„Soo, Bubatz bald legal“, schreibt der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner höchstselbst auf X, dahinter ein Brokkoli-Emoji und ein grüner Haken dran. Der Bundesfinanzminister gibt damit nicht nur Internetwissen zu erkennen, Bubatz nämlich ist ein Jugendwort für Cannabis und Brokkoli ein Synonym dafür, er feiert auch die Einlösung eines Wahlversprechens. Weitere Ampelvertreter jubelten ebenfalls in den sozialen Netzwerken, dass die Bundesregierung ein Wahlversprechen und – am (sic) 1. April ein Ziel des Ampelkoalitionsvertrags eingelöst haben wird. Im Bundesrat war zuvor keine Mehrheit zustande gekommen, das vom Bundestag verabschiedete Legalisierungsgesetz noch einmal in den Vermittlungsausschuss zurück zu überweisen.
Doch die mit dem Gesetz einhergehenden Verwerfungen sind tiefgreifend.

Seit Monaten warnen nicht nur CDU, CSU und AfD vor dem Gesetz. Auch die Landesjustizminister, die einer der drei Ampelparteien angehören, hatten das Gesetz in der Form entschieden abgelehnt. „Die Amnestieregelung ist eine enorme Herausforderung und verursacht einen erheblichen Arbeitsaufwand“, sagte Benjamin Limbach, Grünen-Politiker und Justizminister von Nordrhein-Westfalen. Dass die Justiz nun 100.000 Urteile und nicht abgeschlossene Verfahren prüfen müsse, bei denen es auch oder nur um Cannabisbesitz geht, sei zu viel für eine Justiz, die „bereits jetzt Belastungsgrenzen erreicht“. Felor Badenberg, die für die CDU in Berlins schwarz-rotem Senat sitzende Justizsenatorin, hält die Amnestieregelung in der vorgesehen Form für schlicht nicht umsetzbar.

Union schließt die Ampel-Reihen

Warum dennoch keine Ländermehrheit für eine Rücküberweisung des sogenannten Einspruchsgesetzes in dem Vermittlungsausschuss zustande kam? Der Bundesrat hatte keine Möglichkeit, das Gesetz zu stoppen, hätte aber Einzelfragen mit Vertretern des Bundestages verhandeln können. Doch am Ende enthielt sich eine deutliche Mehrheit der Bundesländer im Bundesrat, weil die fast überall mitregierenden Parteien der Ampel auch den CDU-geführten Landesregierungen eine Ablehnung des Gesetzes versagten. Daran wiederum hatte die Union ihren eigenen Anteil.

Friedrich Merz im ntv Frühstart „Einmal gezogen“ –
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„Der Freistaat Sachsen wird am Freitag im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses stimmen. Mein Ziel ist es, dass dieses Gesetz niemals wieder aus dem VA [Vermittlungsausschuss, d. Red] herauskommt“, schrieb Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer am vergangenen Samstag auf X. Ähnliche Stimmen kamen von der Bundes-CDU und der CSU. Damit war ein Ton gesetzt, den niemand bei SPD, Grünen und FDP überhören konnte, der oder die auf Nachbesserungen setzte statt Totalblockade.

Die Drohungen von Kretschmer und Co. waren Wasser auf den Mühlen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, der in den vergangenen Tagen die Landesregierungen einzeln beackerte, um deren Zustimmung zum Vermittlungsausschuss zu verhindern. „Detailverbesserungen machen wir, wenn das Gesetz da ist, erstmal müssen wir einen Blockadeerfolg der Union verhindern“, konnten Lauterbach und andere Ampelvertreter ihren Länderkollegen vermitteln. Die gaben schließlich nach.

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Dabei ging Kretschmer wenige Monate vor der Landtagswahl in Sachsen all in: „Ich werde einer Legalisierung von Drogen unter keinen Umständen zustimmen, auch wenn das Ärger in meiner sächsischen Koalition gibt“, kündigte er im Bundesrat an. Sein Wirtschaftsminister Martin Dulig von der SPD bestätigte diesen Ärger umgehend. Er melde sich „aus unangenehmem Grund zu Wort“, sagte Dulig und kündigte sein Nein zum Vermittlungsausschuss an. Die beiden Vertreter des Landes taten bei der Abstimmung wie angekündigt.

„Ich stelle fest, dass das Land Sachsen nicht einheitlich und somit ungültig abgestimmt hat“, stellte die Bundesratsvorsitzenden Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern fest. Faktisch hatte sich Kretschmer damit enthalten. Genauso wie die meisten anderen Bundesländer. Bundesgesundheitsminister Lauterbach gab eine Erklärung zu Protokoll, demzufolge das Gesetz noch bis zum 1. Juni geändert werden soll für flexiblere Regelungen sowie mehr Kinder- und Jugendschutz. Es handelt sich um Zugeständnisse, die Lauterbach zur Verhinderung des Vermittlungsausschusses gemacht hatte.

Müssen nun 100.000 Fälle neu aufgerollt werden? 

CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits angekündigt, dass eine neu gewählte CDU-geführte Bundesregierung das Gesetz rückgängig machen werde. Dafür brauche sie aber eine alleinige Mehrheit oder einen Koalitionspartner, der diesen Weg mitgeht. Ohnehin sieht das Gesetz aber vor, über eine ständige Evaluierung die Auswirkungen des Gesetzes auf den Kinder-, Jugend- und Gesundheitsschutz zu kontrollieren. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff prognostizierte mehr Verkehrstote durch bekiffte Autofahrer, mehr Krebstote, weil Marihuana oft zusammen mit Tabak geraucht werde, sowie mehr Drogentote, weil Cannabis den Weg zu stärkeren – hin zu hoch%tigem gar – Drogen ebne.

Mehr oder weniger Schwarzmarkt?

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Weniger Aufwand, mehr Geld
Lauterbach macht Ländern
bei Cannabis-Gesetz Zugeständnisse

Lauterbach wies derartige Szenarien sowie den Vorwurf Kretschmers „Sie öffnen die Büchse der Pandora“ zurück. Die Zahl der Konsumenten im Alter von 12 bis 17 Jahren sowie der 18- bis 21-Jährigen habe sich zwischen 2011 und 2021 ebenso verdoppelt wie die Zahl der Drogentoten in Deutschland. „Ist die Büchse der Pandora nicht längst offen?“, fragte Lauterbach. Mit dem Cannabisgesetz werde der Schwarzmarkt zurückgedrängt und der Jugendschutz gestärkt. Mit Blick auf die Amnestieregelung sagte er: „Ich glaube, dass das ein großer Aufwand ist.“ In der Protokollerklärung sei deshalb „einiges vereinbart, wo wir Ihnen entgegenkommen“.

Wenn künftig der Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen pro Erwachsenem in einer Wohnung, die Abgaben an Mitglieder von Anbauvereinen sowie der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis legal ist, soll dies den Schwarzmarkt untergraben und Konsumenten den Bezug von weniger potenten, nicht verunreinigten Cannabisprodukten ermöglichen. „Es ist völlig realitätsfern, dass diese Anbauvereinigungen auch nur annähernd den Bedarf an Cannabis decken werden“, sagte Brandenburgs Justizministerin Susanne Hoffmann von der CDU. Berliner etwa würden sich weiter bei Dealern in Berlin eindecken, statt im umliegenden Brandenburg aufwendig auf Vereinsbasis anzubauen. „Der Schwarzmarkt wird gestärkt und die dahinter stehenden kriminellen Strukturen.“

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„Cannabis wird auf dem Schwarzmarkt weiter günstiger sein, als man es aus den Cannabisvereinen bekommen wird“, glaubt auch Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach von der CSU. „Cannabis aus illegalen Produktionsquellen wird mit der Übergabe an den Konsumenten faktisch reingewaschen.“ Da privat angebaute Pflanzen ein Vielfaches des normalen Konsums abwerfen würden, werde der Überschuss von Selbstanbauern im Freundes- und Familienkreis geteilt. „Es wird also ein zusätzlicher Schwarzmarkt entstehen.“

Dies dürfte unausgesprochen auch ein Kalkül dieses Gesetzes sein, das eine derartige Weitergabe eigentlich verbietet. In der Praxis wäre es aber wohl eines der wirkmächtigsten Instrumente gegen den Schwarzmarkt, wenn freizeitgärtnernde Cannabis-Pflanzer ihren Ertrag im privaten Umfeld teilten. Die Begünstigten müssten dann zumindest nicht mehr auf tatsächlich kriminelle Strukturen zurückgreifen.

März 2024 | Allgemein, Essay, Gesundheit | Kommentieren