In diesem wunderschonen Wäldchen läßt sichs gut ruhn

Philosophieren, sagt Cicero, sei „nichts anderes, als sich auf den Tod vorbereiten“. Beim Studieren und Nachdenken also ziehen wir unsere Seele von uns selber ab und weisen ihr eine unkörperliche Aufgabe zu, die eine Vorbereitung auf den Tod ist und Ähnlichkeit mit ihm hat; oder es heißt auch, dass alle Weisheiten und alles Reden dieser Welt darauf hinauslaufen, uns zu lehren, den Tod nicht zu fürchten. In der Tat, wenn die Vernunft uns nicht zum Narren hält, sollte sie sich ausschließlich auf unsere Zufriedenheit richten dürfen, und ihre Anstrengungen sollten zum Ziel haben, uns ein gutes und angenehmes Leben zu verschaffen, wie es die Heilige Schrift sagt. Alles Reden dieser Welt stimmt doch darin überein, dass das Ziel unseres Lebens das angenehme Leben sei, auch wenn die Philosophen verschiedene Wege dorthin vorzuschlagen belieben.

Der Tod als momento mori

… der die Zeit relativiert und begrenzt und damit dem Augenblick die Beliebigkeit nimmt, findet auf dem Friedhof in mindestens dreifacher Hinsicht seine Inszenierung und Verwandlung: als religiöses, ästhetisches und hygienisches Phänomen. Wortreich ist der „Ort des Friedens und der Stille“ umschrieben worden, als „Vorspiel zum Paradies“ , als „Spielplatz Gottes“, „Ort des Gedächtnisses“ und „Reich des memento mori“.

Ein Spaziergang durch jenen Teil der Kulturgeschichte, der mit den meisten Palmwedeln, Engeln, Sensen, elegischen Frauengestalten, Göttern, Chronos und Kreuzen dekoriert wurde, führt von Amrum über Berlin, Hamburg, Dresden und Heidelberg ebenso direkt ins Nachdenkliche wie Skurriles. Da entdeckt man über dem Eingang zum Seemannsfriedhof auf Föhr den knöchernen Fingerzeig „Es ist noch Ruhe vorhanden!“, und noch ehe man sich schaudernd abwenden kann, lächelt man über den letzten Willen eines Mannes, der im Winter immer fror – sein Grab ziert ein großer, gußeiserner Ofen.

„Der Friedhof beginnt allmählich eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Schulexamen anzunehmen. Da liegt Simrock. Hat der nicht das Nibelungenlied übersetzt? Dort Ernst Moritz Arndt, Vater des nationalen Standpunktes, schöner Märchen und vieler Gedichte zum Auswendiglernen“, dürfen Besucher während eines Besuches klagen, der unter anderem die Gräber der Wagner-Muse Mathilde Wesendonk, der Schumanns und das von Beethovens Mutter beherbergt. Die berühmten „Herzchen, die dort liegen“, laufen als Kapitel „Menschliches, allzu Menschliches“ im Lexikon der Kulturgeschichte. So beschwerte sich Clara Schumann über den „fehlenden geistigen Ausdruck“ im Porträtrelief ihres Mannes, dessen Grabmal linker Hand und trefflich allegorisierend von einem geigenden Engelchen flankiert wird.

Der Tod als Störer der Gesellschaft

Und, hier auf unserem Bergfriedhof? Friedrich Ebert, war das nicht – ja, der in Heidelberg geborene Reichspräsident hat hier seine letzte Ruhe gefunden. Wilhelm Furtwängler, genau, der große Dirigent und – wir verweisen als Hommage auf den von Leena Ruuskanen wunderschön edierten Band III der Buchreihe der Stadt Heidelberg „Der Heidelberger Bergfriedhof · Kulturgeschichte und Grabkultur“ ·
Im Kapitel „Ausgewählte Grabstätten“ finden wir zu guter Letzt die sehenswerte, in griechisch – antikem Gepräge sich erhebende Grabstätte der Familie Hoffmann/Giulini – die zwar da auch mit „ohne Taschen im letzten Hemd“ liegen, aber so möcht‘ man aber dann schon auch gerne mal wohnen …

Der Friedhof „an sich“

Natürlich ist das Erscheinungsbild von Friedhof und Grabmal an gesellschaftliche Veränderungen gebunden. Erst innerhalb der bürgerlichen Entwicklung verlor der Totenkult kirchliche Anbindung sowie religiösen Aspekt und wurde allmählich ästhetisiert. Die Bestattungen mutierten zudem immer mehr zum hygienischen Problem der Kommunen. Nachdem Kirchenbesucher ob der Verwesungsdünste noch um 1800 reihenweise in Ohnmacht sanken und Seuchen ausbrachen, wurden die ursprünglich als Vorplatz der Kirchen angelegten Friedhöfe an die Stadtgrenzen verlagert. Aber erst 1878 konnte gegen den Widerstand des Klerus das erste deutsche Krematorium in Betrieb genommen werden. Friedhofsanlagen und Grabmalsformen unterliegen, wie alle Alltagskultur, wechselnden Moden. Man wurde auf Camposanto, Wald- oder Bergfriedhof begraben, ließ sich je nach Geldbeutel und Geschmack modern-minimalistisch betten, oder kompakt-ägyptisierend. Es gibt Gräber mit Buchstabenrätseln und Afrikakarten, in denen Vertreter heutzutage vergessener Berufe wie Briefmaler oder Paternostermacher in „die reine Natur zurücksanken“ (Thomas von Aquin). Arme–Leute-Särge wurden wegen ihrer Flachheit „Nasenquetscher“ tituliert und endeten nicht selten im Massengrab, während prunkvolle Familiengruft oder bewußt schlicht gehaltenes Prominentengrab auch an der letzten Station des Lebens soziale Differenzen festschrieben. Die rabenschwarz glänzende Grabplatte des Theaterleiters, Schauspielers und Stückeschreibers August Wilhelm Iffland in Berlin verkündet, ganz Understatement, „Iffland starb“ – Punkt.

Man könnte noch einige Anekdote zum Besten geben

Ein Bronzelöwe namens „Triest“ liegt vor dem Familiengrab der Familie Hagenbeck

… nämlich die, wie die vom Hamburger Tierparkgründer Hagenbeck, der ein steinernes Konterfei seines Lieblingslöwen „Triest“ aufs Grab befahl, nachdem sein Sarg auf testamentarische Verfügung hin an allen Tieren des Zoos vorbeigetragen werden musste. Die Metaphysik des Geistes, welche die Unsterblichkeit der Seele in der Statue symbolisiert und in Euphemismen wie „heimgehen“ verbalisiert, setzt sich nirgends deutlicher gegen das biologische Verenden ein, als auf den Friedhöfen. Schlimmer als alles wirkliche Sterben muß jedoch die Angst vor dem Scheintod gewesen sein, der den „Schlesischen Schwan“ Friederike Kempner zu folgenden Versen inspirierte: „Dem Tod konnt‘ er ins Antlitz sehn – doch jetzt im Aug ihm Tränen steh‘n!“

Dem Tod ins Antlitz sehen

Nehmen wir doch einfach den Dingen, vor denen wir uns fürchten, die Maske ab, gehen wir dem Tod, vor dem wir uns nicht zu fürchten haben, entgegen. Nähern wir uns ihm allein in der Sokrates zugesprochenen unkünstlichen Kühnheit. Nehmen wir dem Tod das „metaphysische“, denken wir nicht an Hölle, nicht an Teufel, die Erbsünde oder das Paradies. Nehmen wir den Tod als diesseitiges, als irdisches Geschehen. Nehmen wir ihn als Geschenk! Verzichten wir dabei getrost auf alle antiken oder vulgärbiologischen Tröstungen einer „Rückkehr in die Natur“. Das menschliche Leben – dieses menschliche Leben – hört auf. Basta Cosi!
Der Tod ist schrecklich, ein Werk des Bösen – so sagt man und so dachten die Menschen des Mittelalters – und das erklärt die Maßlosigkeit, die Wildheit ihrer Liebe zum Leben: irdische Jenseitsvorstellungen komplementieren ein irdisches Leben. Die Neuzeit hat Abschied genommen von solch konkreten Bildern, spielt mit dem Gedanken der Unsterblichkeit der Seele und entwickelt Verdrängungs- und Risikominderungsstrategien: einerseits die Vorstellung vom Nachleben im Ruhm, in den Gedanken, den Werken, den Bilder oder Texten die man hinterläßt:

(Den gesammelten „in vino veritates“ vielleicht) – all das herzustellen und für die Ewigkeit zu kalfatern – nicht für eine kleine Ewigkeit – gibt dem Leben (s?)einen Sinn; andererseits aber wächst der Hang, sich zu versichern, individuell und gesellschaftlich: Mäßigung, Gesundheitspflege, Vorsicht, einen tumben Vermieter, Bravheit, Vorsorge für Härtefälle, Abfindung nach Kündigung ja sowieso. Eine Gesellschaft von ihren Tod ins Auge fassenden Einzelnen sähe anders aus. (Nur) der Gedanke an den Tod zwingt die Menschen in ein freies und erfülltes Leben; wer den Tod verdrängt, lebt stumpf und bewußtlos wie ein Tier. Mein memento mori gilt dem diesseitigen Leben, nicht aber dem Seelenheil. Den Tod zu sehen und anzuerkennen ist ein guter – und vielleicht der einzig zwingende – Grund dafür, die Tauglichkeit des Endlichen zu erkennen. Gibt es nämlich keine Zukunft jenseits des Sterbens, gibt es auch keine Gründe, die Gegenwart wegzuwerfen; und weil der Tod das gewußte Ende ist, hat auch die Sparsamkeit – an Lust, an Liebe, an Genuß – nur begrenzt Sinn.

Dieses eine Leben ist für den einzelnen Menschen alles, die letzte Zeile ist vorgegeben, und jeder lebt nur seinen Essay, seine Kolumne, sein Leben – mit oder ohne  in vino veritas.

Der Heidelberger Bergfriedhof ist eine Oase der Ruhe

Der Gartenarchitekt Christian Hirschfeld regte bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in seiner romantischen „Theorie der Gartenkunst“ an, dass der Friedhof ein „melancholischer Garten“ sein sollte, der „das Herz in eine Bewegung von mitleidigen, zärtlichen und sanft melancholischen Gefühlen“ versetzen solle. Caspar David Friedrich setzte diese Idee schließlich auch mit seinen Friedhofsgemälden visuell um, das jedoch eher bleischwer und gerne mit sehr viel Schnee.

Der Heidelberger Bergfriedhof bietet durch das mehr als 20 Kilometer lange Wegenetz viele Möglichkeiten für ausgiebige Spaziergänge. Viele berühmte Persönlichkeiten haben auf dem Heidelberger Bergfriedhof an der Rohrbacher Straße ihre letzte Ruhestätte gefunden. In regelmäßigen Abständen lädt das Landschafts- und Forstamt der Stadt Heidelberg zu geführten Spaziergängen über den Bergfriedhof ein. Weitere Informationen unter: www.heidelberg.de/friedhof

Ein freiwilliger Gang, ob nun mit oder ohne Melancholie, war letzten Endes also das Anliegen des Architekten Mezger. Dafür nutzte er geschickt die extrem idyllische Lage mit seiner omnipräsenten und ausufernden Natur, die so beruhigend sein sollte, dass sie die Trauer über die Verstorbenen in den Hintergrund rückte, ohne sie dabei ganz zu vergessen.

Verschlungenen Wege

Der Jüdische Friedhof auf dem Bergfriedhof am Ameisenbuckel

Schon von Weitem fällt die terrassenförmig angelegte Anordnung des Friedhofs auf – was Wunder – denn der Berg war tatsächlich einmal ein Weinberg mit einer der schönsten Aussichten Heidelbergs. Der Gartenarchitekt Mezger behielt bei seiner Planung die ursprüngliche Terrassierung bei, die Beerdigungen erfolgten zunächst am Hang. Als dann später der Platz knapp wurde, erweiterte er den Friedhof um neue Serpentinenwege und Terrassen. Einsame Ruhebänke, auf denen man verweilen konnte, ließen den Ort noch verwunschener erscheinen, die Begrünung, die bis heute den Plänen Metzgers folgt, verleiht dem Ort einen Parkcharakter, bei dem die verschlungenen Wege auf den Geländeterrassen von einer äußerst üppigen Vegetation komplettiert werden.

 

 

Nov. 2023 | Heidelberg, Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Senioren | Kommentieren