Können AfD-Politiker Björn Höcke Grundrechte entzogen werden? Das jedenfalls fordert eine Online-Petition – was ein Antrag auf Grundrechts- verwirkung gegen Höcke bedeuten würde … Derweil nämlich die Diskussion um ein AfD-Parteiverbot in Gange ist, rückt noch ein anderes rechtliches Instrument in den Fokus der Aufmerksamkeit, das auf einzelne Verfassungsfeinde zielt. Eine Online-Petition will es auf den Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke anwenden. Die Petition mit dem programmatischen Titel „Höcke stoppen!“ hat mittlerweile Hunderttausende Unterzeichner gesammelt.
Worum geht es in der Petition gegen Höcke?
Artikel 18, die Grundrechtsverwirkung, ist ein Instrument der „wehrhaften Demokratie“. Wer Grundrechte wie die Meinungsfreiheit missbraucht, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen, und diese Grundordnung dadurch gefährdet, der kann die missbräuchlich eingesetzten Grundrechte verwirken.
Missbrauch bedeutet, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung zielgerichtet und nachhaltig aktiv aggressiv bekämpft wird. Die Grundrechtsverwirkung ist also keine Sanktion, sondern es geht darum, die freiheitliche demokratische Grundordnung vor Verfassungsfeinden zu schützen.
Was ist die freiheitliche demokratische Grundordnung?
Die im Grundgesetz verankerte freiheitliche demokratische Grundordnung ist ein Gegenentwurf zu einer Gewalt- und Willkürherrschaft und damit eine Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus.
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören etwa der Schutz der Menschenwürde und anderer Grundrechte vor willkürlichen staatlichen Eingriffen sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip und die Freiheit und Gleichheit aller Bürger.
Welche konkreten Folgen hat eine Verwirkung?
Wer Grundrechte verwirkt hat, wird dadurch nicht völlig entrechtet. Es geht vielmehr nur um einzelne, im Grundgesetz aufgezählte Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Briefgeheimnis oder das Eigentumsrecht. Welche Grundrechte genau verwirkt sind und für wie lange, legt das Bundesverfassungsgericht fest.
Würde das Bundesverfassungsgericht etwa feststellen, dass Björn Höcke die Versammlungs- und Meinungsfreiheit für eine gewisse Zeit verwirkt hat, könnte eine Behörde ihm fortan untersagen, Versammlungen anzumelden oder auf Kundgebungen als Redner aufzutreten. Er könnte sich gegenüber der Behörde oder vor einem Verwaltungsgericht dann nicht mehr auf diese Grundrechte berufen.
Eine weitere wesentliche Folge steht zwar nicht im Grundgesetz selbst, aber im Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, das das Verfahren zur Grundrechtsverwirkung näher regelt: Danach kann „das Bundesverfassungsgericht dem Antragsgegner auf die Dauer der Verwirkung der Grundrechte das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkennen“.
Gab es schon Verwirkungsfälle in der Vergangenheit?
Das Bundesverfassungsgericht hat bislang
noch keinem Verwirkungsantrag stattgegeben
Vier solcher Anträge gab es bislang in der Geschichte der Bundesrepublik, alle gegen Rechtsextremisten. Zwei davon lehnte das Gericht ohne Begründung ab, in zwei weiteren sah es keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung, weil es sich um einen bedeutungslosen Politiker beziehungsweise einen rechtsextremen Publizisten ohne nennenswerte Reichweite handelte.
Nach Einschätzung der ehemaligen Bundesverfassungsrichterin und Rechtsprofessorin Gertrude Lübbe-Wolff lassen sich aus den Ablehnungsentscheidungen der Vergangenheit aber keine Schlüsse für mögliche künftige Anträge ziehen: „Es gibt bislang keine einzige Entscheidung, die auch nur entfernt darauf hindeutet, dass ein Antrag auch erfolglos bleiben könnte, wenn er sich gegen einen aktiven und erfolgreichen Politiker richtet, der offensiv Ziele verfolgt und Ansichten propagiert, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, wie zum Beispiel ein völkisches Demokratiekonzept, bei dem Bürger mit Migrationsgeschichte nicht dazugehören.poipoijpoijp
Wie geht es mit der Petition weiter?
Die Petition, gleich wie viele Personen sich ihr anschließen, führt nicht automatisch zu einem Verwirkungsantrag gegen Höcke. Einen solchen können ausschließlich der Bundestag, die Bundesregierung sowie die Landesregierungen stellen.
Wird die bislang auf einer Kampagnen-Webseite gestartete Petition allerdings beim Bundestag oder der Bundesregierung, an die sie sich wendet, eingereicht, befasst sich der Petitionsausschuss des Bundestages mit dem Begehren. Verpflichtet, diesem nachzukommen, sind Bundestag und Bundesregierung nicht. Sie müssen dem Initiator, der die Petition einreicht, aber ein Ergebnis mitteilen.
Unabhängig von der Petition könnte etwa auch der Bundestag mit einfacher Mehrheit einen Verwirkungsantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen. Ein Verwirkungsverfahren dürfte aber längere Zeit in Anspruch nehmen:
Die vier vergangenen Verfahren nämlich dauerten jeweils mehr als vier Jahre.