Auf einem Foto aus diesen Tagen ist zu sehen, wie sich in Berlin am 25. Februar 2021, zu Beginn des Purim-Festes, orthodoxe Juden um Rabbiner David Gewirtz scharen – ohne schützende Polizeikette.
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023, dem Terrorangriff und dem Krieg in Gaza ist die Zahl antijüdischer Straftaten in Deutschland sprunghaft gestiegen. Einen Tag und 614 Kommentare später ist klar: Es geht heute nicht mehr darum, für einen versteckten, oft in nur angedeuteten Antisemitismus zu sensibilisieren, wie noch vor drei Jahren. Es geht darum, sich gegen eine Flut vollkommen enthemmter Hassparolen zu stemmen.
„Ich bin total gegen Antisemitismus“
Das schreibt einer, „aber so langsam glaube ich, dass diese israelische ‚jüdische‘ Gemeinde die Weltherrschaft übernehmen will.“ Ein anderer glaubt zu wissen, dass die ganze Welt die „Kolonialisten“ hasse, weil diese nur „zu stehlen und zu zerstören“ wüssten.
Oder. da sieht wer im „ekelhaften Zionismus“ die „Brutstätte des Bösen“ – Derweil aus ner anderen Ecke gegen das „überhebliche, arrogante Volk“ gepöbelt und krakehlt wird: „Onkel hätte sie alle holen sollen.“
Hier geht es nicht etwa um Kritik an der israelischen Regierung
oder Kriegsführung, sondern um blanken Hass
Und der kommt in uralten Stereotypen einher: in der Rede vom „Kindermörder“, vom „verschlagenen Lügner“ oder vom vermeintlichen jüdischen Streben nach Weltherrschaft. Der Hass trifft Juden in Deutschland, aus einem einzigen Grund: weil sie nämlich Juden sind.
Für Antisemiten erklärt sich nahezu jedes Übel der Welt aus dem angeblichen „jüdischen Wesen“. Aus dieser Generalhaftung leitete sich im Nationalsozialismus die Grenzenlosigkeit der Vernichtung ab.
Es lässt sich nicht in allen Fällen klären,
wer hinter den Hass-Posts steckt
Viele der Facebook-Accounts sind propalästinensische Propagandaschleudern; teils in arabischer Sprache, teils mit türkischen Flaggen neben den palästinensischen. Es ist vor allem ein migrantischer Antisemitismus, der sich hier austobt. Die Mehrheit denkt anders: Auf jedes Spott- und Wut-Emoji unter dem Post kommt die dreifache Zahl von Likes und Herzchen. Viele Menschen bekunden ihre Solidarität, in das Entsetzen mischt sich echte Sorge: „Artikel, in denen es weder um Israel noch um den Krieg geht, werden gekapert. Ist das der Anfang von 1933?“
Doch wie oft in solchen Foren: Die Lufthoheit haben nicht die Besonnenen, sondern erst einmal die Hassredner. Nach einem Tag türmt sich die Welle derart auf, dass die Redaktion den Post über die Ausgabe zum jüdischen Leben eine Zeit lang stoppen muss. Keine Kapitulation vor dem Mob, sondern eine Verschnaufpause, um all die giftigen Kommentare zu löschen, bei Facebook zu melden und in einigen Fällen Strafanzeige zu erstatten.
Es ist doch nur ein Post
Aber, der zeigt, wie der Antisemitismus aus der Deckung kommt, wie aus verdruckster Rede und versteckten Codes eine Hetzkampagne wird. Er gibt ein Gefühl dafür, wie wenig von der fröhlichen Stimmung während des Purim-Festes vor drei Jahren geblieben ist – und wie brüchig das Fundament zu werden droht, auf dem die scheinbar so erfolgreiche deutsche Erinnerungspolitik ruht.