«Ja, hier geht’s zur Wartburg. Nehmen Sie den breiteren Weg.» Nett ist er, der Alte Herr einer Burschenschaft, mit Band um den Körper und Ehefrau im Arm. Der Dialekt, mit breiter und langer Betonung der Buchstaben, lässt auf österreichische Herkunft schließen. «Wir kommen aus Linz, kennen Sie die gleichnamige Torte?» Wir sagen ja und fragen auch etwas. Nämlich: Was ist das gerade für eine heftige Diskussion um den Abstammungsnachweis, der die deutsche Burschenschaft entzweit? «Ein Schmarrn», winkt er ab, packt seine Frau und läuft hinein in das Dickicht der thüringischen Laubwälder.

Oben auf der Wartburg wird derweil die Schlange vor der Theke immer länger. In der Schenke bleibt der Zapfhahn geöffnet, das Pils läuft kontinuierlich in Halbliterhumpen. Deutsche und österreichische Burschenschaftler, allesamt im Anzug, mit Band und Mütze in den Farben ihrer Verbindung, sammeln sich für den Festakt. Es ist Burschentag, so wie jedes Jahr in Eisenach. Es geht um Ehre, Freiheit, Vaterland, so das Motto.

Burschenschaftler mit chinesischen Eltern: «Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein»

Auf dem Innenhof der deutschesten aller Burgen hebt auch Kai-Ming Au das Bierglas. Der 26-Jährige trägt die grün-gold-roten Farben seiner Verbindung, der Hansea aus Mannheim. «Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein», sagt Au und fügt hinzu, dass er das ernst meine. Er habe für sein deutsches Vaterland Militärdienst geleistet und studiere nun Finanzdienstleistung. Weil er zwar den deutschen Pass, aber chinesische Eltern hat, gibt es einen Aufstand unter den Burschenschaften zur Frage, wer Mitglied werden darf. Geht es etwa nach der rechten Verbindung der Raczeks aus Bonn, ist die Herkunft aus dem deutschen Siedlungsgebiet allein entscheidend.

Das bunte Treiben der Burschenschaftler hat damit in diesem Jahr eine braune Note bekommen. Obgleich die Anträge zum Rasseparagraphen und dem Rausschmiss der Hansea-Verbindung wegen des nicht-arischen Mitglieds – zwar – zurückgezogen wurden, rumort es aber weiter. Am Freitag wurde in der Sporthalle, die sonst Heimat des Handball-Zweitbundesligisten ThSV Eisenach ist, heftig debattiert. Sehr stickig war es am Ende, berichten Burschenschaftler. Deshalb vielleicht der große Durst auf der Wartburg.

Linke Gegendemonstranten haben sich angekündigt

«Es gibt zwei Lager der Burschenschaft, und sie sind wohl etwa gleichstark», sagt Michael Schmidt. Der Stuttgarter ist Pressesprecher des Burschenverbands und ein Mann der weichen Worte. Eigentlich arbeite er in der Pharmabranche. Die Pressearbeit mache er ehrenamtlich, und man merkt ihm an, dass er bemüht ist, das braune Bild der Burschenschaften nun wieder etwas farbiger zu machen. «Als ich jünger war, habe ich auch mal einen Abend lang mit Punks und Dosenbier über die Welt diskutiert.»

Doch würden sich immer wieder Linke an den Burschen abarbeiten. «Die wollen uns in den Medien schlecht machen.» Zum ersten Mal seit zehn Jahren ist wieder eine größere Gegendemonstration angekündigt. Auf der Wartburg werden die Burschenschaftler deshalb vom Moderator des Festabends gewarnt: «Macht keine unnötigen Unternehmungen in der Stadt.» Die Polizei jedenfalls ist auf der Wartburg mit zivilen Beamten unterwegs. Auch in der kleinen Stadt fallen die patrouillierenden Polizeifahrzeuge auf.

Sind die Burschenschaften zu Unrecht ins braune Licht gerückt worden?

Herr Schmidt, Was macht denn für Sie die Zugehörigkeit zu einer Verbindung aus? «Das Miteinander der Generationen.» Herr Au, Funke für den Brand in der Burschenschaft, sagt: «Vielleicht gehe ich einige Jahre ins Ausland. Wenn ich wiederkomme, kenne ich nicht die neuen Mitglieder meiner Burschenschaft. Aber alle werden mich begrüßen, als sei ich keinen Tag weg gewesen.» Andere Burschenschaftler, die sich an diesem Abend auf der Wartburg als recht pressescheu erweisen, sehen den Sinn pragmatischer: «Wenn ich umziehe, weiß ich, dass sie mir dabei helfen», sagt einer.

Österreichischer Rechtspopulist als Festredner

In einem sind sie sich einig: Der Einfluss der Burschenschaften werde völlig überschätzt. «Ist doch Wahnsinn, dass der Beitrag von Spiegel Online öfter auf Facebook verbreitet wurde, als wir Mitglieder haben», sagt ein Burschenschaftler beim Bier, natürlich nur anonym. Deshalb hier noch mal Pressesprecher Schmidt: «Die Zeiten sind vorbei, dass Alte Herren die Nieten im Studium in gute Positionen bringen.»

Unter blasmusikalischer Begleitung ziehen nun auch die geschmückten Verbindungsoberen in den Innenhof der Wartburg, und ein ganz spezieller Festredner erhält das Wort: Verbandsbruder Lutz Weinzinger. Er saß für die rechtspopulistische FPÖ im österreichischen Nationalrat und forderte einst, dass jede blonde, blauäugige, deutsche Frau mindestens drei Kinder gebären müsse, weil uns sonst die Türken einholen würden.

Dieser Herr lobpreist zunächst die Wartburg, hier hat Luther die Bibel übersetzt, hier trafen sich die Burschenschaften 1817 und diskutierten über Wege zur Reichseinigung. «Unser Volk», sagt er schließlich und meint Österreicher und Deutsche, «ist nicht dazu da, sich für die Freiheit der Koreaner die Knochen zu brechen, sondern für die deutsche Freiheit.» Applaus. «Wir haben die Gleichmacherei der NS-Zeit verstanden … äh … überstanden», stammelt Weinzinger. Ein «Heil Wartburg» beschließt sein Referat, abermals unter viel Applaus.

«Niemand von uns ist verfassungsfeindlich»

Herr Pressesprecher Schmidt, ist die Wahl Weinzingers als Festredner nicht etwas merkwürdig, während die Burschenschaft mit Vorwürfen der Arisierung beschossen wird? «Die FPÖ ist eine respektable, zugelassene Partei.»

Sind bei diesen Herren nur noch die Kappen bunt? Frage an Pressesprecher Schmidt: Den Antrag auf Arisierung hat die Verbindung der Raczeks gestellt. Die hat derzeit den Vorsitz der Burschenschaftlichen Gemeinschaft inne, ein Sammelbecken von rund 40 rechten Studentenverbindungen. Die stellen ein Drittel aller Verbindungen, die unter dem Dachverband firmieren. Laut ihrer Grundsätze halten sie die Abtretung der deutschen Ostgebiete für «eine einseitige Verletzung des Völkerrechts». Sind die rechten Meinungen in der Burschenschaft tatsächlich Einzelmeinungen? «Niemand von uns ist verfassungsfeindlich, alle bestätigen die deutschen Grenzen.»

Bevor sich alle auf den Weg zum Fackelmarsch machen, der in diesem Jahr unter Polizeischutz zum Eisenacher Burschenschaftsdenkmal führt, wird gesungen. Die Blasbegleitung legt los, durch den Innenhof der Wartburg hallt das Burschenschaftslied, es geht um Ehre, Freiheit, Vaterland.

Der Gesang aus den rund 350 Kehlen wird schnell unrhythmisch, die einen sind zu langsam, die anderen zu schnell, der Nachbar wiederum zu laut, andere flüstern nur. Eine Kakophonie, symptomatisch für die deutsche Burschenschaft: Einige streben nach dem Reich, den anderen reicht der Rausch und die Gemeinschaft. Manchmal treffen sie sich in vaterländischer Einigkeit.

Jan. 2024 | Heidelberg, Allgemein, Essay, In vino veritas, Sapere aude | Kommentieren