Schuldig. 34 Mal. So häufig antwortet der Sprecher mit diesem Wort auf die Frage nach den Anklagepunkten. Nach dem ersten schließt Donald Trump die Augen und schüttelt leicht den Kopf.

(Bild: Gerichts-Zeichnerin) Trumps Anwalt Todd Blanche will es noch einmal hören, von den zwölf Geschworenen einzeln. Trump guckt nun in ihre Richtung. Jeder wiederholt das Urteil, manche blicken dabei nach unten, andere Richter Juan Merchan an. Der bedankt sich bei der Jury, sie verlässt den Saal. Blanche fordert, das Urteil für ungültig zu erklären, weil es auf der Aussage von Trumps früherem persönlichen Anwalt und Kronzeugen Michael Cohen beruht, aber Merchan wischt den Antrag vom Tisch. Der Ex-Präsident der Vereinigten Staaten ist damit ein verurteilter Krimineller. Was im Strafgericht von Manhattan vor sich ging an diesem Donnerstag, darüber gibt es detaillierte Protokolle der Medien, etwa das der „New York Times“. Zwar fehlt zum Schweigegeldprozess in Manhattan noch das Strafmaß. Das hat Merchan für den 11. Juli angekündigt. Trumps Team hat zudem bereits mitgeteilt, in Berufung gehen zu wollen. Doch der Schuldspruch ist umfassend. Der damalige Präsidentschaftskandidat der Republikaner verschwor sich demnach mit anderen, wollte so die Wahl 2016 mit Schweigegeldzahlungen über Frauengeschichten zu seinen Gunsten beeinflussen, verstieß damit gegen das Wahlgesetz und versuchte dies mit gefälschten Unterlagen zu vertuschen.

Dabei wäre der zweite Beratungstag im Gericht fast schon ergebnislos zu Ende gegangen. Die Geschworenen hatten nach der Verlesung der Zeugenaussagen von Cohen und dem Verleger David Pecker bis 16.15 Uhr nichts von sich hören lassen. Nun sagt Richter Merchan den Anwesenden im Saal, er werde die Jury um 16.30 Uhr nach Hause schicken. Doch zehn Minuten vorher bekommt er eine Nachricht: Es gibt ein Urteil. Trump verschränkt die Arme, das Plaudern im Saal verstummt schlagartig.

Kämpferisch, aber kurz – und kraftlos

Nach der Verlesung zeigt Trump eine seltene Episode der Niedergeschlagenheit. Er steht auf, schüttelt seinem Sohn Eric die Hand, verlässt den Saal und geht gesenkten Blickes und schweren Schrittes in Richtung der Journalisten, die schon im Gang auf ihn warten. Erst im letzten Moment richtet er sich ein wenig mehr auf, blickt nach vorn – und äußert sich zwar kämpferisch, wirkt jedoch ungewohnt kraftlos.

“ Das war eine Schande, ein manipulierter Prozess von einem befangenen, korrupten Richter“, sagt er in die Kameras: „Das wahre Urteil gibt es am 5. November von den Menschen.“ Er sei ein „sehr unschuldiger Mann“. Ein paar gestanzte Sätze mehr, dann dreht er sich um und geht. „Warum sollten Amerikaner einen verurteilten Kriminellen wählen?“, ruft ihm ein Journalist hinterher. Der Verurteilte reagiert nicht. Trump verlässt das Gerichtsgebäude und fährt in seiner Fahrzeugkolonne zum Trump Tower. Auf dem Weg dorthin fängt er sich offensichtlich wieder: Als er auf die Straße tritt, winkt er ein paar Unterstützern mit erhobenem Kinn zu und ballt seine Faust.

Trumps Sohn Donald junior schäumt in den sozialen Netzwerken: „Die Demokraten haben es geschafft, Amerika in ein Dritte-Welt-Drecksloch zu verwandeln.“ Sein Vater behauptet, die Regierung von US-Präsident Joe Biden habe alles gesteuert, um ihm als Konkurrenten bei der Wahl im November zu schaden. Das ist falsch. Die Anklage wurde von einer Jury von US-Amerikanern zugelassen, das Urteil von einer weiteren Jury aus zufällig ausgewählten Bürgern. Zudem ist es ein Fall des Bundesstaates New York, nicht des US-Justizministeriums. Hält der Prozessausgang der Berufung stand, hätte deshalb auch ein Präsident Trump keinen direkten Einfluss.

Tagein, tagaus hatte der Ex-Präsident geschimpft und getönt, sich für unschuldig erklärt. Keine Reue gezeigt, was beim Strafmaß eine Rolle spielen wird. Analysten in den US-Medien waren sich am Abend nicht einig, was nun kommt, nur so viel: Eine Gefängnisstrafe für den designierten Präsidentschaftskandidaten ist durchaus möglich. Ob er sie auch antreten muss, ist eine andere Frage. Im November kandidieren darf er in jedem Fall. In ersten Reaktionen gehen Experten davon aus, dass Berufungen ein rechtskräftiges Urteil um mindestens ein Jahr verzögern könnten. Gewinnt Trump die Wahl im November, wären es mindestens die vier Jahre einer Präsidentschaft.

Treibstoff für den Wahlkampf

In einer am Tag des Urteils veröffentlichten Umfrage von PBS/NPR sagten nur 10 Prozent der Republikaner und 11 Prozent der Unabhängigen, sie würden Trump im Falle eines Schuldspruchs weniger wahrscheinlich wählen. Auf Trumps Website taucht nach dem Urteil ein grimmiges Foto von ihm auf: „Niemals aufgeben“, steht darunter. Daneben beteuert der Ex-Präsident in roten Buchstaben seine Unschuld und behauptet, er sei „ein politischer Gefangener“. Die Verurteilung dürfte den Wahlkampf deutlich anfeuern – auch in direkter Konfrontation. Für den 27. Juni ist eine Fernsehdebatte mit Trump und Biden angesetzt.

Kurz nach der Bekanntmachung des Schuldspruchs
verstärkten einige große republikanische Geldgeber sofort ihre finanzielle Unterstützung für Trump.

„Wir werden uns voll und ganz für ihn einsetzen“, sagt zum Beispiel Don Tapia, ein ehemaliger Botschafter Trumps in Jamaika, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Er und ein kleines Netzwerk von Familienmitgliedern und Freunden hätten ursprünglich vorgehabt, Trump bei dieser Wahl mit rund 250.000 Dollar zu unterstützen. Nach der Verurteilung wolle die Gruppe mehr als eine Million Dollar geben.

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Shaun Maguire, ein Tech-Investor aus dem Silicon Valley, der vorher noch nicht für Trump gespendet hatte, gab nach dem Urteilsspruch auf der Social-Media-Seite X bekannt, dass er 300.000 Dollar zur Unterstützung von Trump gespendet habe. „Ich glaube, dass unser Justizsystem als Waffe gegen ihn eingesetzt wird“, sagte Maguire.

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Sowohl Bidens Demokraten als auch die Republikaner könnten von den Folgen des Urteils finanziell profitieren. Die republikanische Spendenseite „WinRed“ war kurzzeitig offline, womöglich wegen eines plötzlichen Besucheransturms. „Es gibt nur einen Weg, Trump aus dem Oval Office herauszuhalten: An der Wahlurne“, twitterte Bidens Wahlkampfteam am Abend – gepaart mit einem Spendenaufruf. Das Weiße Haus äußerte sich so: „Wir respektieren das Gesetz und kommentieren nicht.“

Das Machtstreben, das Trump 2016 ins Weiße Haus brachte, hat ihn eingeholt. „Es ist traurig, dass wir einen verurteilten Kriminellen als möglichen kommenden Präsidenten haben“, sagt Trumps früherer Anwalt im Weißen Haus, Ty Cobb, bei CNN. Es ist das erste Mal in der US-Geschichte. „Die Gründerväter würden weinen“, fügt Cobb an. Wer weiß schließlich, wie die Wahl vor acht Jahren ausgegangen wäre, hätte Stormy Daniels ihre Geschichte kurz zuvor veröffentlicht.

 

 

Mai 2024 | Allgemein, Sapere aude | Kommentieren