schreiter_physikfenster_heidelbergAuch Christen sind heute hineingezogen in propagandistisch verzerrte, öffentliche Debatten um Kunst in der Kirche. Viele -spätestens seit Johannes Schreiter auch in Heidelberg – erleiden die Krisen scheinbar demokratisch geführter Diskussionen mit, die oft genug diffamierenden Charakter hatten. Und haben. Viele von denen, die da mitreden, merken nicht, wie sie missbraucht wurden und werden von den Manipulatoren der öffentlichen Meinung. Wer zu Zeiten, als der „Streit um Schreiter“, die Wogen in der Heidelberg hochschlagen ließ – der Riss  ging nicht nur durch die Gemeinde – wer also die Schreiter’schen Fensterentwürfe für die Heiliggeistkirche lediglich aus den schwarz-weiß (sic) wiedergegebenen Zerrbildern in unserer Tageszeitung kannte, wer seine Argumente lediglich aus dieser Lektüre und aus deren Sichtweise geholt hat, der freilich kann für diese Fenster des weltweit bekannten und geschätzten Glaskünstler Johannes Schreiter gar nicht gewesen sein.

Sollte man sie nun – nachdem viele Jahre ins Land gegangen sind – dafür tadeln? Wir wollen das nicht tun. Denn wer durchschaut schon immer gleich die Kampagnen, mit denen andere diffamiert werden. Und etikettiert. Und stigmatisiert.

Jedoch wünschten wir, es würden einige Christen mehr begreifen, Unruhe sei Christenpflicht. Das vorgaukeln einer heilen Welt – in der wir ja nun wahrlich nicht leben – sei nicht Sache der Kirche. Und auch nicht Sache von Kirchenfenstern.

Lassen Sie uns der Einsicht des Schriftstellers Robert Musil eine Chance geben: „Konservativ ist nur statthaft, wenn man schöpferisch ist“. Auch Christen müssen sich herausfordern: Kirche muss sich wieder zu einer schöpferischen Rolle bekennen. Es darf, es muss wieder Aufbruch in ihr geben; etwas mehr, das mitreißt. Aber auch etwas, das den das Leben draußen vor der Tür in die Kirche fliehenden Flüchtlingen das Leben – wieder draußen – erst wieder lebenswert macht, es erleichtert; statt fest-burgig daran zu glauben, es sei schon damit getan, jene zufrieden zu stellen, die da sagen: „Wir wollen uns wieder geborgen fühlen in unserer Kirche. Und sonst gar nichts …“

Soweit, so schlecht. Die wohl tumb-infamste, gezielt und wider besseres Wissen von Gegnern der Schreiter’schen Fensterentwürfe für Heiliggeist unter die Leute gebrachte Falschmeldung war wohl die (marginal: Rot sei die Farbe des Kommunismus dass dies auch die Farbe des Heiligen Geistes ist, wollte, nachdem es gesagt und von uns geschrieben worden war, kaum mehr wer wissen oder begreifen), es seien diese Entwürfe ja ursprünglich für ein Unilever-Verwaltungsgebäude in Hamburg geschaffen worden.

Was Wunder,

dass diese Fenster jenen, denen sie sowieso nicht geheuer waren, natürlich – dann – erst recht nicht ins gotische Maßwerk passten, es sei eingeräumt: passen konnten. Wer wollte, konnte auch damals schon längst wissen, dass dem so nicht ist. Musste wissen, dass diese Fensterentwürfe in ständigem Dialog zwischen dem Künstler, dem Landesbischof, den Oberkirchenräten und der zwei Ältestenkreise von Heiliggeist (einem davon gehörte der Unterzeichnende an) sehr wohl für diese und genau diese Kirche konzipiert worden waren.

Damals wurde von zweien der drei beteiligten Gremien Evangelischer Oberkirchenrat Karlsruhe: (für die Entwürfe); Ältestenkreise der Heiliggeistgemeinden: (für die Entwürfe) und Gesamtkirchengemeinderat (vehement mehrheitlich dagegen) eine „Gemeinsame kirchliche Stellungnahme zu Schreiters Entwürfen in der Heiliggeistkirche“ abgegeben, deren zustandekommen von Seiten des Gesamtkirchengemeinderates verhindert wurde (Unterzeichnender war als Mitglied des Kirchengemeiderates Hlg.1 in die Synode delegiert worden und bekam das alles ziemlich hautnah (!) mit).

Oft genug beherbergte Momente und Situationen Bemerkenswertes, das an Lächerlichkeit, Emotionalität, Infamität und fleischgewordener Selbstgerechtigkeit nicht zu überbieten war und die Gegner der Entwürfe allerdings konnten meinen lassen, sie könnten mit alledem in der Rückhand den Künstler auch noch persönlich diffamieren. Was sie auch fleißig taten.

Das von einem Kirchengemeinderat der Heiliggeistkirche dem damaligen Dekan Johannes Kühlewein in der Sakristei der Heiliggeistkirche während einer Diskussion um meine Stellungnahme (nicht von mir) vor die Füße geschmissene Gesangbuch war nicht einmal Gipfel jenes Krakehlpotentials des um Schreiters Fensterentwürfe umspülenden Konfliktes. Der heftig und von vielen Außenstehenden geschürt worden war.

Die Heiliggeist-Kirchengemeinderäte, welche an diesem unsäglichen  Gremiumformalismus mit Ihren Argumenten für die Entwürfe gescheitert waren (es hatten alle drei beteiligten Gremien das Votum „dafür“ abzugeben), sind mit Worten des Apostel Paulus ( Philipper 4,7), die jener aus dem (!) Gefängnis geschrieben hat, ruhig gestellt worden: “Der Friede Gottes, der höher ist, denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne …“ so kam dieser faule Friede damals dann zustande.

„Der Retter“ – er war nicht nah …

Zu retten, was noch zu retten ist, wollten die gescheiterten Räte am Ende in die „Erklärung“ zu alledem  noch eingefügt haben: „Kann derzeit nicht verwirklicht werden“ stehen haben, dies von uns gewünschte „derzeit“ aber rief diejenigen im Gesamtkirchengemeinderat auf den Plan, die Schreiters Entwürfe für alle Zeiten weggesegnet sehen wollten … Was sie denn ja auch waren!

Die Angelegenheit fand als Provinzposse ihr Ende, die über Jahrhunderte zusammengeschusterten Fensterfragmente sollten für über eine Million Mark restauriert werden. Sollten. Die finale Lächerlichkeit dieses Lustpieldramas wurde kurz vor zwölf mit nichtssagenden (wie von ihr verlangt) und nichtsfordernden wiewohl „“schönen“ Fenstern gleichwohl herausragenden weltweit bekannten Künstlerin Hella Santarossa denn kurz vor zwölf doch noch verhindert.

Gebhard Class war – als Pfarrer der Christuskirche in der Weststadt aber: nicht nur dieses Konfliktes wegen, zu dessen Abstimmungsverhalten er von seiner Gemeinde keine eben drum von der Gemeinde geschasst – Vorsitzender des Gesamtkirchengemeinderates und einer der Betonköpfe gegen diese Fenster. Weshalb auch immer. Er ist jetzt in Bruchsal und mag dort verhindern, was immer er warum immer nicht mag. Auch CDU Stadtrat und (scheinbar) vehementer Gegner der Schreiter-Fenster Heinz Reutlinger, lenkte – nachdem ja alles zu seiner Zufriedenheit gelaufen war –  ein, es sei ja gar nicht um die Fenster, sondern um Pfarrer Alpermann gegangen (der längst von Heiliggeist (im kirchenrechtlich vom Oberkirchenrat KA geführten “Prozeß“ – wurde, haben wir geschrieben, gelogen, dass sich die Kreuzbalken hätten biegen müssen, wären sie es nicht schon so gewohnt“) nach Mannheim versetzt worden war). Er, Reutlinger, könne gut mit den Schreiter’schen Fenstern leben (als einer der wenigen, die sich in diesem Streit nicht nur eingemischt, sondern während dieser  Heilig-Eis-Zeit  auch hin und wieder einen Gottesdienst in der Kirche besuchen und so das Physik-Fenster wirklich von „innen“ erlebten.

Und selbst Raban von der Malsburg, Kunsthistoriker und CDU-Fraktionschef im Gemeinderat sagte auf einer Veranstaltung bereits vorzeiten: „Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass in einer spätgotischen Kirche wie der Heiliggeistkirche auch moderne, zeitgenössische Kirchenfenster eingefügt werden“. Und weiter: „Ich möchte dafür appellieren, dass wir alle dazu beitragen, diejenigen Kunstaspekte, die uns ansprechen, in unseren Gefühlen zu fördern und stärker zum Ausdruck zu bringen und das laut und deutlich zu sagen“. Und eben dies haben Theologen getan (Prof. Dr. Gerd Theissen: „Theologische Meditationen zu den Heidelberger Fensterentwürfen von Johannes Schreiter“ und Prof. Dr. Theo Sundermeier: „Die Langhausfenster von J. Schreiter: – Kreuzstationen der Gegenwart – Typoskripte zu einer Vortragsreihe zum Thema Kunst + Kirche“. Die beiden Theologen haben ohne Emotionen Stellung bezogen in diesem Grabenkrieg, befürworten zwar die Fensterentwürfe auf ihre Weise, werben aber – was Wunder – auch um Verständnis für jene, die diese Fenster-Entwürfe ablehnen.

Wir Älteste haben damals laut und öffentlich beklagt, dass Ornamentales von minderwertigster Qualität für viel Geld restauriert werde „um nicht transparent machen zu müssen, was in ritualisiertem Wiederholungszwang eingebettete Sonntagspredigten gern wortreich vernebeln: den revolutionären Aufruf des Evangeliums an uns verdrossene Kleinbürger in einer Welt der organisierten Ratlosigkeit, regiert von Verantwortungsträgern, die immer nur sich selbst die Nächsten sind“. Alles ästhetisierende Geschwafel über Johannes Schreiters Entwürfe finden wir in diesem Licht betrachtet als schiere Ausflucht.

Nach all dem tumben Gezanke gab ich am Ende diese Empfehlung

Auf dem Tisch stehen typisch westfälische Speisen: Ein Schweinskopf und ein Schinken, Roggenbrot und Bier. Auch der Schnaps, der in Westfalen nach einer deftigen Mahlzeit dazugehört, darf nicht fehlen. So eine volkstümliche Darstellung spricht den Betrachter an. – Wohl wahr

auf die man leider bis auf den heutigen Tag nicht zurückgekommen ist: „Unter all diesen Prämissen mag ein – noch zu gründender – Verein zu einem Ideenwettbewerb für neue Fenster der Heiliggeistkirche aufrufen. Als Vorbild könnte – meint, dem in der Zeit der Auseinandersetzung um Schreiters Entwürfe geschrieben wurde, er möge „Gott“ – den Namen des Herrn doch nicht nur im Namen, sondern auch im Herzen tragen: „Gottschling“ – das Altarbild einer Kirche in Soest dienen. ⇒
Das tät Heimatgefühl beweisen, als nämlich, indem statt des Osterlammes dorten ein westfälischer Schinken in der Schüssel liegt.

Lassen Sie mich trotz nach all den vergangenen Jahre zu guter Letzt aus Anlass des  im ZDF life übertragenen Gottesdienstes mit „Meditationen“ zum einzig verbliebenen Schreiterschen Physik-Fenster mich selbst nochmal zitieren aus

„geistesBlitze – Nachrichten der ev. HeiliggeistGemeinde“. 1. Jg. Herbst 2002 – Nr. 3 – Seite 3:

„Die Menschen sind nur der von den Kirchen angebotenen Formen müde, müde auch der Wiederholung des immer Gleichen, das nicht eingeht auf die Herausforderungen unserer Zeit. Nicht selten höre ich die These, die Kirche, das Christentum habe auf die großen Fragen der Gegenwart, geschweige der Zukunft, keine sinnstiftende Antworten. In der Tat meine ich, Erwartungen an Kirche beziehen sich nicht allein auf das seelische Gleichgewicht und auf eine geistige Umorientierung, sondern es geht allemal auch um eine Herausforderung sozialer, wirtschaftlicher und zu guter Letzt auch ganz sicher politischer Art.

Antworten auf solch diesseitige Fragen können nicht von Studienkommissionen und auch nicht von Denkschriften gefunden werden, sondern sie müssen von Christen kommen, die nicht allein formal getauft, sondern wieder geboren sind aus Wasser, Geist und Feuer; Christenmenschen, die sich aber auch zurückziehen können aus dem Alltagsbetrieb von Kirche und Welt, um zu hören, zu sehen, zu üben – und dann aber auch zu tun, was der Geist zu sagen hat.

An eine solche Kirche glaub(t)e ich

Der Apparat „Amtskirche“ aber, wie er sich mir – während meines „Ältestendaseins“ an Heiliggeist dargestellt hat als Kirche (nicht Gemeinde), die niemanden mehr aufregen, mithin auch niemanden mehr anregen kann oder will, verdrängt, dass das Evangelium, dessentwegen alleine sie existiert, aufregend  i s t.  Diese Kirche vergisst, dass sie sich zu einem Herrn bekennt, der als Aufrührer hingerichtet wurde …

… Solange unsere Kirche noch wenigstens etwas mehr als gar nichts mit diesem Jesus von Nazareth zu tun haben will, kann und darf ihr nicht in den Sinn kommen, Glauben ausschließlich zu unpolitischem Seelentrost zu machen.

Kirche möge also bitte nicht verschweigen, dass ihr Bekenntnis zu diesem Mann am Kreuz Anstoß erregen darf, soll und muss und – was Wunder – natürlich auch Ärger macht.“ Jürgen Gottschling

Lesen Sie hier eine von Johannes Schreiter 2007 in Freiburg gehaltene Rede zum Konflikt seiner Entwürfe wegen und des verbleibenden (und verbliebenen) Physikfenster in der Heidelberger Heiliggeistkirche.

Nov. 2023 | Heidelberg, Allgemein, Essay, Feuilleton, Kirche & Bodenpersonal, Sapere aude | Kommentieren