Aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht ist gerade die jüngste Partei Deutschlands geworden. Viele Parteigründungen hat die Bundesrepublik in ihrer 75‑jährigen Geschichte (über)erlebt. Jenseits der etablierten Parteien verschwanden die meisten wieder. Nur ein gutes Dutzend Kleinstparteien sorgte zumindest vorübergehend für Aufsehen. Jenseits einer richtungspolitischen Bewertung sind Parteigründungen zunächst einmal Symptome einer funktionierenden Demokratie, denn diese lebt von Veränderungen und von der politischen Teilhabe breiter gesellschaftlicher Schichten.

 

In der Geschichte der Bundesrepublik gab es Hunderte von Parteigründungen – jenseits der acht im Bundestag vertretenen Parteien sind nur wenige in Erinnerung geblieben. Voraussetzungen dafür waren zumeist, wie im Fall Wagenknecht, dass schillernde Persönlichkeiten an ihrer Spitze standen. Hier einige Beispiele – und was aus ihnen wurde.

Bayernpartei

Aus heutiger Sicht überrascht das Endergebnis der ersten Bundestagswahl vom 14. August 1949: Denn hinter Union, SPD und FDP landeten die KPD, die zu Zeiten der Weimarer Republik gegründete Kommunistische Partei Deutschlands – und die Bayernpartei. Letztere war 1946 gegründet worden und stritt, konsequenter als später die CSU, von der sie verdrängt wurde, für die Interessen des Freistaats. Die Bayernpartei verschwand alsbald in der Bedeutungslosigkeit, existiert aber bis heute und hat auch ihre Kernforderung – ein unabhängiges Bayern – nie aufgegeben.

Bund der Heimatvertriebenen BVP

In den 50er-Jahren feierte eine Partei Erfolge, die fast eindimensional die Interessen von Millionen Bundesbürgern wahrnahm, die als Folge von Deutschlands Kriegsschuld aus ehemals deutsch besiedelten Gebieten vertrieben worden waren. Bei der Bundestagswahl 1953 wurde diese Partei von 5,9 Prozent der Menschen gewählt. Die Partei war Teil einer Bundesregierung und an mehreren Landesregierungen in den 50er-Jahren beteiligt.

Diverse Rechtsparteien

Besonders dynamisch, was Parteigründungen betraf, ging es am rechten Rand der Gesellschaft zu. Einerseits gab es in den frühen Jahren der Bundesrepublik in der Gesellschaft ein großes Potenzial an rechtskonservativen, rechten bis hin zu offen nationalsozialistischen Gesinnungen. Andererseits waren neu gegründete Rechtsparteien bestrebt, einen zu deutlichen Bezug auf NS‑Traditionen zu vermeiden. Die erste Partei, die diesen Spagat versuchte, war die Deutsche Partei (DP), die bei den ersten Bundestagswahlen bis 1957 regelmäßig zwischen 3 und 4 Prozent erreichte. Diese wurde dann 1964 durch die NPD abgelöst, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, die allein schon dem Namen nach eine deutlichere Traditionslinie zur NS‑Zeit zog.

DVU und Republikaner

Die Deutsche Volksunion (DVU) wuchs auch auf dem Nährboden einer antieuropäischen und Antiflüchtlingsstimmung in den 90er-Jahren heran. 1971 noch als Verein und 1987 als Partei gegründet, war ihr autoritärer Vorsitzender Gerhard Frey, der 38 Jahre lang bis kurz vor dem Ende der DVU die Zügel in der Hand hielt. Die Republikaner wurden 1983 in München von ehemaligen CSU-Mitgliedern gegründet. In den 90er-Jahren erstarkten sie, als es infolge der Balkankriege zu einem verstärkten Zuzug von Menschen aus Südosteuropa nach Deutschland kam.

Statt-Partei

Von Hamburg aus trat in den 90er-Jahren die Statt-Partei (oder: Die Unabhängigen) einen kurzzeitigen Siegeszug an. Hervorgegangen aus der Landes-CDU verstand sich die Statt-Partei als Bürgerinitiative, die Volksinitiativen, Volksbegehren und ‑entscheide forderte und an die heutigen Freien Wähler erinnert.

Auf Anhieb gelang es der Partei 1993 5,3 Prozent der Stimmen zu bekommen und in das Hamburger Stadtparlament einzuziehen. Zusammen mit der SPD bildete sie sogar eine Koalition und erhielt dafür zwei Senatorenposten. Doch ihr war nur ein kurzes politisches Dasein beschieden, schon 1997 scheiterte sie an den 5‑Prozent-Hürde.

Schill-Partei

Auch die Schill-Partei, benannt nach ihrem Parteigründer, dem ehemaligen Richter Ronald Schill, blieb ein Hamburger Phänomen. In einer aufgeheizten Situation konstruierten Boulevardmedien um die Jahrtausendwende das Bild einer Stadt, in der sich Kriminalität und Gewalt frei austoben konnten. Schill, der als selbst ernannter „Richter Gnadenlos“ selbst für Bagatelldelikte hohe Strafen aussprach, empfahl sich als rechtspopulistischer Law-and-Order-Mann.

Ronald Barnabas Schill, Spitzenkandidat der Partei Rechtsstaatliche Offensive, am (21.9.2001 während einer Stadtrundfahrt durch Hamburg).

Ronald Barnabas Schill, Spitzenkandidat der Partei Rechtsstaatliche Offensive, am (21.9.2001 während einer Stadtrundfahrt durch Hamburg).

Das verfing beim Wahlvolk, wo die neue Partei auf Anhieb 20 Prozent einfuhr, die oppositionelle CDU machte Schill ein Koalitionsangebot. Doch es kam nach zahlreichen Skandalen und einem offensichtlichen Erpressungsversuch zum Zerwürfnis zwischen Bürgermeister Ole von Beust und Schill. Die Partei, die sich nach ihrem Auftakterfolg auf 15 Bundesländer ausgedehnt hatte, verschwand in der Bedeutungslosigkeit.

Nach Schills spektakulärem Abgang wurde es zunächst ruhig um ihn – bis das „Hamburger Abendblatt“ im August 2006 meldete, der Ex‑Senator sei von einem Leser in einem Restaurant in Rio de Janeiro fotografiert worden. Es war der Auftakt zu Schills dritter Karriere – nach der eines Richters und Politikers: als öffentliche Person.

Graue Panther

Die Grauen Panther verstanden sich als Antwort auf die ungelösten Fragen einer überalterten, reformmüden Gesellschaft. Gegründet wurden sie 1989 von der damaligen Bundestagsabgeordneten Trude Unruh, zuvor parteiloses Fraktionsmitglied der Grünen im Bundestag. Sie verstand sich sehr früh schon als Anwältin der Senioren. Ziele der Grauen waren eine Mindestrente ab 65, Förderung regenerativer Energien, Umweltschutz, mehr Volksbegehren und ‑entscheide sowie der Kampf gegen jede Art von Extremismus. Zwar erreichten sie auch schon mal stattliche 3,8 Prozent bei Wahlen, blieben aber immer unter der 5‑Prozent-Hürde.

Die Piratenpartei

Die 2006 gegründete Piratenpartei empfahl sich jenseits der klassischen Links-rechts-Verortung als politische Kraft der digitalen Zeit. Sie zielte vor allem auf den jungen, agilen und großstädtischen Teil der modernen Gesellschaft. In Berlin schafften es die Piraten auch 2011 ins Abgeordnetenhaus. Sie scheiterten letztendlich auch an der sich zunehmend polarisierenden Gesellschaft, an der zunehmenden Relevanz „harter“ politischer Themen wie Migration, Krieg, Verhältnis zu Diktatoren, mit denen sich die Piraten schwertaten.

Der Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland (APPD), Karl Nagel, 1998 in seinem Arbeitszimmer in Hamburg ein Wahlplakat mit der Aufschrift „Arbeit ist Scheiße“ zeigend.

Der Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschland (APPD), Karl Nagel, 1998 in seinem Arbeitszimmer in Hamburg ein Wahlplakat mit der Aufschrift „Arbeit ist Scheiße“ zeigend.

Die Partei und andere Spaßbewegungen

Ideologie, Demagogie, Welterklärer? Die Partei, offiziell Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative, verzichtet auf den gehobenen Zeigefinger und bierernste Belehrungen. Spaß steht im Vordergrund dieses satirischen Projekts, 2004 gegründet von Redakteuren der „Titanic“. Dass das funktioniert, zumindest im Bonsai-Format, verdeutlicht ihr Vorsitzender Martin Sonneborn, der seit 2014 im Europaparlament sitzt und in diesem Jahr auf Bestätigung hofft.

Andere Spaßbewegungen schafften das nicht: Die Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD), nach eigenem Verständnis „Anwalt des Pöbels und der Sozialschmarotzer“ und dem Motto „Arbeit ist Scheiße“ verpflichtet, kam beim Wahlvolk ebenso wenig an wie die 1998 gegründete Partei der Nichtwähler, die auf das gute Drittel der Wahlberechtigten spekuliert hatte, das regelmäßig die Stimmabgabe verweigert.

Jan. 2024 | In Arbeit | Kommentieren