Landwirte blockieren mit ihren Traktoren die Autobahnauffahrt „Dresden Wilder Mann“

Blockaden in Großstädten, der Eklat von Schlüttsiel, die für Montag ausgerufenen Massendemonstrationen – der Protest der Landwirte prägt den Diskurs und erregt die Gemüter. Die einen warnen vor demokratiefeindlichen Aufrührern, die anderen frohlocken über ein mögliches Ende der Ampel … doch kaum irgendwo wird die zentrale Frage diskutiert: Wieso gerade die Bauern?
Unternehmer, die ihr Unternehmen streikend zurücklassen, Maschinen für hunderttausende Euro in Protestaktionen dem Risiko von Schäden aussetzen, die keine Versicherung übernehmen wird, und durch Aktionen an der Grenze zur Nötigung (und womöglich darüber hinaus) strafrechtliche Konsequenzen riskieren – so etwas tut niemand leichtfertig, das ist keine spontane Frustabfuhr, keine Stammtischaktion. Was also bringt die Landwirte dazu, solch erhebliche Risiken einzugehen?

Blicken wir auf die ökonomische Seite

Der mediale und politische Diskurs hat schnell Antworten gefunden: Entweder die Bauern sind gierige Exponenten der Fossil-Lobby (wobei sich die Frage stellt, was aktuell die gangbare Alternative zu Diesel wäre, um Landmaschinen zu betreiben), oder sie sind verkappte Rechtsradikale (bei der letzten Bundestagswahl wählten Landwirte 12 Prozent seltener AfD als der deutsche Durchschnitt).

Dem möchte man ein Diktum von Bill Clinton entgegenhalten: „It’s the economy, stupid“ – könnte die Motivation für solch massive Proteste mit so hohem Risiko womöglich in der wirtschaftlichen Situation der Landwirte zu suchen sein? Aus diesem Blickwinkel zeigt sich eine Situation, die man ohne übertriebenen Pathos als dramatisch für diesen Berufsstand bezeichnen kann: Binnen nur einer Generation ist die Zahl der Jobs in der Landwirtschaft laut Stastistischem Bundesamt um mehr als 60 Prozent zurückgegangen (seit 1990), über die Hälfte der Bauernhöfe haben den Betrieb eingestellt – 35 Prozent alleine seit 2005.

Nun wird hier schnell – auch in eigentlich wirtschaftsnahen Medien wie der Welt – argumentiert, dass dies lediglich ein Ausdruck technischer Modernisierung sei, bei der mehr Arbeit automatisiert wird, die Höfe größer werden und das Land intensiver bewirtschaftet wird. Sachlich ist das nicht falsch – doch hat sich die wirtschaftliche Lage der verbleibenden, größeren Höfe nicht verbessert, sondern verschlechtert: Die Betriebsergebnisse sind deutlich weniger gewachsen als die Umsätze. Wie in sämtlichen Medien gerne zitiert wird, sind durchaus die Gewinne angestiegen – doch die Profitabilität ist seit 2005 um 36 Prozent gesunken, noch schneller als die Zahl der Betriebe (Statistisches Bundesamt, Daten bis 2021/2022).

Der Mythos vom reichen Bauern

Während ihre Margen weiter sinken, müssen landwirtschaftliche Betriebe dabei immer größere Summen investieren, um Automatisierung und Digitalisierung zu stemmen, und immer strengere Auflagen im Tier- und Bodenschutz zu erfüllen – um 36 Prozent stieg die Investitionssumme je Hektar bewirtschafteter Fläche in den vergangenen zehn Jahren. Da parallel die Ertragskraft sinkt, ist dies meist nicht aus dem laufenden Betrieb zu stemmen – dementsprechend erhöhte sich der Schuldenstand nach Zahlen des Bundeslandwirtschaftsministeriums im gleichen Zeitraum um 40 Prozent je Hektar.

Inzwischen liegt der Fremdkapitalbestand in der Landwirtschaft bei rund 75 Prozent des jährlichen Nettoumsatzes (Quelle: Bundesbank). Das Betriebsvermögen, das gerne angeführt wird, um den Wohlstand der Bauern herauszustellen, ist somit meist mit hohen Schulden belastet, die angesichts sinkender Profitabilität und steigender Zinsen immer schwerer bedient werden können. Dies drückt sich auch im Einkommen der Landwirte aus: Mit 33.500 Euro im Jahr verdient ein Landwirt 25 Prozent weniger als der durchschnittliche Deutsche (Thünen-Institut / Bundeslandwirtschaftsministerium).

Angesichts von durchschnittlich 48,25 Stunden Wochenarbeitszeit gegenüber dem deutschen Vollzeit-Durchschnitt von 41,1 Stunden erzielen sie so lediglich knapp 5 Prozent über dem gesetzlichen Mindestlohn – für einen Job, der hohen körperlichen Einsatz erfordert und Arbeitszeiten, denen man das Privatleben stark unterordnen muss. Die besonders bittere Pille dabei: Aufgrund der hohen Investitionsbedarfe und sinkenden Margen fallen die Unternehmerlöhne für selbstständige Landwirte nicht höher aus als für angestellte, was sich ebenfalls an Zahlen des Thünen-Instituts beziehungsweise des Bundeslandwirtschaftsministeriums ablesen lässt.

Ohne Subventionen geht gar nichts mehr

Diese prekäre wirtschaftliche Lage macht es nicht nur für Höfe immer schwieriger, Nachfolger oder Käufer zu finden, ohne die das Betriebsvermögen auch nicht für die Altersvorsorge herhalten kann. Die Zwickmühle zwischen geringen Einkommen, sinkenden Margen und steigenden Schulden hat auch zu einer immer größeren Abhängigkeit von Subventionengeführt: Möchten Staat und Gesellschaft, dass es weiterhin Landwirtschaft im Land gibt, müssen sie immer mehr zuschießen. So machen Subventionen laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft inzwischen 48,5 Prozent der Einnahmen in der Landwirtschaft aus.

Wer nun also argumentiert, dass ein Subventionsabbau überfällig sei und es bei den geplanten Änderungen der Bundesregierung ja lediglich um 3.000 Euro pro Hof ginge, schönt einerseits die Zahlen – durch die steigende CO2-Steuer und mehr Steuern und Abgaben auf Strom und Erdgas erhöhen sich die Kosten insgesamt eher im (niedrig) fünfstelligen Bereich. Andererseits verkennt er, dass für einen Landwirt, der sich lediglich 33.500 Euro ausbezahlen kann, bereits 3.000 Euro fast 10 Prozent weniger Lohn sind – und fünfstellige Beträge schnell bedeuten können, dass sich seine Arbeit gar nicht mehr rentiert. Viele Betriebe sind derart auf Kante genäht, dass solch vermeintlich kleine Summen schnell existenziell werden.

Die Wut richtet sich nicht nur gegen die Ampel

Das stille Siechtum der Landwirtschaft ist keine Entwicklung, die die Ampel allein zu verantworten hat. Bereits seit rund 30 Jahren ist diese Branche in einem quälenden Sinkflug begriffen, den keine der bisherigen Koalitionen, ob schwarz-gelb, rot-grün oder schwarz-rot in nennenswerter Weise gebremst hätten. Die Antwort lautete immer nur: Im Zweifel noch mehr Subventionen, Hand in Hand mit noch mehr Auflagen. Ein Herumflicken an den Symptomen, nicht an den Ursachen. Die ungeschickte, überhastete Ankündigung von Subventionskürzungen, kurz vor Weihnachten und mit weniger als vier Wochen Vorlauf, setzte lediglich den Funken an ein Pulverfass, das sich in den letzten 20, 30 Jahren immer weiter gefüllt hatte.

Mit weihevollen Worten und einer Verschiebung des Sparprogramms um ein paar Jahre wird es nun, wo es knallt, nicht getan sein: Denn auf den Traktoren sitzen Menschen, die seit langem um ihre Jobs und ihre Betriebe bangen und mit hohem Einsatz wenig Geld erwirtschaften für eine Tätigkeit, die uns alle ernährt, doch kaum noch vernünftig honoriert wird. Beschimpft man sie dafür als „dummer Bauer“, „Knollenmob“ oder „Büttel der Nazis“, wird dies sicherlich nicht zur Deeskalation beitragen. Hier kann man gerade der politischen Linken, die das Land derzeit regiert, nur nahelegen, das Bonmot eines ihrer größten Dichter zu beherzigen: „Erst das Fressen, dann die Moral. (Bertolt Brecht)“

Setzt sich die Rezession fort, werden wir derlei häufiger erleben

Alle, die ernsthaft an einer Lösung interessiert sind, müssen nun dorthin gehen, wo es weh tut: Es braucht eine breite, konstruktive Debatte darüber, wie Landwirtschaft heute und morgen profitabel möglich sein kann, ohne Böden und Klima über Gebühr zu belasten und die Verbraucherpreise völlig durch die Decke zu treiben. Ein gordischer Knoten, den zu lösen dringlicher ist denn je.

Denn einen konstruktiven Umgang mit einer Branche in der Abwärtsspirale muss Deutschland ohnehin lernen. Angesichts des rapiden Rückgangs der industriellen Produktion des Abflusses von Kapital ins Ausland und der seit Längerem zu geringen Investitionen ist es wahrscheinlich, dass wir mit den Bauernprotesten lediglich einen Vorgeschmack auf die Verteilungskämpfe und das gesellschaftliche Klima einer Nation im Abstieg erleben.

Verlieren weitere Branchen derart rapide und nachhaltig Betriebe, Jobs, Profitabilität und Eigenkapitalquote – wie dies gerade bei den energieintensiven Industrien, aber auch in der Automobilbranche droht –, ist es naiv zu glauben, dass dies weitgehend geräuschlos und ohne massive soziale und politische Spannungen abläuft. Denn spätestens seit dem Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist klar, dass sich solche Entwicklungen nicht immer weiter mit Transferleistungen auf Pump übertünchen lassen. Jan Schoenmake

Mai 2024 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Politik | Kommentieren