Ich muss die Brause nun auf eine sehr bestimmte Weise halten, um nicht ständig gegen einen unmäßigen Zug anduschen zu müssen. Es klingt genauso albern, wie es sich anfühlt: Ich drehe die Handbrause immer wieder experimentell um sich selbst, um herauszufinden, was der störrische Schlauch eigentlich will. Ständig muss man irgendwie umgreifen, weil man mit dem neuen Schlauch nicht mehr einfach nur duschen kann.
Ich will nicht hinnehmen, dass mir dieses Ding, das immerhin von einem führenden deutschen Markenartikler stammt, mir jeden Morgen eine eckige, entwürdigende Körperpflegechoreographie aufzwingt. Vor allem aber – verdammt noch mal – will ich mich nicht mit meinem Brauseschlauch befassen müssen. Dies zumal hat doch aber alles bereitsschon mal funktioniert!
Duschen dank Drehwirbel
Fast alle Produkte haben Eigenschaften, die erst durch ihr Fehlen auffallen. Ihre Anwesenheit führt nicht zu besonderer Zufriedenheit, ihre Abwesenheit hingegen zu großem Frust. Diese Selbstverständlichkeiten heißen „Hygienefaktoren“, ein Begriff, der zurückgeht auf den amerikanischen Psychologen Frederick Herzberg. Er veröffentlichte 1959 eine Studie zu der Frage, was Menschen bei der Erwerbsarbeit motiviert. Darin fand er heraus, dass wichtige Faktoren wie ein angemessenes Gehalt oder professionell agierende Vorgesetzte noch lange nicht zu Zufriedenheit führen. Sie verhindern lediglich Unzufriedenheit. In diesem Sinne, so der Forscher, sind diese Faktoren wie die Hygienemaßnahmen in der Medizin: Sie verhindern Krankheiten – aber mehr auch nicht. Für richtige Zufriedenheit braucht es mehr.
Beim Brauseschlauch, das lernte ich auf die harte Tour, ist einer dieser Hygienefaktoren der „beidseitige Drehwirbel“. Die Anschlussmuttern des Schlauchs sind normalerweise so konstruiert, dass sie sich frei drehen können, während man die Brause in der Hand hält. Dank Drehwirbel kann man Duschen wie ein normaler Mensch. Irgendwann kam aber ein führender Hersteller auf die Idee, dass dem Fortschritt doch am ehesten gedient sei, wenn man die Verdrehverhinderung nur noch an einem Ende des Schlauchs einbaut – oder einfach ganz weglässt.
Das, was nicht nur ich an einem Schlauch vollkommen normal finde,
ist mittlerweile ein Feature
und trägt beim Hersteller Grohe den Namen „TwistFree“
Laut Website ermöglicht dies, dass „der Brauseschlauch alle Bewegungen vorwegnimmt, ohne sich zu verdrehen“. Man will mir ernsthaft weismachen, der Schlauch ahne, welches Körperteil als Nächstes abzuduschen ich vorhabe, woraufhin er meine Bewegungen vorwegnimmt.
Die Dusche als Künstliche Intelligenz – Zumindest!
Dabei ist der Verdrehschutz „kein neues Feature aus den letzten Jahren“, wie mir Pressestelle bestätigt. Dennoch kosten die „TwistFree“-Schläuche knapp das Dreifache (etwa 35 Euro) der verdrehanfälligen (um die 12 Euro). Zumindest in Amazons Warenchaos ist das so, die Vergleichbarkeit wird durch unterschiedliche Schlauchlängen aber auch nicht gerade leichter.
Bei meinem Schlauch jedenfalls hatte der Hersteller den Drehwirbel eingespart. Und da ich den Schlauch online gekauft hatte, fiel mir erst nach der Montage auf, dass eine wesentliche Produkteigenschaft fehlt.
Unternehmen fächern ihre Produktportfolios auf, indem sie Produkten wichtige Eigenschaften entziehen, so dass es einen Anreiz gibt, das teurere Produkt zu kaufen, das dieser Eigenschaft noch nicht verlustig gegangen ist. Damit aber diese Strategie aufgeht, muss ich wissen, dass mein Anspruch an so triviale Produkte wie Brauseschläuche offenbar von dem einfachsten Produkt nicht mehr befriedigt werden kann. Es ist wie Inflation, nur mit Waren: Das, was das Vorgängerprodukt noch konnte, kann jetzt nur noch die Premiumversion des Produkts.
Klebrige Handyhüllen und fusselige Brillenputztücher
Und der Vertriebsweg, Versand- statt stationärem Handel, sorgt dafür, dass man die Hinfälligkeit der Waren erst bemerkt, wenn sie bereits daheim angekommen (und installiert) sind. Dabei müssen es nicht mal offensichtliche Defekte sein.
Produkteigenschaften, die man beim Onlinekauf nicht wahrnehmen kann oder übersieht, würden phänomenologische Folianten füllen. Wie oft entpuppt sich ein via Bildschirm bestellter Artikel als unerwartet leicht (Wasserkocherfuß), laut (Netzteil), klebrig (Handyhülle), flimmernd (Schreibtischlampe) oder fusselig (Brillenputztuch). So viel Schrott, wie wir online kaufen, würden wir im stationären Handel niemals anschaffen. Nicht zuletzt wegen bequemer Zahlungsmethoden wie „Google Pay“, „Apple Pay“ oder integrierten Ratenzahlungen wie „Buy now, pay later“ des Finanzdienstleisters Klarna, kaufen wir schneller und damit mehr. Amanda Mull schreibt im „Atlantic“, wie es ist: „Onlineshopping ist zu schnell für gute Entscheidungen.“