Mache wollen das ja – brauchen das gar …

Sich von anderen schmerzhaft getrennt fühlen – Anflüge von Einsamkeit kennt jeder: Als Kind am Rand eines Spiels zu stehen, ohne eingeladen zu sein.  Sich von anderen schmerzhaft getrennt zu fühlen, gehört zur evolutionären Grundausstattung.
Dabei werden sogar dieselben Hirnareale aktiviert wie bei körperlichen Schmerzen. Wie Hunger oder Durst ist Einsamkeit ein Warnsignal, betont der weltweit angesehene US-Psychologe John Cacioppo in seinem Buch „Einsamkeit“ über seine Forschung. Während die Depression einen Menschen ausbremst, will die Einsamkeit das „soziale Tier“ Mensch aktivieren und zurück in die schützende Gruppe treiben.

Die meisten Menschen finden tatsächlich schnell wieder Anschluss. Forscher nennen diesen Impuls „reaffiliation motive“, „Wiederangliederungsmotiv“. Gefährlich und chronisch wird Einsamkeit, wenn das aus eigener Kraft nicht mehr gelingt. Ein Teufelskreis: Der Einsame wird immer verstörter – seine Umgebung zieht sich befremdet zurück.

Man unterscheidet „emotionale“ und „soziale“ Einsamkeit

Zwei Grundformen der Einsamkeit unterscheidet die Psychologie. Ein „emotional einsamer“ Mensch kann selbst einer geliebten Person nicht mehr nah sein.
„Ich habe mich dann in die Arbeit gestürzt, viel Nachtdienste gemacht in der Zeit, bewusst auch, weil ich gedacht habe, ich halte die Nächte nicht aus. Das war ganz schwierig, dass ich halt wusste, mein Mann ist bei dieser Andern, das war auch so eine permanente Dauertraurigkeit irgendwie. Man zieht sich ja dann, oder ich hab mich ja dann zurückgezogen, ja, und ich wollte die anderen halt auch nicht nerven, die anderen Leute.“
„Soziale Einsamkeit“ nennt man das schmerzliche Gefühl, nicht dazu zu gehören, als stünde man hinter einer unsichtbaren Wand. Mini Kapur wanderte vor vielen Jahren von Indien nach Deutschland ein. In ihrer Heimat angesehen und erfolgreich, stand sie plötzlich als Niemand in einer fremden Kultur.
„Weil, ich komme aus Indien – tausend Leute um dich jeden Tag, und auf einmal bist du wirklich einsam gewesen. Nur eins. Allein. Und das kannte ich nicht. Und damit umzugehen war ein langer Prozess. Ich konnte nicht verstehen, was mit mir los ist. I am a highly educated woman, erfolgreich – und auf einmal: nichts funktioniert.“
Bislang gibt es nur wenige Studien über die kulturelle Dimension der Einsamkeit. Offenbar reagieren Menschen umso stärker, je mehr ihre Gesellschaft auf Gemeinschaft ausgerichtet ist – in Spanien sind alte Leute schneller einsam als in Schweden, in den USA junge Menschen ohne Liebesbeziehung schneller als in Korea. Nicht die reale soziale Isolation zählt, sondern das subjektive Gefühl, dass vertraute, innige Beziehungen fehlen. Der Soziologe Janosch Schobin, Dozent an der Universität Kassel.
„Es ist in Deutschland verglichen mit anderen Ländern vergleichsweise glimpflich abgelaufen. Es scheint sich auch nicht, wenn man sich die Daten anschaut, auszuweiten. In Deutschland sind es so ungefähr fünf Prozent der Leute, die sich die meiste Zeit einsam gefühlt haben in der letzten Woche – in Russland sind es ungefähr dreimal so viele, ungefähr 15 Prozent.“

Männer leiden häufiger unter Einsamkeit

Fünf Prozent aller Deutschen rücken Einsamkeit immerhin in die Größenordnung drängender sozialer Probleme wie das der Arbeitslosigkeit. Wer sind diese einsamen Menschen? Nach einer bundesweiten Studie gibt es mehrere Einsamkeitstypen. Zum Beispiel die „Workaholics“ – junge Menschen, die sich in ihre Arbeit vergraben. Oder die „Verletzlichen“ – zu 70 Prozent Frauen –, die aus Angst Beziehungen vermeiden.
Singles sind, wenig überraschend, einsamer als Menschen in einer Beziehung. Interessanterweise macht es keinen Unterschied, ob sie Kinder haben oder nicht. Männer leiden deutlich häufiger als Frauen, obwohl sie an ihr soziales Leben viel geringere Ansprüche stellen, weder ein großes Freundschaftsnetz brauchen noch häufig Gefühle austauschen möchten. Ihnen ist vor allem wichtig – ein Partner.
„Wenn was in der Partnerschaft beispielsweise passiert wie jetzt eine Verwitwung – Frauen erholen sich da viel schneller und das liegt einfach daran, dass die ein viel größeres Netzwerk haben. Bei Männern ist es so, die hängen sehr stark von ihrer Partnerin ab, und wenn die dann nicht mehr da ist, dann leiden Männer extrem, weil sie einfach nicht so großes Netzwerk haben und dann darüber das kompensieren können.“
Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitspsychologie an der Jacobs- Universität Bremen. Lebenspartner bieten einen Schutz – aber keine Garantie. Ein großer Teil der einsamen Menschen leben in einer Beziehung. Und die Alten? Sie passen sich von der Tendenz her ihrer Lebenssituation erstaunlich flexibel an, schrauben Ansprüche nach unten und versuchen zu genießen, was ihnen noch vergönnt ist. Es sind die 40- bis 49-Jährigen, die heute am häufigsten mit Einsamkeit kämpfen.

Der Kinder-Kosmos ist verlorengegangen

Es gibt eine weitere Gruppe, für die Einsamkeit ein schwerwiegendes Problem sein kann – Kinder.
Erst im Grundschulalter können Kinder ihre Einsamkeit bewusst reflektieren und zu ihrem eigenen Verhalten in Beziehung setzen. Wenn Kinder sich als Verlierer im Status-Gerangel wiederfinden, wie es längst auch den Kindergarten erreicht hat, wenn sie keine Aufgabe im Fußball- oder Theaterspiel erhalten, ähnelt ihre Ursachenanalyse der von Erwachsenen: Soziale Erfolge nehmen sie als Zufall wahr, Misserfolge schreiben sie sich selbst zu – „ich bin langweilig, hässlich und dumm.“ In Wirklichkeit fällt vor allem schüchternen oder aggressiven Kindern der Zugang zu Gleichaltrigen schwer.
Professor Veit Rößner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Dresden: „Ein Erwachsener kann Beziehungen viel besser einschätzen, auch die Intensität einer Beziehung viel besser einschätzen und hat einen viel breiteren Werkzeugkoffer: Wie geht er zukünftig mit einer Beziehung um? Intensiviert er die oder lässt er die eher ein bisschen an den Rand treten, was Kindern natürlich ganz logischerweise aufgrund der Lebenserfahrung, aufgrund der kognitiven, emotionalen Fähigkeiten, der sprachlichen Fähigkeiten überhaupt nicht möglich ist.“
Große Kindergruppen, die ohne Aufsicht frei in den Straßen spielen?
Große Kindergruppen, die ohne Aufsicht frei in den Straßen spielen? Ein Bild aus vergangenen Zeiten. Heute fehlen oft Geschwister und Nachbarskinder und viele Eltern lassen ihren Nachwuchs nicht mehr allein aus dem Haus. Kinderpsychologen sprechen von einer „Verinselung“: Sämtliche Aktivitäten werden von Erwachsenen geplant und gesteuert. Eine davon unabhängige, in Kinderhand liegende Erlebenswelt gibt es kaum noch. Auch ein Zuviel an Aktivitäten kann zur Vereinzelung führen.
„Nehmen wir zum Beispiel das Thema Sport im Verein“, sagt Veit Rößner.“Also, Eltern neigen immer häufiger dazu, nach der ersten Anfangseuphorie, wenn die verflogen ist, zu sagen, ‚dann probier doch mal was anderes aus‘. Und deswegen wird viel gefahren, viel ausprobiert, aber dadurch entsteht auch keine tragfähige Beziehung, die einfach eine gewisse Zeit braucht.“

Kinder brauchen das Gefühl von „Selbstwirksamkeit“

Wie vertragen wir uns nach einem Streit? Was fangen wir miteinander an, wenn uns langweilig ist? Kinder brauchen Zeit, das zu erleben und auszuprobieren – und können es nicht, wenn Eltern ein Unterhaltungsprogramm rund um die Uhr organisieren. Ein Kind muss „Selbstwirksamkeit“ spüren – aus eigener Kraft und mit eigenen Ideen Freundschaft und Gemeinschaft zum Laufen zu bringen.
Wenn nur noch eine Therapie weiterhelfen kann, richtet sie sich nicht allein an das Kind.„Man muss auch den Eltern ganz klar sagen, sie müssen sich mit anstrengen. Das gesamte System muss sich verändern, und nur dann hat das Kind überhaupt eine Chance, aus so einer erlernten festgefahrenen Rolle wieder rauszukommen.“

Das Internet ist nicht schuld an Einsamkeit

Jugend – Zeit des glücklichen Party-Lebens? Jugendliche Einsamkeit, heute oft lapidar dem Internet zugeschoben, hat einen wichtigen entwicklungspsychologischen Sinn: Der emotionale Bezugspunkt der Eltern muss wegbrechen, damit ein junger Mensch sich von zu Hause löst und seine wichtigsten Beziehungen nun außerhalb des Elternhauses sucht.
Dez. 2023 | Allgemein, Essay, Senioren, Die Hoffnung stirbt zuletzt | Kommentieren