Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet. Die Genese der nun beschlossenen Cannabisfreigabe war kein Glanzstück der Ampel. Doch auch wenn man im Koalitionsvertrag den Mund zu voll genommen hat: Der heutige Tag gibt Anlass zur Freude.
Das bisher letzte Mal Konfetti regnete es im Bundestag am 30. Juni 2017, als die „Ehe für Alle“ den Kampf gegen die Diskriminierung Homosexueller ein gutes Stück voranbrachte. Auf den alten Fotos sieht man den „Vater des Gesetzes“ und langjährigen Gleichstellungskämpfer, den Grünenabgeordneten Volker Beck, umringt von jubelnden Parteifreunden.
Natürlich ist die Gleichstellung homosexueller Paare ein völlig anderes Kaliber als die heute beschlossene Beendigung der Strafverfolgung von Cannabis-Konsumenten. Zwischen beiden Projekten aber gibt es deutlich Parallelen: Es geht um gesellschaftliche Modernisierung und das Knacken von Tabus.
Und, es geht ums Bremsen, Verwässern und anfängliche Mutlosigkeit. Als mit dem Institut der Eingetragenen Lebenspartnerschaft 2001 der erste kleine Schritt in Richtung rechtliche Gleichstellung Homosexueller verhandelt wurde, spürte man in jeder Sitzung der rot-grünen Koalition das Zittern der damaligen SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin*. Es gebe verfassungsrechtliche Bedenken, der besondere Schutz der Hetero-Ehe im Grundgesetz, und so weiter und so fort. Jahre später waren dann alle Zweifel wie weggewischt, heute steht die „Homoehe“ der biblischen Hetero-Ehe in nichts mehr nach. Der Untergang des Abendlandes ist ausgeblieben. Wer hätte das gedacht.
Mit Respekt auf gesellschaftliche Realität reagiert
Zu hoffen ist, dass Ähnliches nun in Sachen Cannabis passiert. Auch hier reagiert der Gesetzgeber auf eine gesellschaftliche Realität, tritt den Betroffenen mit Respekt gegenüber und passt die Rechtslage an.
Und weil in den letzten Monaten immer nur davon die Rede ist, wie sehr das Cannabisgesetz dem Jugend- und Gesundheitsschutz diene oder den Grasdealer mit seiner verunreinigten Ware künftig arbeitslos mache: Es geht auch um einen längst überfälligen, entspannteren Umgang mit Millionen von Menschen, die in Deutschland Cannabis konsumieren, ohne dass das Land – deshalb jedenfalls nicht – zu einer Klapsmühle geworden sein würde. Diese Menschen haben die Strafrechtskeule schlichtweg nicht verdient!
Um es noch einmal klarzustellen:
Keiner muss in Deutschland kiffen. Auch nicht nach dem heutigen Bundestagsbeschluss. Genauso wie auch keiner gezwungen wird, an dem staatlich geförderten Massenbesäufnis Oktoberfest oder der gesellschaftlich anerkannten Volltrunk-Woche Karneval bezeihungsweise Fasching teilzunehmen.
Mit dem Inkrafttreten des Cannabisgesetzes gesteht der Staat endlich auch Cannabis-Konsumenten das Prinzip Selbstverantwortung zu: Wer Lust hat, Cannabis zu konsumieren, mag es tun. Wie bisher. Nur künftig legal und ohne Strafverfolgungsdruck. Besser ist das allemal. Denn staatlich verordnete Angst, man tue andauernd etwas Verbotenes, ist wahrlich kein guter Lebensbegleiter.
Peinliches Auftreten in Brüssel
Nun kommt das Cannabisgesetz also – doch der Weg hierhin war ein einziges Auf und Ab. Der interne Kritiker aus der SPD-Fraktion, Kriminalhauptkommissar Sebastian Fiedler, hat natürlich Recht, wenn er sagt, dass das heute im Bundestag beschlossene Gesetz nichts mit der Vereinbarung im Koalitionsvertrag zu tun habe. Darin ist die Rede von der Abgabe in lizensierten Fachgeschäften an Erwachsene. Beabsichtigt war, die gesamte Lieferkette, von der Produktion bis zum Verkauf an der Ladentheke, unter staatliche Kontrolle haben. Damit wäre also genau das eingetreten, was Politiker von CDU und CSU jetzt kritisieren: Der Staat mache sich zum Dealer. Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach im Oktober 2022 diesen Ansatz vorstellte, schwärmte er noch davon, dass Deutschland damit in der Drogenpolitik zum Pionier in Europa werde.
Nun ja, Lauterbach ist Arzt und kein Jurist.
Und auch in seinem Ministerium scheint es keinen zu geben, der sich im internationalem Recht auskennt. Rudimentäre Kenntnisse hätten gereicht, um gleich am Anfang des Prozesses zur Erkenntnis zu gelangen, dass Deutschland sich auf geltender EU-Rechtslage nicht zum Dealer machen kann. Statt nun aber – deshalb – die Pläne allsogleich und nicht erst Monate später abzuwandeln, leisteten sich Lauterbach und sein Ministerium erst einmal peinliche Auftritte in Brüssel. Dort reagierte man auf das Ansinnen Lauterbachs, von der EU-Kommission eine Art Blankoscheck für einen Europarechtsbruch zu bekommen, zu Recht mit Unverständnis.
Letztlich war es am Ende vor allem Grünen und FDP zu verdanken, dass das Cannabis-Vorhaben in der nun vorliegenden Variante irgendwie gerade noch hatte gerettet werden können. Entkriminalisierung lässt sich nämlich auch national regeln, darüber muss man mit der EU nicht verhandeln.
Über viele Punkte des in deutscher Gründlichkeit hoffnungslos überregulierten Cannabisgesetzes lässt sich streiten. Vor allem über den irrsinnigen Kontrollaufwand, der auf Verwaltung und Polizei zukommt. Dabei wird es die absurdesten Streitigkeiten geben, auch vor Gericht: Hat Konsument X seinen Joint verbotenerweise 99 Meter statt 101 Meter entfernt von einem Kindergarten angezündet? Ist die Cannabispflanze zu Hause ordnungsgemäß vor der Zehnjährigen ausreichend gesichert? Das Cannabisgesetz wird viele Blüten treiben, auch juristische. Öfter mal was Neues …
Ein guter Tag für Konsumenten
Doch trotz aller kritikwürdigen Details: Heute ist ein guter Tag. Nicht für Anhänger der Drogenprohibition oder Leuten, die mit Cannabis-Konsum ein Weltbild assoziieren, dass nicht in ihre Sicht auf die Dinge passt. Aber ein guter Tag für ganz normale Menschen. Menschen, die arbeiten gehen, sich um Kinder kümmern und einfach keine Lust mehr haben, unter dem Stigma der Kriminalität zu leben, nur weil sie Cannabis konsumieren.
Das Cannabisgesetz ist nur der erste Schritt. Das vom Gesundheitsminister für „nach der Sommerpause“ 2023 versprochene Säule-2-Gesetz, wonach im Rahmen vorsichtiger Modellprojekten ein paar staatlich lizensierte Shops entstehen könnten, harrt noch der Umsetzung. Ebenso muss Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) zeitnah einen neuen THC-Grenzwert für Cannabis konsumierende Autofahrer auf den Tisch legen.
Zudem aber hat die Ampel noch ein ganz anderes Problem: Damit der Bundesrat am 22. März nicht den Vermittlungssauschuss anruft, muss sie den Bundesländern entgegenkommen – und zwar vor allem aa jenen, in denen die Ampelparteien oder Linke mitregieren. Denn auch bei grünen und rot-roten Justizministerinnen und Justizministern herrscht die große Sorge, dass die Strafjustiz bestimmte Aufgaben, die zum geplanten Inkrafttreten am 1. (sic) April auf sie zukämen, nicht würde stemmen können. Ein wenig mehr Luft als gar keine könnte die Ampel hier den offenbar überforderten Strafverfolgern schon zugestehen. Zumal diese auf längere Sicht mit dem heute beschlossenen Gesetz entlastet werden. Das war auch bitter nötig.