Elfenbeinturm? Aus Sand gebaut!

Die Mehrheit der befragten Bundesbürger hält Markus Söder für einen geeigneten Kanzleraspiranten, aber Präsidium und Vorstand der CDU beharren darauf, ihrem eigenen Mann Armin Laschet die Kandidatur zu servieren, obwohl dieser in sämtlichen Umfragen weit abgeschlagen zurückliegt.  Man kann die Volten der Kandidatenfindung in der Union mit parteitaktischen Beweggründen erklären – die CDU ist Koch, die CSU nur Kellner, man will dem neuen Parteichef einen Autoritätsverlust wie seiner Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer ersparen – und so weiter.

Und, wenn man dann zudem noch glaubt, am Ende werde die Musik eh im Hinterzimmer gemacht, verwundert gar nix mehr. 
Schaut man jedoch von außen auf die Turbulenzen in der mächtigsten deutschen Partei, stellt sich ein anderer Eindruck ein. Dann nämlich mutet die Wurschtigkeit, mit der Wolfgang Schäuble, Ralph Brinkhaus, Volker Bouffier und die anderen schwarzen Fürsten ihren Mann aufs Kandidatenschild hieven wollen, merkwürdig an: Ist ihnen die öffentliche Stimmung wirklich so sch … – pardon – so egal?

Sind wir hier mit raffinierter Machttaktik konfrontiert?

Oder bereits mit – riskanter – Arroganz?

Helmut Kohl und Angela Merkel wurden – was Wunder – vor ihren Kanzlerschaften ebenfalls unterschätzt – aber beide ließen jeweils einmal einem CSU-Rivalen den Vortritt: Erst als Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber an den Wählern gescheitert waren, griffen sie selbst nach der Macht im Land.
Armin Laschet versucht es anders, er will sofort ganz nach oben, obwohl seine Autorität in der Partei wackelt, obwohl er den Wahlkampf der strauchelnden Union durch seine schlechten Umfragewerte zusätzlich belasten würde, obwohl die CDU womöglich Gefahr liefe, das Kanzleramt erstmals seit 16 Jahren zu verlieren. Es geht ja nicht um den Thron in einem Karnevalsverein, sondern um die Frage, wer in den kommenden vier Jahren Deutschland durch stürmische Zeiten lenkt. Ohne Rückhalt in der Bevölkerung geht das nicht.

Noch sind es fünf Monate bis zur Bundestagswahl,
noch kann viel passieren

Kommt die Impfkampagne voran, scheint endlich bald die Sonne und erlaubt sich Herr Laschet keine größeren Patzer mehr, dann hätte er vielleicht doch noch Chancen, sich statt Olaf Scholz, Annalena Baerbock oder Robert Habeck ins Kanzleramt zu zittern. Aber Stand heute vermittelt die Kandidatenkür den Eindruck, dass die Führungsspitzen in der CDU sich nicht sonderlich dafür zu interessieren scheinen, was die Leute an der Basis und draußen im Land denken. Gerade einmal 12 Prozent der Bundesbürger sprechen sich für Laschet als Kanzlerkandidaten der Union aus. Dagegen stimmen 46 Prozent der Befragten für Söder (29 Prozent wünschen sich einen völlig anderen Kandidaten, 13 Prozent sind unschlüssig). Andere Umfragen bestätigen die Diskrepanz.

Die Quittung bekam der Ministerpräsident aus NRW gerade bei seinem gemeinsamen Auftritt mit Söder in der Fraktionssitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Statt wohlwollender Unterstützung schlug ihm dort von vielen Abgeordneten Ablehnung entgegen. Von einem „messerscharfen Politik-Kampf“ – „Söder trat auf wie ein Gladiator, der seinen Gegner besonders gemein piesackt: Seine beste Waffe sind seine guten Umfragewerte. Der Machtkampf ähnelt zunehmend einem Harakiri.“ Wer geglaubt hat, nur die SPD sei zur Selbstdemontage in der Lage, wurde eines Besseren belehrt: Auch in dieser Hinsicht ist die Union längst sozialdemokratisiert. Im Minutentakt funkten die Abgeordneten Zitate aus dem Parlamentssaal nach draußen zu den Journalisten, viele sind empört vom Kurs der Parteiführung, viele bangen unter einem schwachen Wahlkämpfer Laschet um ihre Mandate. Manche verlasen Briefe aus ihren Wahlkreisen, die explizit vor Laschet warnen.

Miserable Umfragen, Misstrauen in den eigenen Reihen:

Das ist keine Ohrfeige für Herrn Laschet, das wäre normalerweise ein Knock-out-Hieb.Ein amerikanischer Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei hätte angesichts so einer Ausgangslage längst hingeschmissen. Doch in der CDU scheinen die Gesetze der politischen Normalität nicht mehr viel zu gelten. Erklären lässt sich das mit der Gewöhnung an die Macht nach bald 16 Jahren des Dauerregierens – und mit der Abgehobenheit ihrer führenden Funktionäre. Liebe Parteimitglieder, liebe Bürger, wir wissen schon, was gut für euch ist, also lasst uns einfach machen: Das scheint die Haltung in der Parteispitze zu sein – allerdings sind viele Anhänger nicht mehr bereit, sich das bieten zu lassen. „Das, was in der Union gerade passiert, steht für einen Trend. Das Ritual der Parteiführung, Entscheidungen von oben nach unten durchzudrücken, verliert mehr und mehr an Akzeptanz. Man kann das beunruhigend finden. Nur ignorieren sollte man es nicht.

Damit trifft er einen wunden Punkt

Die Führungskader tendieren dazu, Macht als Einbahnstraße zu begreifen, und übersehen, dass sie damit immer mehr Menschen abschrecken. Dieselbe Anmaßung ist auch bei vielen Vorhaben der CDU-geführten Bundesregierung zu beobachten, von der Migrations- über die Klima- bis zur Corona-Politik. Das findet seinen Niederschlag nicht nur in Verordnungen und Gesetzen, sondern auch in Gebäuden

Zum Beispiel im Bundeskanzleramt

„Eine Nummer kleiner tät’s auch“, grummelte Kanzler Gerhard Schröder einst angesichts des Rohbaus, später fühlte er sich in dem klotzigen Kasten allerdings ganz frohgemut. Ebenso wie seine Nachfolgerin, die bald dazu überging, immer mehr Beamte und Kompetenzen in der Regierungszentrale unterzubringen. Hier noch ein Referat, da noch eine Stabsstelle: So wuchs das Kanzleramt und wuchs und wuchs – und nun soll es zur Superbehörde werden. Angela Merkelund ihr Vertrauter Helge Braun haben einen Masterplan für ein Giga-Kanzleramt entwerfen lassen, das will sich die Regierung bis zu 600 Millionen Euro kosten lassen – dabei ist die deutsche Regierungszentrale schon heute geräumiger als der Elysée-Palast in Paris oder das Weiße Haus in Washington. „Mit seinem ständigen Mitarbeiterwachstum verschiebt das Bundeskanzleramt die fein austarierten Gewichte des parlamentarischen Regierungssystems – und erobert sich eine Stellung, die man sonst nur von Präsidialregierungen kennt“.

Immer mehr Einfluss für die Spitze,
möglichst viel von oben entscheiden:

Unter Kanzlerin Merkel hat die Bundesregierung ihren gesamten Apparat massiv aufgebläht. Demnach ist die Zahl der Vollzeitstellen für Angestellte und Beamte in Ministerien, im Kanzleramt und im Bundespräsidialamt seit dem Jahr 2005 um 4.600 auf mehr als 26.000 Stellen gewachsen. Allein im Kanzleramt hat sich die Zahl der Stellen seit Gründung der Bundesrepublik 1949 mehr als versechsfacht. Aktuelle Kosten laut Haushaltsplan: mehr als 51 Millionen Euro. In den meisten Ministerien läuft es ähnlich. Besonders massiv wuchsen demnach die Ministerien für Familie (plus 87 Prozent auf 802 Stellen), Entwicklungshilfe (plus 73 Prozent auf 1.014 Stellen) und Inneres (plus 52 Prozent auf 2.166 Stellen)

Niemand sollte bezweifeln,
dass die politischen Herausforderungen in der globalisierten Welt
heute komplexer sind als vor 70 Jahren

Es braucht Leute, die sich um all die Themen kümmern. Trotzdem offenbart der aufgeblähte deutsche Regierungsapparat eine Maßlosigkeit. Er ist Ausdruck eines paternalistischen Staatsverständnisses: Die Regierung will sich um jeden Pieps im Leben der Bürger kümmern, also braucht es für jeden Pieps eine eigene Stabsstelle, ein eigenes Referat und eigene Beamte, die Vorlagen schreiben, Akten anlegen, jeden Vorgang von links nach rechts und von rechts nach links wenden. Es ist auch diese Regelungswut, die einen deutschen Top-Manager kürzlich ein schonungsloses Urteil fällen ließ: „Nach 16 Jahren Merkel ist Deutschland in vielen Bereichen ein Sanierungsfall“, wetterte Wolfgang Reitzle, Ex-Chef des Industriekonzerns Linde.

Solche Tiraden muss man nicht unterschreiben,
um dennoch
eine bedenkliche Entwicklung in unserem Land zu erkennen

Politische Entscheidungsgremien – ob Parteien, Behörden oder die Regierungszentrale – neigen dazu, sich abzukapseln und immer mehr Kompetenzen an sich zu ziehen, auch wenn sie gar nicht immer in der Lage sind, die besten Entscheidungen zu treffen. Das kann gut gehen, solange die Wirtschaft brummt und es genügend Steuergeld zu verteilen gibt. Werden aber durch eine Weltkrise wie beispielsweise eine Pandemie riesige Löcher in den Staatshaushalt gerissen und warten gleich darauf schon die nächsten Großkrisen – Klima, Artensterben, Migration –, gelangt eine derartige Nanny-Politik an ihre Grenzen.

 

Feb. 2024 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren