Jedoch bietet die aktuelle Schwäche der chinesischen Wirtschaft Deutschland eine große Chance, so die Wirtschaftsexpertin Janka Oertel:
China strebt nach globalem Einfluss, doch daheim muss sich Präsident Xi Jinping gravierenden Problemen stellen: Chinas Wirtschaft befindet sich in einem desolaten Zustand. Für Deutschland und Europa aber bietet die augenblickliche Schwäche Pekings die Möglichkeit  aufzuholen, denn viel steht auf dem Spiel – insbesondere die Zukunft der deutschen Autoindustrie. Was nun zu tun wäre, erklärt Janka Oertel, China-Expertin und Autorin des Buches „Ende der China-Illusion“ im Gespräch.

Gerade ließ sich Xi Jinping auf dem Nationalen Volkskongress feiern und vergrößerte seinen Machtanspruch noch weiter, doch Chinas erfolgsverwöhnte Wirtschaft schwächelt derzeit. Bietet sich Deutschland gerade die Gelegenheit, die derzeit fatale Abhängigkeit von Peking zu reduzieren?

Wir haben hier gerade ein Möglichkeitsfenster. Chinas wirtschaftliche Probleme sind offensichtlich, ihre Lösung wird immer komplexer. Ministerpräsident Li Qiang hielt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang des Jahres eine Rede, die deutlich machen sollte „China is open for business“. Allen Beobachtern ist allerdings klar: Der chinesischen Wirtschaft geht es nicht gut und die Folgen der eigenen Politik werden deutlich. Es rumort im System. Der Konsum zieht nicht nachhaltig an und Wachstum muss weiter aus dem Exportgeschäft kommen.

China wirbt deswegen um ausländische Investitionen. Xi Jinping unterstützt derweil das kriegführende Russland und spart nicht mit Drohungen gegen Taiwan. Halten Sie es für eine gute Idee, Pekings verführerischem Locken nachzugeben?

Eher nicht. Die chinesische Führung fährt eine Charmeoffensive gegenüber einzelnen europäischen Akteuren, allerdings nicht ohne Hintergedanken. Denn Peking verfolgt eine doppelte Strategie: Die Welt soll abhängiger von China werden, während China weniger abhängig von der Welt wird. Das ist das Grundprinzip, nach dem Xi Jinping verfährt.

Wie lautet Ihr Ratschlag für Staaten, die Chinas Spiel nicht mitmachen wollen?

Wenn große Volkswirtschaften ihre Abhängigkeiten von China reduzieren, geht die Strategie der chinesischen Führung nicht mehr ohne Weiteres auf. Xi Jinping will China durch seine Politik nicht von der Welt abschotten, im Gegenteil, er will Chinas globalen Einfluss stärken. Aber die Spielregeln sollen sich zum Vorteil Pekings ändern. Denn so lassen sich seiner Meinung nach Macht und Wohlstand am besten maximieren. Für Deutschland und Europa ist diese Regelverschiebung problematisch. Chinesische Überkapazitäten machen das Überleben europäischer Konzerne in vielen Industrien langfristig fast unmöglich. Und dennoch nutzen wir unser eigenes Gewicht gerade nicht, um diesen Trend zu ändern.

Braucht China uns denn ebenso sehr wie wir China?

Europa ist gerade ein bisschen wie ein Schwamm. Ein Schwamm, der die gewaltigen industriellen Überkapazitäten absorbiert. Günstige Preise von Elektroautos bis zu Solarpaneelen machen das natürlich attraktiv. Wenn wir als Markt allerdings nicht mehr so offen wären, dann hätte die chinesische Führung ein echtes Problem. In einer Zeit, in der es der chinesischen Wirtschaft nicht gut geht, böte sich damit umso mehr eine Möglichkeit, unseren Einfluss geltend zu machen und härter zu verhandeln.

Tatsächlich droht aber neues Ungemach: Chinas Hersteller von Elektroautos wollen den deutschen und europäischen Markt erobern.

Die Frage der Elektromobilität hat vielleicht das Potenzial, Politik und Unternehmen wachzurütteln. Denn diese Herausforderung ist einfach gewaltig. Es bedroht das Rückgrat unserer Industrie und kratzt am Selbstverständnis Deutschlands als Industrienation.

Die Deutschland ohnehin immer weniger ist.

Die Solarindustrie haben wir recht freiwillig chinesischen Konzernen überlassen. Im Bereich der Telekommunikation haben wir hier in Deutschland auch keine großen Konsequenzen gezogen. Nach wie vor ist die Frage chinesischer Hersteller in der 5G-Infrastruktur nicht geklärt – zum Nachteil europäischer Anbieter. Der Windindustrie geht es ebenfalls nicht gut. Die Autoindustrie schien bislang unverwundbar. Das ist nun nicht mehr der Fall.

Mrz 2024 | Allgemein, Essay, Zeitgeschehen | Kommentieren