Diese Woche traf es eine Hamburger Kita: »Bild«, »Focus« und Markus Söder behaupten, dort werde Weihnachten bekämpft. Das stimmt nicht – aber es illustriert die finsteren Themenideen deutscher Kulturkämpfer.
Ob Markus Söder in eine Kita ging – nichts Genaues weiß man nicht. Ich jedenfalls habe einen „Kindergarten“ in Heidelberg besucht. Heute weiß ich, dass dort offenbar, unbemerkt von Kindern und Eltern, ein subversiver Kampf geführt wurde: der Kampf gegen Weihnachten.
In unserem evangelischen Kindergarten nämlich gab es keinen „Freut Euch Christbaum“. Gut, es wurden Adventskalender gebastelt, Weihnachtslieder gesungen, Bibeltexte vorgelesen und Krippenspiele einstudiert, aber einen „zu teuer“) Christbaum, also das wichtigste christliche Symbol überhaupt, gab es meiner Erinnerung nach nie. Zu Hause aber schon – Papa war „im Wald gewesen.“
Ein heimlicher Krieg im Kindergarten
Falls Sie gerade bei »wichtigstes christliches Symbol« die Stirn gerunzelt haben sollten, haben Sie natürlich recht: Der Christbaum ist, wie so viele Weihnachtsbräuche, ein umgewidmetes heidnisches Symbol. Er stand in dunklen, kalten, kahlen Zeiten für das ewige Grün, für das Versprechen, dass der Schnee irgendwann wieder verschwindet (das wünscht man sich in München gerade auch wieder). Aber weil die Kirche immer schon sehr gut darin war, die heidnischen Bräuche der Bekehrten zu assimilieren, blieb der Christbaum eben, ja, er wurde umarmt und, heidnisch hin oder her, in Kirchen aufgestellt.
Nur bei uns im Kindergarten – direkt unter dem Heidelberger Schloss – gab es keinen, und ich vermute auch in vielen anderen Ksolchen Gärten nicht. Wer einmal selbst in einer Kindergaerwn (Neudeutsch: Kita) war, ahnt vielleicht auch warum: Dort nämlich sind viele Kinder mit starkem Bewegungsdrang und Kletterbedürfnis unterwegs, und an solchen Orten leben in wackligen Ständern aufgestellte Bäume gefährlich. »Ihr Kind ist mit dem Baum umgekippt und hat sich den Arm gebrochen«, ist so ziemlich der letzte Satz, den Schwestern (bei uns damals war das eine schon sehr alte „Tante Anna“ mit schneeweißer Haube …
Es ist deshalb durchaus verständlich, dass eine Hamburger Kita dieses Jahr, wie auch in vielen Jahren zuvor, entschieden hat, keinen Christbaum aufzustellen, sondern sich auf Adventskalender, Tannenzweige, Christbaumkugeln und andere weihnachtliche Devonatien zu beschränken. So weit, so normal und irrelevant – muß man heutzutage meinen dürfen. Eltern beschwerten sich (warum auch immer), und irgendwer machte einen Fehler: In einem Brief des Kita-Teams an sich beklagende Eltern stand offenbar auch, was ja eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: dass man »kein Kind und seinen Glauben ausschließen« wolle. Wie gesagt: Weihnachten gefeiert wird dort trotz alledem.
Dann aber kamen – „wie ich berichtet bin – zuerst das »Hamburger Abendblatt«, dann die »Bild«-Zeitung und schließlich »Focus online« und erklärten, auf Basis der Beschwerden einiger Eltern, die Abwesenheit eines Christbaums in einer Kindertagesstätte zum Kulturkampfthema: »Cancel Culture«! »Eltern empört!«
Markus Söder nun aber – der ungern eine Vorlage für ungebremsten Populismus auslässt, reichte die abgeschriebene »Focus«-Meldung dann an seine 420.000 Follower auf X, ehemals Twitter, weiter. Versehen mit dem Kommentar: »Das ist absurd. Haben wir denn keine anderen Probleme? Zu Weihnachten gehört ein Weihnachtsbaum
Festtagsbräuche: Wir aber sagen euch an den irren Advent als Kulturkampf:
Die religiöse Rechte radikalisiert sich – aus Angst vor Bedeutungsverlust
Mal eben kurz erklärt – das Lichterfest: Was genau feiern Juden an Chanukka?
Nun sieht sich die Kitagruppe »Finkenau«, die Weihnachten keineswegs abschaffen will, sondern ausgiebig feiert, mit, Zitat: »massiven rassistischen Drohungen, persönlichen Beleidigungen, Anschuldigungen und Erpressungsversuchen konfrontiert«. Wenn Kulturkämpfer einen rechten Mob herbeirufen möchten, ist ein fiktiver Angriff auf Weihnachten Ideal. Und zwar schon seit etwa 100 Jahren …
Die Fiktion vom »Kampf gegen Weihnachten« wird auch bei uns jedes Jahr mit religiösem Eifer gepflegt. Angeblich darf man nicht mehr »Weihnachtsmarkt« sagen (doch, darf man, aber wenn die Märkte länger dauern sollen als die Adventszeit, werden sie gern »Wintermarkt« genannt). Es gibt noch mehr solcher Geschichten. Alle sind falsch. Nach Deutschland importiert haben die erfundene Bedrohung vor allem Springer und Pegida .
Erfunden von einem glühenden Antisemiten
Auch die erfundene Geschichte vom gecancelten Weihnachtsbaum ist alles andere als neu. Es ist eine in den USA geborene Urban Legend, ein Märchen aus dem Mutterland des Kulturkampfs von rechts. Der erfundene »Krieg gegen Weihnachten« (in den USA ist »War on Christmas« längst ein stehender Begriff) ist in seiner modernen Form etwa 100 Jahre alt. Erfunden hat ihn Henry Ford, der bekanntlich glühender Antisemit war.
In seiner Zeitschrift »Der internationale Jude« war in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zum Beispiel Folgendes zu lesen : »Vergangenes Jahr fiel es vielen Leuten schwer, Weihnachtskarten zu finden, auf denen zu erkennen war, dass es bei Weihnachten um eine Geburt geht … Manchmal fragen die Leute, warum drei Millionen Juden die Kontrolle über die Angelegenheiten von 100 Millionen Amerikanern ausüben.« Es gab damals Debatten über christliche Feste in säkularen Schulen, und daraus destillierten Ford und seine Autoren einen Frontalangriff auf das Weihnachtsfest selbst, als antisemitische Verschwörungserzählung.
Donald Trump gefällt das
Sie haben richtig gelesen: Der »Krieg gegen Weihnachten« ist eine Erfindung aus der antisemitischen Fantasie des Begründers der US-Autoindustrie. Heute ist er auch bei Leuten wie Donald Trump populär, der immer wieder behauptete, man dürfe ja heute nicht mehr »fröhliche Weihnachten« sagen (was selbst sein demokratischer Vorgänger Barack Obama selbstverständlich wieder und wieder getan hatte).
Diese moderne Version hat Bill O’Reilly, einer der Väter des giftspritzenden »Fox News« von heute, im Jahr 2004 aufgelegt . O’Reilly erfand die moderne Version des »War on Christmas«, oft garniert mit frei erfundenen Geschichten über verbotene Weihnachtsbäume. Bis heute erzählen die rechten Medien den USA Jahr für Jahr wieder das Märchen, dass Weihnachten unter Beschuss sei und abgeschafft werden solle. Als ein offenbar obdachloser Mann mit psychischen und Drogenproblemen im Dezember 2021 den Weihnachtsbaum vor dem »Fox«-Hauptsitz in New York zuerst erkletterte und dann in Brand setzte, feierte Rupert Murdochs Sendergruppe tagelang .
»Keine Stadt in den USA ist mehr sicher«, erklärte ein »Fox«-Moderator, man habe es mit einem »Hassverbrechen« und einem »Krieg gegen die Religion« zu tun.
Der kopierte Kulturkampf
Die Hamburger Geschichte vom verbotenen Weihnachtsbaum wiederum ist eine Art Kopie einer Kulturkampf-Episode, die sich vor einem Jahr in den USA zutrug: Damals erwog eine Bibliothek in einem Vorort von Boston, Massachusetts, keinen Weihnachtsbaum aufzustellen. Das führte zuerst zu einem Beleidigungswettbewerb bei Facebook , dann zu nationaler Aufmerksamkeit, unter anderem natürlich von »Fox News«. Am Ende wurde der Weihnachtsbaum aufgestellt, aber die Mär vom »Krieg gegen Weihnachten« hatte wieder einmal neues Futter bekommen.
Der auf Alkohol, Feste und Feierlichkeiten des angelsächsischen Sprachraums spezialisierte Kulturhistoriker Charles Ludington hat es in einem sehr interessanten Interview einmal so formuliert : »Wenn man sich das historische Muster ansieht, taucht der ›Krieg gegen Weihnachten‹ jedes Mal auf, wenn weiße christliche Nationalisten fürchten, dass sie ihre Dominanz in der amerikanischen Gesellschaft verlieren könnten, ob gegen Juden, Kommunisten, Schwarze, Hispanics, säkulare Liberale oder eine beliebige andere Gruppe, die die kulturelle Gleichstellung aller Amerikaner unabhängig von Ethnie oder Glaube anstrebt.«
Ludington weist auch noch auf etwas anderes hin: Es gab den Krieg gegen Weihnachten tatsächlich! Geführt haben ihn die sogenannten Gründerväter der USA , die Puritaner. Sie verabscheuten Weihnachten, weil bei den Feierlichkeiten oft Alkohol getrunken wurde, wegen der in Wahrheit heidnischen Ursprünge des Sonnenwendfests, und weil in der Bibel nie explizit von einem Weihnachtsfest die Rede ist. In England waren Weihnachtsfeiern im 17. Jahrhundert dreizehn Jahre lang verboten, in den USA – in Massachusetts! – sogar mehr als zwei Jahrzehnte lang.
Einen »Krieg gegen Weihnachten« gab es also tatsächlich einmal. Geführt haben ihn – Christen …