In seiner 1783 veröffentlichten Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft würde auftreten können, schrieb Kant:
„Ich hingegen sage: es sind uns Dinge als außer uns befindliche Gegenstände unserer Sinne gegeben, allein von dem, was sie an sich selbst sein mögen, wissen wir nichts, sondern kennen nur ihre Erscheinungen, das sind die Vorstellungen, die in uns wirken, indem sie unsere Sinne affizieren.
Demnach gestehe ich allerdings, dass es außer uns Körper gebe, die die Dinge, die, obschon nach dem, was sie an sich selbst sein mögen, uns gänzlich unbekannt sind.
Allenfalls kennen wir sie durch die Vorstellungen, welche ihr Einfluss auf unsre Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Körpers geben, welches Wort also bloß die Erscheinung jenes uns nachgerade unbekannten, aber nichtsdestoweniger wirklichen Gegenstandes bedeutet. Kann man dieses wohl Idealismus nennen? Ist es nicht hingegen doch gerade das Gegenteil davon?“
Die von uns erkannten Gegenstände der Welt sind nach Kant nicht die realen Dinge an sich, sondern nur Erscheinungen, die unabhängig von unserer Erkenntnis objektiv in Raum und Zeit vorhanden sind. Raum und Zeit sind vielmehr unsere Anschauungsformen oder Erkenntnisstrukturen, nach denen die Gegenstände geformt und in denen sie so erkannt werden, also nicht nur einige Eigenschaften der Dinge wie ihre Farben werden erst in dem Erkenntnisprozess geschaffen, sondern dieses Schaffen betrifft nach Kant auch die Grundstrukturen der Dinge, ihr Sein in Raum und Zeit.
Das – an sich – Seiende kennen wir nach Kant so gar nicht …
… und weder die von uns erkannte Welt der Erscheinungen noch unsere von vornherein – a priori – vorhandenen Erkenntnisstrukturen wie die von Raum und Zeit haben mit dem an sich Seienden etwas zu tun. Daher kann nach Kant über die Dinge an sich oder der unserer Erscheinungswelt zugrunde liegenden Realität grundsätzlich nichts ausgesagt oder erkannt werden. Wenn in dem revolutionierenden Denkansatz von Kant die von uns erkannte Welt bis in ihre Grundstrukturen von Raum und Zeit hinein in unseren Erkenntnisstrukturen geschaffen wird und wir die Dinge an sich oder die zugrunde liegende Realität daher in keiner Weise kennen oder erkennen, so heißt das nichts anderes, als dass diese von uns erkannte Welt nicht in der Weise objektiv vorhanden sein kann, wie wir das allgemein sowohl im Alltag als auch in der modernen Naturwissenschaft voraussetzen, empfinden und meinen. Wenn es dagegen irgend einen direkten Bezug oder eine Übereinstimmung in den Strukturen der von uns erkannten Welt und den realen Dingen an sich geben sollte, müssten wir genau darin die zugrunde liegende Realität entgegen der Aussage von Kant auch erkennen können und sei es nur indirekt durch das Denken.
Wie aber sehen das Naturwissenschaftler?
Die sehen das als hypothetische Realisten etwa so: Die Dimensionen Raum und Zeit als solche Strukturen seien – (sic) eigentliche – Realität, die zwar angeboren – und insofern für unser individuelles Sein von vornherein gegeben sind, also wie Kant es sagt a priori vor und unabhängig von aller Erfahrung, allerdings nur vor und unabhängig von aller individuellen Erfahrung. Sie sind aber nach Ansicht dieser Realisten in der Evolution in Auseinandersetzung mit der Realität und in Anpassung an diese durch stammesgeschichtliche Erfahrung erworben und in diesem Sinne von der Realität abgebildet worden. Raum und Zeit wären also Eigenschaften der Realität, die wir stammesgeschichtlich erkannt und erworben hätten und in denen wir die Realität heute durch das theoretische Denken erkennen können, wenn auch letztlich nur in einer hypothetischen Weise. Ein folgenschwerer Irrtum, der einer der Gründe darstellt, warum Physiker, Biologen und Chemiker, aber auch die Vertreter der anderen Naturwissenschaften so regelmäßig an den Versuchen die Gegebenheiten unserer Welt zu erklären scheitern.
Für Kant aber sind Raum und Zeit nur Anschauungsformen.
Diese seien a priori gegeben und haben nichts mit dem an sich Seienden zu tun. Nach Kant ist dieses an sich Seiende grundsätzlich nicht erkennbar, besitzt keine direkten Bezüge zu den Erscheinungen unserer Erkenntnis, so dass das von uns Erkannte keinerlei Struktur oder Realität eines an sich Seienden beinhaltet, vermittelt oder abbildet, denn ansonsten könnten wir es ja darin erkennen.
Alsdann: Hier nun also – wie versprochen – das von mir „gedichtete Gedicht“, das allerdings nicht als (m)eine Verhohnepipelung kantischen Wissen seines an sich Seins oder seines Wissens einherkommen möchte. Hingegen versucht diese kleine, unscheinbare Lyrik, mit der zwar gesuchten, aber auch versuchten Erkenntnis einen Blick zu eröffnen und – sapere aude – auf eine Welt zu kommen, wie sie wirklich zu sein scheint, ohne durch die verzerrten Brillen der Naturwissenschaften geblickt haben zu müssen, die ja bereits schon grundsätzlich und je nach Disziplin gar nicht anders können, als vorgefärbt zu sein.
Das Ding an sich aus des tno Perspektive:
Der Schreiber (Bild) „got“ widmet dies Gedicht – frei nach einer von dem Mathematikus Prof. Dr. Clemens Pu. gerade in Oxford nachempfundenen Kurzszene.
Es war einmal ein Ding an sich –
das dachte an sich wie ein Ich:
Ich halte keinem Urteil stand,
denn Schuld an mir ist nur Herr Kant
Es überlegte her und überlegte hin
und kam zum Schluss, „dass ich nicht bin,
denn wär ich wer, könnt man mich sehn
und grade dies kann nicht geschehn“.
Vom Ding entkleidet bin ich nackt,
mein „An-sich“ macht mich zum Abstrakt.
Nur so ist meines Daseins Sinn,
dass es entsteht, wo ich nicht bin.“
Weil es im Grübeln sich verfing,
geriet ganz außer sich das Ding:und da ich keine Lösung hab`
seh ich von nun an von mir ab. Dann wird mich keine Sorge treiben
und Kant kann mir gestohlen bleiben. So endete das Ding an sich:
Die Nachwelt trauert – fürchterlich …