Im letzten Oktober kündigte Salman Rushdie an, ein Buch über den Mordanschlag auf ihn zu publizieren. Nun verlangt die Verteidigung Einblick in die Aufzeichnungen.

Der Schriftsteller Salman Rushdie ist seit der Messerattacke im August 2022 auf einem Auge blind.

 

Am Montag hätte der Prozess gegen Hadi Matar beginnen sollen, der im August 2022 während einer Veranstaltung mehr als ein Dutzend Mal mit einem Messer auf Salman Rushdie eingestochen und den Schriftsteller lebensgefährlich verletzt hatte. Rushdie überlebte den Mordanschlag, er hat aber das rechte Auge verloren, ausserdem wurden die Leber und eine Sehne am linken Arm verletzt. Er leidet bis heute unter den Folgen des Angriffs.

Matars Verteidiger hat diese Woche Einsicht verlangt in das neue Buch von Salman Rushdie, das am 16. April unter dem Titel «The Knife» (Das Messer) erscheinen wird und im Untertitel «Erinnerungen nach einem versuchten Mord» verspricht. Die Verteidigung erkennt darin mögliches Beweismaterial und beantragt darum, dass dem Angeklagten Einblick gewährt werde. Der zuständige Richter am Bezirksgericht in Chautauqua im US-Bundesstaat New York, wo die Attacke stattgefunden hatte und dem Attentäter der Prozess gemacht wird, gab dem Gesuch statt. Rushdies Anwälte verweigerten unter Verweis auf das Urheberrecht umgehend die Einsichtnahme.

Zahlreiche Zeugen des Angriffs

Der Prozess wurde einstweilen sistiert, und auf Anweisung des Richters müssen der Anwalt und der Angeklagte entscheiden, ob das Verfahren erst nach Erscheinen des Buches im April wiederaufgenommen werden soll. Matars Anwalt stellt sich auf den Standpunkt, dass es nicht nur um das Buch gehe, vielmehr sei er berechtigt, alles Material einzusehen, das im Zusammenhang mit «The Knife» entstanden sei, jede kleinste Notiz, die Rushdie aufgeschrieben habe, jedes Gespräch, das er dazu geführt habe.

Der Bezirksanwalt hält das Material allerdings für wenig relevant. Es gebe hinreichende Zeugenaussagen, da die Attacke vor Publikum geschah. Ausserdem könne Salman Rushdie als Zeuge vor Gericht geladen werden. Ob Rushdie am Prozess teilnehmen wird, hat er im vergangenen Sommer noch offengelassen. Er sei in der Frage gespalten, zitiert ihn der britische «Guardian»: «Ein Teil von mir möchte tatsächlich im Gerichtssaal anwesend sein und den Attentäter sehen, ein anderer Teil in mir hat schlicht keine Lust dazu.»

Rushdie verdankt sein Überleben einem Freund, dem es gelungen war, den Attentäter an den Füssen zu packen und von seinem Opfer wegzuziehen. Hadi Matar wurde noch am Tatort festgenommen und ist seither in Haft. In einem Interview mit der «New York Post» äusserte er sich nur wenige Tage nach dem Angriff überrascht, dass Rushdie überlebt hat. Zu seinen Motiven für die Tat sagte er, der Schriftsteller habe den Islam und die gläubigen Muslime angegriffen. Zugleich gestand er, lediglich ein paar Seiten der «Satanischen Verse» gelesen zu haben.

Nicht das einfachste Buch

Im Februar 2023, ein halbes Jahr nach dem Angriff, sprach Salman Rushdie in einem langen Interview mit dem «New Yorker» erstmals davon, über den Mordanschlag ein Buch schreiben zu wollen. Es schwebe ihm eine Art Fortsetzung seiner Autobiografie «Joseph Anton» vor. Joseph Anton war sein Pseudonym, mit dem er sich in den Jahren nach der von Irans Revolutionsführer Ayatollah Khomeiny erlassenen Fatwa von 1989 schützte.

Die Geschichte über den Messerangriff müsse er allerdings in der ersten Person schreiben. «Wenn jemand mit einem Messer in dich hineinsticht, dann ist das eine Ich-Geschichte.» Es sei nicht das einfachste Buch auf der Welt, aber er müsse es schreiben und sich mit dem Anschlag auseinandersetzen, damit er sich wieder anderem zuwenden könne. «Ich kann nicht einfach einen Roman schreiben, der nichts damit zu tun hat.»

Danach kündigte Salman Rushdie bereits im vergangenen Oktober an, dass seine Erinnerungen an den Mordanschlag im April unter dem Titel «The Knife» erscheinen würden. «Es war für mich eine Notwendigkeit, dieses Buch zu schreiben», sagte er während einer öffentlichen Veranstaltung, «eine Möglichkeit, das Geschehene zu verarbeiten und der Gewalt mit Kunst zu begegnen.»

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