Für die Bundestagsabgeordneten der AfD arbeiten mehr Personen aus dem rechtsextremen Spektrum als bislang bekannt ist. Das zeigen Recherchen des Bayerischen Rundfunks. Demnach beschäftigen die AfD-Fraktion und ihre Abgeordneten mehr als 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Organisationen aktiv sind, die von deutschen Verfassungsschutzämtern als rechtsextrem eingestuft werden. Unter ihnen befinden sich Aktivisten aus dem Umfeld der „Identitären Bewegung“ – ideologische Vordenker aus der „Neuen Rechten“ – und mehrere Neonazis.
Recherchen über rechtsextreme Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten
Genaue Mitarbeiterzahl unklar
Wie viele Mitarbeiter die 78 Abgeordneten der AfD genau beschäftigen, ist unklar: Nur wenige nennen ihr Team auf ihrer Webseite. Bundestagsverwaltung und AfD-Fraktion machen hierzu keine Angaben. Die Fraktion selbst hat nach eigener Auskunft 182 Mitarbeiter (Stand: 16. Februar).
Unter den Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeitern sind Personen, die namentlich in Verfassungsschutzberichten erwähnt werden und solche, die Führungspositionen in beobachteten Organisationen bekleiden. Der BR ist in der Mitarbeiterschaft auf Teilnehmer an Neonazi-Aufmärschen in Chemnitz, Dortmund, Dresden, Magdeburg und Zwickau gestoßen.
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Mehr als die Hälfte der AfD-Abgeordneten beschäftigen Personen, die in Organisationen aktiv sind, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden. Darunter sind nach Recherchen von Journalisten des Bayerischen Rundfunks auch die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla.
Die Fraktion, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten, die meisten Anfragen blieben jedoch unbeantwortet. Einige Abgeordnete stellten die Unabhängigkeit der Verfassungsschutzämter infrage.
Insgesamt stehen der AfD-Fraktion und ihren Abgeordneten mehr als 30 Millionen Euro für Mitarbeiter zur Verfügung – pro Jahr. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Katrin Göring-Eckardt (Grüne), sagte dem BR, Mitarbeiter mit einer Verbindung zu rechtsextremen Kreisen seien eine Gefahr, sie wollten die Demokratie von innen aushöhlen.
Die Ergebnisse der Recherche seien „erschütternd“. Man müsse überlegen, ob Verfassungsfeinde, die im Bundestag arbeiten, weiterhin aus Steuergeld bezahlt werden sollten. „Das sollten wir ändern. Das können wir nicht einfach so laufen lassen.“
Akteure der „Neuen Rechten“
Auffällig sind insbesondere Akteure aus dem Spektrum der sogenannten Neuen Rechten. Dabei handelt es sich um eine Strömung im Rechtsextremismus, die für dessen ideologische Erneuerung nach dem Nationalsozialismus steht. Zur „Neuen Rechten“ können verschiedene Zeitschriften, Verlage, Thinktanks, Vereine und Aktivistengruppen gerechnet werden. Vertreter der „Neuen Rechten“ betrachten sich als „Vorfeld“ der AfD.
Das Bundesamt beschreibt den Verein als „Projektförderungs- und Vernetzungsagentur“, in deren Kampagnen Migranten pauschal herabgewürdigt werden. Ein Vorstand von „Ein Prozent“ ist laut Unterlagen aus dem Vereinsregister John Hoewer.
Kampfsport mit Neonazis
Nach BR-Informationen arbeitet Hoewer für den rheinland-pfälzischen Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier. Der Burschenschafter Hoewer knüpft Kontakte von italienischen Faschisten über die Identitäre Bewegung bis in die AfD.
Fotos, die dem BR vorliegen, zeigen ihn 2021 in Berlin beim Kampfsport-Training mit Neonazis aus dem Umfeld der NPD, die sich im vergangenen Jahr in „Die Heimat“ umbenannt hat. Zudem gibt es Videos, die Hoewer im Januar 2017 in handgreiflichen Auseinandersetzungen mit linken Demonstranten in einem Hörsaal der Universität Magdeburg zeigen. Hoewer und Münzenmaier ließen Anfragen unbeantwortet, auch „Ein Prozent“ äußerte sich nicht.
Diese Strukturen werden allesamt vom Verfassungsschutz beobachtet. Insgesamt arbeiten rund 20 Personen mit starkem Bezug zu Organisationen aus der Neuen Rechten im Bundestag – darunter auch solche, die als Referenten beim rechtsextremen „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda aufgetreten sind.
Rund 25 Personen aus der „Jungen Alternative“
AfD-Bundestagsabgeordnete beschäftigen auch Personen, die der Partei selbst zu extrem waren. So gibt es etwa ein Türschild mit dem Namen Frank Pasemann im Otto-Wels-Haus des Bundestages in der Straße Unter den Linden. Pasemann war in der vorigen Legislaturperiode selbst Bundestagsabgeordneter der AfD, im Jahr 2020 wurde er aus Partei und Fraktion ausgeschlossen.
parteischädigendes Verhalten und Antisemitismus vorgeworfen.
JA „gesichert rechtsextreme Bestrebung“
Der Verfassungsschutz stuft die JA als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ ein, die Organisation wehrt sich aktuell dagegen vor Gericht. Rund 25 JA-Mitglieder arbeiten den Recherchen zufolge für die AfD-Fraktion oder deren Abgeordnete im Bundestag. Zudem arbeiten dort einige Personen, die JA-Mitglieder waren und mittlerweile älter als 35 Jahre alt sind. Die Mitgliedschaft endet laut Satzung, wenn das 35. Lebensjahr vollendet wir
Während der Verfassungsschutz die AfD immer stärker ins Visier nimmt und Regierungsmitglieder wie Oppositionspolitiker mittlerweile gar ein Verbot der Partei diskutieren, zeigt die Recherche erstmals, in welchem Ausmaß die AfD Verfassungsfeinden Zugang zum Parlament gewährt.
Der Professor für Politikwissenschaft Armin Pfahl-Traughber, der bis 2004 im Bundesamt für Verfassungsschutz Referent für Rechtsextremismus war und seither an der Hochschule des Bundes forscht, sagte dem ARD-Politikmagazin Report München, es sei ein Problem, „dass tatsächlich im organisatorischen Herzen der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland Rechtsextremisten sitzen“. Dort könnten sie „Einfluss ausüben und Propaganda verbreiten“.
Aktivisten der „Identitären Bewegung“
Einer der Mitarbeiter hat Hausverbot in den Bundestagsgebäuden: Mario Müller arbeitet für den Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt aus Sachsen-Anhalt. Im Januar berichtete „Correctiv“, dass Müller zu den Referenten des sogenannten „Geheimtreffens“ in Potsdam gehörte.
Müller bewegt sich seit den Nullerjahren in der rechtsextremen Szene, mehrfach wurde er wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt. Zuerst hatte die „Welt“ über Müllers Beschäftigung bei Schmidt berichtet.
Dem BR liegen Fotos vor, die Müller damals im Umfeld der „Jungen Nationaldemokraten“ zeigen – so hieß die Jugendorganisation der NPD. Später dann hat Müller sich als prominenter Kopf der „Identitären Bewegung“ (IB) hervorgetan – ein Netzwerk von Aktivisten der „Neuen Rechten“.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die IB als rechtsextrem ein.
Der BR hat mehr als zehn Personen aus dem Umfeld der IB identifiziert, die für die AfD-Fraktion oder ihre Abgeordneten arbeiten. Dabei handelt es sich etwa um Aktivisten, die sich an Demonstrationen oder Aktionen beteiligten, Transparente oder Fahnen der Organisation trugen, für Publikationen der Szene schrieben oder sich in einer identitären Frauengruppe engagieren.
So wie etwa Marie-Thérèse Kaiser,
Mittlerweile arbeitet sie für den Parlamentarischen Geschäftsführer Bernd Baumann und sich zudem – nach eigenen Angaben auch „bei der Fraueninitiative Lukreta“. Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen schreibt, bei „Lukreta“ handle es sich um einen Personenzusammenschluss mit „inhaltlichen und personellen Bezügen zur ‚Identitären Bewegung Deutschland'“.
Kaiser tritt außerdem als Content-Creatorin auf und für den Verein „Ein Prozent“ moderiert sie ein Videoformat. Ähnlich wie ihr Chef teilte sie auf Anfrage mit, die „Beurteilung der AfD und ihres oppositionellen Vorfelds durch die Verfassungsschutzämter“ sei „durchweg parteipolitisch geprägt und infolgedessen kein Maßstab für mein politisches Handeln“.