Florian Illies unter der Überschrift «Feuer». Denn sein geistreiches und elegant geschriebenes Buch, dem unter anderem die authentischen schriftlichen Zeugnisse des Künstlers zugrunde liegen, ist in vier grosse Kapitel zu den vier Elementen gegliedert. Und so schreibt Illies im Feuer-Teil vor allem auch von bitteren Verlusten: von Bildern Friedrichs, die in den Flammen verlorengegangen waren.

Da wäre der Brand des Münchner Glaspalasts von 1931, just als eine Ausstellung mit Werken deutscher Romantiker gefeiert wurde – 110 der schönsten Bilder, geliehen aus den besten Museen. Mit ihnen verglommen im Inferno neun Gemälde Caspar David Friedrichs, darunter die «Abendstunde» mit Frau und Tochter oder das «Herbstbild» mit einem armen Mann, der auf verlassenen Feldern Äste sammelt, um sich ein Feuer anzünden zu können.

Zu Asche wurden auch zwei Werke Friedrichs im Kunsthistorischen Seminar der Leipziger Universität, als 1943 die Feuerwalze der britischen Brandbomben die ganze Leipziger Innenstadt zerstörte. Und als verbrannt gelten Friedrichs «Klosterfriedhof im Schnee», «Nordlicht» und «Gebirgshütte im Nebel». Sie befanden sich im Mai 1945, als die Sowjets Berlin einnahmen, im Flakturm Friedrichshain, zusammen mit 434 weiteren Meisterwerken, darunter solchen von Caravaggio, Rubens und van Dyck. Die ständigen Feuer in der Stadt verwandelten den Bunker in einen Hochofen.

Friedrich sei besessen gewesen vom Feuer, liest man bei Illies. «Riecht er bei seinen Spaziergängen morgens und abends Rauch, dann gerät er in Panik. Kaum einer seiner Briefe an die Brüder endet ohne den Hinweis auf einen Brand.» Als ob er vorausgeahnt hätte, was so vielen seiner Werke widerfahren würde, liess Friedrich 1835 Neubrandenburg, die Stadt seiner Ahnen, in Flammen aufgehen. Sein vermutlich letztes Bild in Öl zeigt die Silhouette der Stadt unter prächtigem Abendhimmel: Aus der Marienkirche aber schlagen die Flammen empor.

«Es ist ein verstörendes Bild», schreibt Illies. «Denn Friedrich hat Neubrandenburg heiss geliebt. Und es hat dort zu seinen Lebzeiten nie gebrannt.» Friedrich soll überdies alle Bücher und alle Briefe, die er je erhalten hatte, 1840 kurz vor seinem Tod im Ofen verbrannt haben. Nach seinem Ableben geriet er rasch in Vergessenheit. Am Ende des 19. Jahrhunderts kannte niemand mehr den Namen dieses grossen Malers der deutschen Romantik. Industrialisierung und Moderne hatten Friedrich altmodisch werden lassen. Rainer Maria Rilke, der die erste Wiederentdecker-Generation vertritt, beklagte etwa, die Geschichte sei eben das Verzeichnis der Zufrühgekommenen.

Die zweite Generation, die Nationalsozialisten, versuchten dann, Friedrich als Maler des Deutschtums zu vereinnahmen. Für Hitler waren Friedrichs Gemälde aber doch zu schwermütig, «zu bedeutungsoffen», wie es Illies formuliert: «Man ist sich nie ganz klar, ob sie die deutsche Seele eigentlich wirklich erheben – oder nicht doch eher ein bisschen runterziehen.»

Urknall der Romantik

«Caspar David Friedrich (Bild) atmet Natur ein, um sie als Kunst wieder auszuatmen», schreibt Illies. Und tatsächlich war Friedrich auch ein grosser Luft-Maler. Bei einer solchen Übung dürfte das berühmteste Friedrich-Bild überhaupt, der «Wanderer über dem Nebelmeer» entstanden sein, wie sich Illies im Luft-Kapitel seiner schillernden Anekdotensammlung ausmalt: «Jetzt darf man ihn nicht stören, denn wissen Sie, Himmelmalen ist für ihn wie Gottesdienst», könnte seine Gattin zu den Gästen gesagt haben, wenn sie jeweils in Friedrichs Atelier in Dresden zu Besuch kamen.

Das Wohnhaus hatte die Adresse An der Elbe 33. Es war am Fluss Elbe, nah am Wasser, gebaut. Und im Kapitel «Wasser» wird schliesslich die Entstehung seines wohl kühnsten Werks dargestellt: Im Jahr 1810 malt Friedrich den «Mönch am Meer». Land, Meer, Himmel: Das Bild ist in klarer Einfachheit horizontal in diese drei Elemente geteilt.

Friedrich himmelt den Himmel an, die Sterne, die Planeten und den Mond. Er verehrt diese himmlischen Regenten. Alle seine Himmel und all seine Lüfte erzählten von seinem ungestillten metaphysischen Hunger, heisst es bei Illies. Und vielleicht könne sich deshalb unsere Sehnsucht auch 200 Jahre später noch immer nicht daran sattsehen.

Er habe jedoch nicht an die Macht des Himmels geglaubt, sondern nur an diejenige Gottes, schreibt der Autor weiter. Zu Friedrichs Glaube aber gehörte auch der Zweifel. Und nie zuvor seien das Zweifeln an Gott, die Nichtigkeit des Einzelnen und seine Verlorenheit angesichts der Urkräfte der Natur kompromissloser dargestellt worden als in seinem Mönch am Meeresstrand: «Das ist der Urknall der Romantik.»

Abgründige Romantik

Monatelang soll sich Friedrich mit diesem Rothko avant la lettre herumgequält haben, in dem Florian Illies nicht zuletzt auch die Keimzelle der abstrakten Malerei sieht. Besucher in Friedrichs Atelier sollen das Bild in der Zeit seiner Entstehung beschrieben haben, «und offenbar sieht es ständig anders aus. Erst ist es Nacht, dann Tag. Erst gibt es viele Boote auf dem Meer, dann übermalt Friedrich sie wieder.» Von Woche zu Woche habe sich das Werk radikalisiert, bis am Ende nur noch der Mönch übrig gewesen sei und über ihm dreizehn Möwen. «Ein bisschen Sand, viel Wasser und dann der unendliche Himmel, der alles wie ein Schlund zu verschlingen scheint.»

Die Figur sei natürlich ein Selbstbildnis, so interpretiert Illies dieses Meisterwerk – der Mönch als Verführer und Verführter zugleich: «Gott hat ihn gelockt und dann allein gelassen – und nun verführt er uns, auf dass wir uns mit ihm in seinen abgründigen Strudel stürzen.» Im «Mönch am Meer» soll Heinrich von Kleist die Apokalypse gesehen haben, wie Illies schreibt. Dann erschoss sich Kleist mit einer Pistole. Und Illies selber gesteht an der Stelle, dass er bis heute den «Mönch am Meer» nicht ansehen könne, ohne zu denken, dass die Figur eine Pistole unter ihrer Kutte trage.

Auch Caspar David Friedrich soll einen Selbstmordversuch unternommen haben. Die Umstände dafür verbergen sich für Illies in dem Gemälde «Das Eismeer». Sein Bruder zog ihn, als er beim Spielen im Dezember 1787 am Wallgraben in seinem Geburtsort Greifswald ins Wasser gefallen war, aus den eisigen Fluten – und ertrank dabei. «Ein Leben lang liegt die Schwermut auf ihm wie Blei, ja, dass der Bruder gestorben ist, als er ihm das Leben gerettet hat, das trägt Caspar David wie eine lähmende Schuld mit sich herum.»

Florian Illies: «Zauber der Stille –
Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten».
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2023,
256 Seiten; Fr. 36.90.

Mai 2024 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton | Kommentieren