In diesem Landhaus bei Potsdam hat Ende November letzten Jahres ein „Geheimtreffen“ stattgefunden, auf dem AfD-Funktionäre und Neonazis über einen „Geheimplan“ zur völkischen Homogenisierung Deutschlands beraten haben! Von Presseorganen wie „Junge Freiheit“ und „Cicero“, die der Neuen Rechten mit Wohlwollen begegnen, wird dieser werbewirksamen Rahmung der aufsehenerregenden Recherche des Investigativjournalistenbüros Correctiv widersprochen. Ulrich Siegmund, Fraktionsvorsitzender der AfD im Landtag von Sachsen-Anhalt, gibt an, „als Privatmann“ an der Zusammenkunft teilgenommen zu haben, die laut Roland Hartwig, dem persönlichen Referenten der AfD-Bundesvorsitzenden Alice Weidel, insgesamt einen „rein privaten Charakter“ gehabt habe.
Die Teilnehmer wurden durch persönliche Einladungen rekrutiert. Der Verzicht auf öffentliche Bekanntmachung, argumentiert die „Junge Freiheit“, mache eine private Veranstaltung noch nicht zu einer geheimen. „Betriebsweihnachtsfeiern werden nicht anders organisiert.“
Auch wenn der Bundeskanzler persönlich sich empört: Die von Correctiv aufgedeckten Planspiele der AfD liegen im – und das kann man noch so sehr nicht wollen – Trend der herrschenden Meinung.
Diese Entlastungserzählung geht über die Frage hinweg, ob durch die Berichterstattung über das Treffen, auf dem Hartwig eines der Referate hielt, nicht doch ein Betriebsgeheimnis der AfD bekannt geworden ist, das der Partei unangenehm sein muss. Der Eröffnungsredner, der den angeblichen Plan zur Deportation von Ausländern und nicht hinreichend deutschen Deutschen mitgebracht hatte und vorstellte, war der Österreicher Martin Sellner, der Chefideologe der „Identitären Bewegung“. Just was diese Personalie betrifft, gehen nun die Angaben zum Tagungshausgeschehen auseinander. Der Redaktion von Correctiv liegt ein Einladungsschreiben vor, in dem der Starredner genannt wird. Ulrich Vosgerau, ein an der Universität zu Köln habilitierter Staatsrechtslehrer, der offenbar immer noch Mitglied der CDU ist, obgleich er sich für die AfD als Gutachter vom Dienst in Bundestag und Landtagen betätigt, erklärte für seine Person sogar, dass ihn die Neugier, Sellner einmal persönlich zu erleben, zur Teilnahme bewogen habe. Hartwig dagegen will nicht gewusst haben, dass Sellner im Landhaus anwesend sein werde.
Der Bundesvorstand der AfD führt eine Unvereinbarkeitsliste von Organisationen, deren Mitglieder für die Mitgliedschaft in der Partei nicht in Betracht kommen. Auf dieser Liste stehen linksextremistische, islamistische und rechtsextremistische Gruppen – darunter die Identitäre Bewegung e.V. Nun hätte ein Neigungsverteidiger der AfD wie Vosgerau sicher das spitzfindige Argument parat, dass Hartwig Sellner keinen Mitgliedsantrag aushändigte. Aber der soziale Kontakt zu den Identitären, zumal natürlich der vertrauliche Austausch über Pläne und Projekte, steht im Widerspruch zur Legalitätsstrategie der Parteiführung. In den Gerichtsverfahren, in denen die AfD gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz vorgeht, kommen personelle Berührungen und sachliche Überschneidungen mit den Identitären regelmäßig zur Sprache, weil die „Bewegung“ für die Behörden ein eindeutigerer Fall ist, als die Partei.
Vokabular der Geheimniskrämerei verstärkte Wirkung der Enthüllung
So erklärt sich, dass die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schon kurz nach der Publikation des Correctiv-Artikels unter Berufung auf einen Weidel-Sprecher die Nachricht mit der Schlagzeile „AfD distanziert sich von Geheimtreffen mit Rechtsextremen“ verbreiten konnte. Die AfD distanzierte sich von ihrem als unvereinbar gelisteten Stichwortgeber Sellner, wie sich der Verein Deutsche Sprache von seinem Vorstandsmitglied Silke Schröder distanzierte, einer Kolumnistin des AfD-Hilfspropagandaorgans „Deutschlandkurier“, und die Kölner Universität von ihrem Privatdozenten Vosgerau, der allerdings schon seit 2018 keine Titellehre mehr leistet.
Die „Junge Freiheit“ behauptet: „Es sind die genutzten journalistischen Stilmittel,
die das Bild eines Geheimtreffens vermitteln, nicht die Veranstaltung selbst.“
Demnach hätten die konspirativen Methoden von Correctiv (Einmietung im Haus unter falschem Namen, Chartern eines Floßes für einen Fotografen) den Eindruck des konspirativen Charakters der Runde erzeugt. Das ist bestenfalls halbrichtig: Hartwig als Berater der Parteivorsitzenden und der Magdeburger Fraktionschef Siegmund konnten sich nur heimlich mit Sellner treffen. Richtig ist allerdings, dass das Vokabular der Geheimniskrämerei die Wirkung der Enthüllung verstärkte – oder sogar erst erzeugte. Die Suggestion, AfD-Kader hätten im Schutz eines „Ausflugshotels“ mit unbekannten Gönnern menschenfeindliche Pläne ventiliert, zu denen sich die Partei öffentlich nicht bekennen könnte, machte es den Vertretern der anderen Parteien bis hinauf zum Bundeskanzler möglich, sich vorbehalt- und rücksichtslos zu empören, ohne Rücksicht nämlich auf die eigene Programmatik – denn offensichtlich will die AfD ja etwas ganz anderes, die sprichwörtliche andere Republik, die nur auf konspirativem Weg, durch einen Putsch, ins Dasein würde treten können.
Was nun den Geheimnischarakter von Sellners Überlegungen
zur „Remigration“ angeht,
sind seine Stellungnahmen zum Correctiv-Bericht der Aufklärung dienlich:
Sellner erklärt nun wie weiland der Heiland vor dem Hohepriester: Er habe frei, öffentlich geredet, habe seinen Plan im „patriotischen Lager“ mündlich und schriftlich verbreitet. Dieses Lager schließt die AfD ein. Dem im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek erschienenen Buch Sellners „Regime Change von rechts“, das der Verlag im Doppelpack mit „Rechte Politik von rechts“ vermarktet, dem „Manifest“ des AfD-Europapolitikers Maximilian Krah (F.A.Z. vom 9. Januar), widmete Björn Höcke eine enthusiastische Rezension.
Immer drastischere Maßnahmen gefordert
In der Sache gehen die Punkte in Sellners Konzept, die Correctiv referiert, an vielen Stellen nur ein oder zwei Schritte über die migrationspolitischen Planspiele der Ampelkoalition und der Unionsparteien hinaus. Ein „Musterstaat“ in Afrika – das ist erst einmal nur die konsequentere Variante des Projekts der Stabilisierung Libyens oder der Ruanda-Pläne von Rishi Sunak und Jens Spahn. Assimilationsdruck – für Linnemann-CDU und Giffey-SPD kein Tabu. Spahn oder Nancy Faeser würden allerdings nicht wie Sellner fordern, ausdrücklich die Praxis des Bevölkerungstransfers aus der Zwischenkriegszeit wieder aufzunehmen.
In Kubitscheks Zeitschrift „Sezession“
hat Sellner seine Sicht der Gesamtlage dargelegt:
„Den Schnittpunkt zwischen Islamisierung, Hamas-Demos, Asyl, Sozialmissbrauch und Überfremdung bildet der Bevölkerungsaustausch. Er ist die Ursache, der Rest sind die Symptome.“ Die Stichworte zu den sogenannten Symptomen sind die Schlagworte der derzeit herrschenden Meinung: Mainstream. Wie die AfD suggerieren fast alle Parteien, dass die Probleme von Migration und Integration ein einziges fatales Syndrom von höchster Dringlichkeit bildeten; die Parole der kleinen Paschas steht dafür. Immer drastischere Maßnahmen werden versprochen, die nach Ansicht der meisten Experten keine Abhilfe schaffen werden. Die AfD wartet darauf, dass ihre Gegner nach den Symptombeschreibungen auch die Ursachenbehauptung übernehmen. Für Martin Sellner und seine Leser läuft insoweit alles nach Plan.