Als die DDR das „Kennzeichen D“ abschaffte

Hin und wiedrig schauen wir auf Schlagzeilen, die von den beiden deutschen Ataaten produziert worden waren  und berichtet, was weiter geschah. Heute: Wie die SED am 1. Januar 1974 eine der letzten staatlichen Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland West und Deutschland Ost kappte.

Ein Auto mit dem Nationalitätenkennzeichen DDR steht am 13.12.1973 in Leipzig. Das Kennzeichen "D" galt auch lange nach dem Bau der Berliner Mauer und der Teilung Deutschlands noch für die beiden deutschen Staaten. [dpabilderarchiv]
Ein Lada mit dem neuen Nationalitäten-Kennzeichen „DDR“ im Dezember 1973 in Leipzig – seit dem 1. Januar 1974 war es Pflicht

Eine Schlagzeile war es nicht, aber immerhin die vierte Meldung in der Nachrichtenseitenspalte auf den Titelseiten einiger westlicher Zeitungen Und eine von nur zwei fett gesetzten Neuigkeiten: „Eine der letzten äußeren Gemeinsamkeiten der beiden deutschen Staaten, das gemeinsame D-Kennzeichen an Kraftfahrzeugen, ist mit dem ersten Tag des neuen Jahrs entfallen. Auf Grund einer Ostberliner Verordnung müssen die in der ,DDR‘ zugelassenen Kraftfahrzeuge bei Fahrten im Ausland künftig das Unterscheidungszeichen DDR führen.“

WELT-2-1-1974
Meldung aus WELT vom 2. Januar 1974
Quelle: Axel Springer SE

Es war ein Vorgriff auf die revidierte Version jener Verfassung, die zum 25. Jahrestag der DDR am 7. Oktober 1974 in Kraft treten sollte. Darin nämlich sollten alle Hinweise auf die Gemeinsamkeiten der beiden deutschen Staaten beseitigt werden – was dann auch tatsächlich geschah.

Hatte es in der Anfang 1974 formal noch gültigen Verfassung aus dem Jahr 1968 in Artikel 1 geheißen: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen“, so lautete der erste Satz desselben Artikels in der neuen Fassung anders: „Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern.“

Auf den ersten Blick ein geringfügiger Unterschied, denn über den unveränderten Staatsnamen blieb das „Deutsch“ ja erhalten. Tatsächlich aber staatsrechtlich von entscheidender Bedeutung: Nach dem Grundlagenvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR, der am 21. Juni 1973 in Kraft getreten war, hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich den Wiedervereinigungsauftrag des Grundgesetzes als weiterhin geltend beschrieben (und Deutschland in den Grenzen von 1937 definiert). Davon wollte sich das SED-Regime absetzen.

Kennzeichen D, Politikmagazin, Deutschland 1971 - 2001, Moderatoren Joachim Jauer, Hans Werner Schwarze, Harald Jung mit dem Kennzeichen
Joachim Jauer, Hans Werner Schwarze und Harald Jung von der Redaktion „Kennzeichen D“
Quelle: picture alliance/United Archives

Mit beigetragen haben dürfte zu der Entscheidung, den (wenigen) DDR-Autos, die überhaupt ins Ausland fahren durften, ein eigenes Kennzeichen zu verpassen, eine Sendung des ZDF. Seit dem 9. September 1971 strahlte das zweite Programm der Bundesrepublik alle zwei Wochen mittwochs das Magazin „Kennzeichen D“ aus, entwickelt und geleitet von Hanns Werner Schwarze. Und zwar im Wechsel mit dem „ZDF-Magazin“ von Gerhard Löwenthal.

Die beiden Moderatoren, zugleich Gesichter ihrer Sendungen, hätten unterschiedlicher kaum sein können: Löwenthal, Berliner Jude des Jahrgangs 1922, hatte im KZ Sachsenhausen gesessen und den Holocaust nur mit viel Glück überlebt; seine Großeltern und weitere Verwandte wurden ermordet. Löwenthal arbeitete nach 1945 als Journalist beim West-Berliner Rias und entwickelte sich zu einem echten „Kommunistenfresser“, einem mitunter schon ins Eifernde verfallenden Gegner des Unrechtsstaates DDR.

Schwarze dagegen, Jahrgang 1924 und ebenfalls Berliner, hatte seit 1942 in der Wehrmacht gedient und war bis 1945 zum Leutnant aufgestiegen – für einen damals noch nicht einmal 21-Jährigen jedenfalls nicht üblich. Auch Schwarze wurde Journalist, ebenfalls beim Rias in West-Berlin. In den 1950er-Jahen war er ebenfalls ein „Kalter Krieger“, doch unter dem Eindruck des Mauerbaus am 13. August 1961 schwenkte er mehr und mehr nach links und wollte die „Realitäten der Teilung Deutschlands“ anerkennen. Darin ähnelte Schwarze, selbst eingeschriebener Sozialdemokrat, dem SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt.

Kennzeichen D, Politikmagazin, Deutschland 1971 - 2001, Moderator: Hans Werner Schwarze vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Hans Werner Schwarze vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Quelle: picture alliance/United Archives

1962 wechselte Schwarze nach Mainz, kehrte aber schon im Jahr darauf als Leiter des ZDF-Studios in der geteilten Stadt zurück nach West-Berlin. 1966 startete eine erste Magazinsendung, die sich mit der Wirklichkeit – unter diesem Titel – „drüben“, also in der DDR beschäftigte. Fünf Jahre später ging sie in der längeren Sendung „Kennzeichen D“ über „Deutsches aus Ost und West“ auf. Es war faktisch das linke Gegengewicht zum „ZDF-Magazin“. Während Löwenthal weiterhin unnachgiebig alles attackierte, was von deutschen oder anderen Kommunisten kam, kritisierte Schwarze ganz im Sinne der Ostpolitik Brandts den „einseitigem Antibolschewismus“ etwa von WELT.

Kein Wunder, dass die Redaktion in gleicher Münze zurückzahlte und etwa am 1. Februar 1972 kommentierte: „Damit praktizierte Schwarze genau die Einseitigkeit, die er den von ihm angegriffenen Zeitungen vorwarf. Er beeinflusste die Zuschauer und informierte sie nicht. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.“

ZDF-Magazin, Politikmagazin, Deutschland 1969 - 1987, Moderator Gerhard Löwenthal in der Nähe vom Brandenburger Tor in Berlin, Deutschland um 1978.
Gerhard Löwenthal im Reichstag vor dem Brandenburger Tor (1978)

Während das Hamburger Magazin „Der Spiegel“ in den 1970er-Jahren die meisten „Kennzeichen D“-Sendungen sehr positiv in seiner Programmvorschau ankündigte, attackierte etwa „Bild am Sonntag“ (erschien damals wie heute im Axel Springer Verlag, genau wie WELT) den Redaktionsleiter scharf: „Moderator Hanns Werner Schwarze, früher strammer antikommunistischer Polit-Kommentator beim Rias in Berlin, praktiziert heute im Sinne von Egon Bahr den SPD-Kalenderspruch ,Wandel durch Annäherung‘ auf seine Weise: untertänig und kritiklos annähern und ausschließlich selbst wandeln bis zur Selbstaufgabe.“

Die SED übrigens machte in ihrer Ablehnung von Löwenthal wie Schwarze keinen großen Unterschied. Auch den SPD-Mann an der Spitze des West-Berliner ZDF-Studios schmähten „Neues Deutschland“ und andere Parteimedien als „Aggressor in Filzlatschen“ und warfen ihm „Revanchismus in Reinkultur“ vor.

Das "DDR"-Zeichen an diesem Trabi wurde in ein "D" umgestaltet (Archivbild vom 11.9.1989. Über 10000 Übersiedler kamen in den ersten 24 Stunden nach der Öffnung der ungarischen Grenze am 11.9. über Österreich in die bayerischen Auffanglager. Sie wollen Freiheit - raus aus dem DDR-Staat von Honecker. Kurz darauf vollzieht sich der Untergang des SED-Regimes in einem rasanten Tempo: Am 9.11.1989 öffnet die DDR ihre Grenzen. Die Mauer hat 28 Jahre nach dem Bau ihren Sinn verloren.
Leicht umgestaltet: Ein Trabant im September 1989 in Österreich nach der Flucht seiner Besitzer über Ungarn
Quelle: picture-alliance / dpa

Die prominente Rolle, die Schwarze dem Nationalitäten-Kennzeichen „D“ in seiner Sendung gab, dürfte beigetragen haben zum Wechsel auf „DDR“ zum 1. Januar 1974. Belege dafür gibt es allerdings soweit bekannt nicht.

Zwar war sich Schwarzes Nachfolger Joachim Jauer ganz sicher: „Die SED hat uns sehr schnell unterstellt, wir würden mit dem ‚Kennzeichen D‘ ein Großdeutschland postulieren, was natürlich absoluter Unsinn war.“ Deshalb sei das „überdimensionierte Kennzeichen DDR“ eingeführt worden, „was sich besonders groß ausnahm, weil die Trabbis besonders klein waren“. Allerdings war das neue Nationalitäten-Kennzeichen auch nicht viel größer als das vorherige.

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Übrigens erwies sich das Schild 1989/90 als geradezu praktisch: Ostdeutsche mussten nur das erste „D“ und das „R“ wegkratzen, weiß übermalen oder überkleben, wenn über Ungarn im September oder nach dem Fall der Mauer in den Westen wechselten. Statt sich ein neues Nationalitäten-Kennzeichen zu kaufen.

Jan 2024 | In Arbeit | Kommentieren