Beginnen wir mit einer Charakterisierung der AfD. Landläufig nämlich ist immer noch verharmlosend von Rechtspopulismus die Rede, manchmal auch „in Teilen rechtsextremistisch“. Da muß gefragt werden dürfen, was bitte schön dann mit den anderen Teilen wäre? Inzwischen schreckt auch die Einordnung als rechtsextremistisch die Sympathisanten und Wähler nicht mehr ab. Das war anders zu Zeiten der NPD und Republikaner. Und, Rechtspopulismus ist doch ohnehin eine kriterienlose, leere Hülle, in die man alles reinschütten kann. Der Begriff zielt jedoch lediglich auf Erregungszustände ab; die AfD aber geht weit darüber hinaus.
Sie ist viel gefährlicher, weil sie für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen attraktiv zu sein scheint – und die AfD tut alles um das auch in die köpfe zumindest einiger Wöhler zu packen-
Wie ist die AfD zu charakterisieren ?
Ich schreibs mal so: Die AfD ist autoritärer Nationalradikalismus. Und aber noch darüber hinaus erklärt sich der derzeitige Höhenflug. Die AfD propagiert ein autoritäres Gesellschaftsmodell mit traditionellen Lebensweisen – gegen pluralistische Kultur und für ethnische Homogenität. Das Nationalistische ist die Überlegenheitsvorstellung von deutscher Kultur. Wirtschaftspolitisch wird „Deutschland zuerst“ gefordert. Dann gibt es noch die ethnisch nationale Identitätspolitik mit Deutschsein als Identitätsanker und die Neudeutung deutscher Vergangenheit. Die Radikalität besteht vor allem in der Kommunikation und Mobilisierung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gegen bestimmte markierte Bevölkerungsgruppen. Diese Bestandteile sind attraktiv, daran muss man Wahlergebnisse interpretieren.
Was ist nun ist gerade in Hessen und Bayern passiert?
Dort wurde deutlich gemacht dass die AfD sich in die Lage versetzt hat. gesamtdeutsch zu sein. Es gab in Bayern einen deutlichen Rechtsruck. Markus Söder hat im Wahlkampf mit ausgrenzender Identitätspolitik gespielt, als er sagte: Die Grünen haben kein Bayern-Gen. Ebenso Hubert Aiwanger mit seinen Parolen davon, dass die „normalen Leute sich die Demokratie zurückholen sollen“. Das ist original AfD-Sprech. Und die spielt ohnehin mit ihren Kernthemen Migration und Kriminalität. In Bayern haben mehr als zwei Drittel diese drei Parteien gewählt – den größten Zuwachs aber hatte die AfD. Die Milieus dieser Parteien liegen ziemlich eng beieinander.
Was ist nun das Auffällige an diesen Milieus?
Beachten muss man vor allem – so muß das genannt werden dürfen – die rohe Bürgerlichkeit. Das Milieu leidet kaum unter sozialer Not, macht sich aber Statussorgen und hat Irritationen. Es hat eine glatte Fassade, aber dahinter existiert ein Jargon der Verachtung, gerade gegenüber den von der AfD negativ markierten sozialen Gruppen. Das spielt der AfD in die Karten. Was Sorgen machen muss: Dieses Milieu ist in beträchtlichem Maße in Westdeutschland vorhanden und für die AfD noch immer nicht ausgereizt.
Was auffällt: Die AfD ist auf dem Land stark und in der Stadt schwach
Wir finden da eine Parallele zu Ostdeutschland, das ja eine besondere sozialgeographische Struktur hat. In Untersuchungen zwischen 2002 und 2012 wurde immer wieder festgestellt: Die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ist in Kleinstädten immer höher als in größeren Städten. In dörflichen und kleinstädtischen Gebieten ist die soziale und kulturelle Homogenität groß, ebenso gibt es eine stärker ausgeprägte Konformität, die wiederum mit den Charakteristika des Autoritären korrespondiert: die nationalistische Überlegenheitsattitüde äußert sich flugs in Radikalität gegenüber zugewanderten Gruppen mit anderen kulturellen Hintergründen. In diesen Sozialformationen ist die AfD erfolgreich. Und: Die etablierten Parteien haben die ländlichen Gebiete in ihrer Bedeutung unterschätzt und vernachlässigt.
Im Westen wie auch gerade in Sachsen-Anhalt haben vermehrt junge Menschen die AfD gewählt
Bei den Jüngeren kam der AfD sicher ihr riesiger Vorsprung bei den sozialen Medien zugute. Die AfD agitiert viel auf Tiktok – und ist hier vor allem für junge Männer attraktiv. Man denke etwa an Maximilian Krah, der in Tiktok-Videos sagt: „Echte Männer sind rechts.“ Gerade die Jüngeren halten sich immer länger auf digitalen Plattformen auf – dort gibt es Kommunikations- und Mobilisierungslücken bei den etablierten Parteien.
Viele Politologen meinen und sagen deutlich, AfD-Wähler habe einen einen deutlich rechtsextremen Kern
Der Begriff Protestwähler oder Protestpartei ist eine Selbstberuhigungsformel. Darin steckt: Wenn wir uns nur Mühe geben und vielleicht die Renten erhöhen, kommen die alle zurück. Das ist eine Fehleinschätzung. Die autoritären Einstellungsmuster, von denen die AfD profitiert, hat es schon lange vor ihrer Parteigründung gegeben. Diese Personengruppen waren häufig wahlpolitisch vagabundierend, wählten mal SPD, CDU oder wanderten ab in die wutgetränkte Apathie der Nichtwählerschaft. Erst 2015, als eine größere Anzahl von Geflüchteten nach Deutschland kam und die AfD dagegen mobilisierte, hatte diese Wählergruppe eine fixe Anschlussstelle. Nicht zuletzt deshalb hat die AfD eine stabile Wählerschaft.
In Hessen sind Wähler direkt von den Grünen oder von der SPD zur AfD gewandert, da hat sich etwas verschoben …
Beim Höhenflug der AfD haben sich wesentliche Komponenten verbunden – in den vergangenen zeri Jahrzehnten hat sich der Neoliberalismus entsichert, zugleich wurde der Sozialstaat demontiert, jetzt erleben wir multiple Krisen. Es gibt langfristige Erklärungen und kurzfristige Trigger, die auch Grünen-Wähler und Sympathisanten verschreckt haben: zum Beispiel das Heizungsgesetz. Das eigene Haus wird auf einmal zum Schrecken und zur Bedrohung, weil man nicht weiß, wie man das finanzieren soll.
Landtagswahlen in Bayern und Hessen: eine Protestwahl
Der größere Kontext sind die letzten beiden Jahrzehnte mit zahlreichen Krisen. Wir hatten nach 9/11 eine islamistisch-kulturelle Krise, 2005/06 gab es eine Hartz-IV-Krise, 2008/09 eine Finanz- und Wirtschaftskrise, 2015/16 gab es viele Geflüchtete und sozialkulturelle Verunsicherung. Und dann kam 2019 die Coronakrise. Während die anderen sektorale Krisen waren, war die Pandemie eine systemische Krise. Sie wirkt bis heute nach, wodurch wir jetzt multiple Krisen haben – denn gleichzeitig rückt die Klimakrise uns direkt auf die Pelle und auch die Ukrainekrise ist nah.
Ukraine- und andere Krisen: Bürger haben „die Faxen dicke“
Krisen zeichnen sich nunmal insofern aus, als die politischen Routinen der Problembekämpfung nicht mehr funktionieren – und schon gar nicht kostenlos und schnell. Vor allem können die eingelebten Zustände vor der Krise nicht wiederhergestellt werden. Daraus entstehen wahrgenommene oder erfahrene Kontrollverluste über die Zukunft. Teile der Bevölkerung haben das Gefühl, dass man die eigene Zukunft und den eigenen Status nicht beeinflussen kann. Viele fürchten Wohlstandsverluste und die Selbstwirksamkeit nimmt ab. Hier setzt die AfD an mit ihrer Parole der Wiederherstellung von Kontrolle. 2017 bereits hat Alexander Gaulandg gemenetekelt: „Wir holen uns unser Land zurück.“ Die AfD will die Zahl der Geflüchteten und die Kriminalität kontrollieren. Das sind Ansatzpunkte, die auch bei Grünen-Wählern ziehen. Die sind ja auch nicht alle ideologisch gefestigt. Die Bindungswirkung der Parteien nimmt ab.
Desinformation und Verschwörungsideologien
Menschen mit erfahrenen und wahrgenommenen Kontrollverlusten sind besonders anfällig für Verschwörungsideologien. Die AfD ist völlig bedenkenlos mit der Ausbeutung solcher Erzählungen, gepaart mit einer Emotionalisierung sozialer Probleme als Kontrollverluste, kombiniert mit der Opferrolle.
Gegenstrategien?
Bereits 2001 haben Wissenschaftler die These vertreten, dass sich sukzessiv eine Demokratieentleerung auftut. In eineigen Langzeituntersuchungenwurede deutlich, dass zwar der politische Apparat funktioniert, aber Vertrauen erodiere. Diese Entwicklung hat sich immer weiter vollzogen.
Was muss passieren?
Die Politik muss versuchen – deutlich verlorenes – Vertrauen zurückgewinnen. Repräsentationslücken müssen geschlossen werden, die es hierzilande und zweifellos besonders im Osten gibt. Menschen müssen sich gesehen fühlen. Wer nicht wahrgenommen wird, ist ein Nichts. Da hat die AfD mit ihrer Strategie in vielen Gebieten ganz eindeutig vieles erreicht nach dem Motto: „Wir machen euch wieder sichtbar“. Die anderen Parteien haben die ländlichen Gebiete vernachlässigt, diese Repräsentationslücken rächen sich jetzt.
Gegenbewegungen?
Soziale Bewegungen scheinen wie gelähmt. Es entsteht der Eindruck, dass dies daran liege, dass es derzeit nicht gelingt, eine zuversichtliche Vision zu formulieren, die mobilisierend wirkt. Die AfD hingegen hat eine motivierende autoritäre Vision gegen die offene Gesellschaft und liberale Demokratie, von der sich relevante Teile der Bevölkerung angesprochen fühlen.
Es braucht – unter anderem – eine ganz schnelle Aufholjagd der anderen Parteien in den digitalen Medien, bei Tiktok und Co. – gerade um auch bei Jüngeren durchzudringen. Ebenso muss die Auseinandersetzung gesucht werden: Überall bei uns in den Medien aber natürlich auch in der Politik müssen die Konsequenzen der politischen Parolen der AfD aufgezeigt werden. Einige der politischen Forderungen wären ja gerade auch gegen AfD-Wähler in ihren sozialen Lagen gerichtet, das müssen wir deutlich unter die Leute bringen.
Aber der Erfolg bei – unserer – Aufklärung kann dauern, auch insofern, als zahlreiche Milieus in digitalen Medien gar nicht mehr miteinander kommunizieren. Wir haben keine Öffentlichkeit im Singular mehr, die alle inkludiert, sondern nur eine im Plural. Und zu guter Letzt ist es ganz wichtig, die Zivilgesellschaft zu mobilisieren.
Also Mund aufmachen,
wenn jemand mit rassistischen Argumentationen um die Ecke kommt?
Wenn in solchen Fall nicht gleich und deutlich reagiert wird, verfestigt sich das Klima und die Position der AfD normalisiert sich. Und genau darum geht es der AfD. Das sagen ja auch die Eliten der Partei ganz offen: Wir wollen in gesellschaftliche Institutionen eindringen, in nahen Bezugsgruppen unsere Positionen normalisieren. Was zu einem bestimmten Zeitpunkt als normal gilt, kann man nicht mehr problematisieren.
Das Schwierige ist: In Bezugsgruppen ist man in der Regel … (aber, wie hier im Bild nicht immer!) allein und muss unter Umständen harte soziale Kosten tragen und wird möglicherweise aus Bezugsgruppen ausgeschlossen, je nachdem, wie weit die Normalisierung fortgeschritten ist. Das sei hier der Rundschau Plädoyer: Sich über die – auch eigene – Konfliktfähigkeit Gedanken zu machen. In den nahen sozialen Bezugsgruppen zeigt sich erst, ob wir in der Lage sind, für eine humane Gesellschaft einzutreten.