Als der Delinquent eines Montags aus dunklen Träumen erwachte, klopfte es an seiner Zellentür. Der zum Tod Verurteilte berappelte sich ein bisschen. Dann erfuhr er, dass der Tag seiner Hinrichtung gekommen war. „Die Woche fängt ja gut an“, sagte er. Und rieb sich ein letztes Mal den Schlaf aus den Augen.
Können Sie über so etwas lachen? Wenn nicht, macht nix. Über schwarzen Humor nämlich verfügt in dieser Geschichte ja schon ein anderer. Für ihn ist die Gabe der Pointe eine Mitgift auf Leben und Tod. Für uns erweist sich sein Wille zur Heiterkeit als Geschenk. Wer noch lacht, wenn ihm schon der Galgenstrick vor den Augen baumelt, der beweist doch wohl, dass Humor selbst in herbsten Krisen das Dasein erleichtert – und sei es für ein paar letzte Stunden. Humor, so wispert uns der hingerichtete Held aus seinem Anekdotengrab zu, ist die Waffe des Geistes, mit der sich das letzte Gefecht zwar nicht siegreich gestalten, aber immerhin um ein Gelächter erweitern lässt. Das gilt auch für jene, die beim Fechten zuschauen. Im günstigen Fall ist der Witz, den einer dem Schicksal auf den letzten Metern abschwatzt, ein Ausschlupf, um dem Unvermeidlichen ein letztes Mal durch die Wand hinterm eigenen Rücken zu entwischen. Wenn das aber so ist, wenn sich schwarzer Humor sogar Todgeweihten als Fluchtreich der Souveränität anbietet: Um wieviel mehr hilft er dann wohl uns, die wir nur zum Leben verurteilt sind, wenn auch unter ziemlich ungewissen Vorzeichen?
Sigmund Freud: Humor gründet in Narzissmus
Wie groß die Vorzüge des Humors sind, hat in allem Ernst schon Sigmund Freud gelehrt. Im Unterschied zu Witz und Komik habe der Humor nicht nur „etwas Befreiendes“ an sich, fand Freud, sondern auch „etwas Großartiges und Erhebendes“. Freud soll selbst über die Göttergabe der Heiterkeit verfügt haben, er hat sie aber lieber so erklärt, dass wir uns nicht allzu grandios finden können. Die Größe des Humors, schrieb Freud, gründe in einem „Triumph des Narzissmus“. Mit anderen Worten: Wo der Humor um die Ecke biegt, ist das Ego immer schon da.
Es sei eingeräumt, dass Freud diesen Triumph des Ichs ziemlich überzeugend erklärt hat. „Das Ich verweigert es“, schrieb er, „sich durch die Veranlassungen aus der Realität kränken, zum Leiden nötigen zu lassen, ja es zeigt, dass sie ihm nur Anlässe zu Lustgewinn sind.“ Kränkende „Veranlassungen aus der Realität“, um die schöne Formulierung aufzugreifen, sind ja nun wirklich nicht gerade rar gesät. Und wer würde sie nicht gern in „Anlässe zu Lustgewinn“ verwandeln? Heißt das also: Immer her mit den Witzen zur Krise?
Humor ist, wenn man trotzdem lacht – oder?
Langsam. Gerade fangen wir an, den Krisenhumor sympathisch zu finden, da macht er sich schon wieder verdächtig. Das Misstrauen richtet sich ausgerechnet gegen seine Fähigkeit, selbst ein richtig übles Schicksal für die Zwerchfellmassage in Dienst zu nehmen. Spontan kommt uns da der alte Spruch in den Kopf, der in der Humorphrasenhitliste Platz eins belegt: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht.“ In diesem Satz ist der Trotz, der den Humor doch angeblich so großartig macht, in Wahrheit nur ein Trötzchen für arme Tröpfe. Man sieht ihn ja förmlich resignierend mit den Schultern zucken, den ergeben „trotzdem“ lachenden Heimwerker, dem gerade der Hammer auf den Daumen gefahren ist. Vermutlich geht es mit seinem Humor schon zu Ende, wenn ihm mal das Gelbe vom Ei am Hemdkragen klebt. Weil das so ist, sollten wir uns seinen Kragen genauer anschauen. Und zwar samt Kragenknopf:.
Joachim Ringelnatz und der Kragenknopf
Der Kragen und der Knopf daran: Dass wir die beiden besichtigen müssen, verdanken wir Joachim Ringelnatz. Humor, verkündete der Dichter, ist „der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt“. Das klingt zauberhaft poetisch, und weil die Verse von Ringelnatz auf dem Humus einer schönen Melancholie wachsen, würde man sein Bonmot am liebsten gleich küssen.
Aber vielleicht hören wir lieber erst noch mal hin. Was, sagt Ringelnatz, ist der Humor? Ein Knopf, der uns, indem wir ihn öffnen, den eigentlich zum Platzen dicken Hals rettet, indem er den Kragen um diesen Hals herum gerade mal noch so intakt hält? Das klingt gut. Aber was bedeutet es denn? Stellen wir uns nur kurz vor, was passiert, wenn die zornrote Gurgel immer noch dicker und dicker schwillt, bis der Kragen ganz zuletzt eben doch noch vom Hals springt: Sind wir dann nicht längst soweit, zu erbrechen statt zu lachen? Mit anderen Worten: Ist ein Humor, der durch die bürgerliche Kragenweite begrenzt wird, als Krisenhelfer überhaupt nützlich? Und zeitgemäß?
Der brave Bürger lacht mit
Man könnte das Ganze auch so betrachten: Wer gern schmunzelt, gibt sich gern zufrieden. Und das muss nicht das Beste sein: Wer die Hand immer am Kragenknopf hat, lässt all die Dinge unberührt, die ihm die Zornesader schwellen lassen. Statt den Zorn produktiv zu bündeln, erlöst man sich selbst durch Gelächter vom Unwohlsein – und entlastet dadurch die, die einen erst zornig gemacht haben. Wer mal dankbar über fiese Mitmenschen gewitzelt hat, die ihm trotzdem immer weiter übel mitspielen, weiß, wie das läuft: Mit dem Gelächter entweicht die Luft. Und mit der Luft die Empörungsenergie. Und die Bürgerin bleibt brav. Und was soll daran schlecht sein, Besonnenheit hilft doch in schwierigen Zeiten? Ja, schon. Allerdings hat der polnische Aphoristiker Stanisław Jerzy Lec etwas ziemlich Gemeines über den immer braven Bürger gesagt: „Er lachte nur im Geiste – und wenn, dann in dem des Gesetzes.“ Sind die Umstände noch so hart, ein guter Spaß zur rechten Zeit schafft Ruhe und Behaglichkeit.
Aber warum eigentlich ausgerechnet ein Spaß?
Dies genau ist der richtige Moment für eine kleine Parade der beliebten Humorwörter. Der Spaß darf dabei vorangehen, weil er zuletzt so oft schon hinterdrein marschiert ist. Und zwar wegen der öden Beschaffenheit der sogenannten Spaßgesellschaft, die spätestens in diesem Frühjahr endgültig untergegangen ist. Wie geistreich, lustig, heiter kann man graue Tage gestalten, wenn einem wirklich etwas Witziges einfällt, wenn durch die Luft wirbelnder Unfug zur Inspirationsquelle wird. Wer aber fantasiefrei immer nur „Spaß“ will, hat am Ende keinen mehr. Die Selbstüberbietung des Immergleichen nämlich produziert nur gesteigerte Ödnis. Die Spaßgesellschaft des jungen Jahrtausends aber hat in irgendeiner der vielen Krisen ihre letzten müden Hopser getan – weil ihr zum Tanz auf dem Vulkan von Anfang an das Niveau gefehlt hat.
Ein Witz ist der zappelige kleine Bruder des Humors
Also: Spaß beiseite und her mit dem Witz. Er ist der nächste in der Parade, ein Typ von anderem Kaliber. Böse gesagt (und es steht dem Witz gut, die Dinge böse zu sagen), ist er der zappelige kleine Bruder des weiseren Humors. Erinnern wir uns an Freuds Deutung des Witzes: Da ist viel Aggression im Spiel, Unlust, die aus dem Unbewussten quillt. Das komprimiert sich durch Verdichtung und Verschiebung und löst sich in der Pointe. In der Triebabfuhr, die eine saftige Pointe bereithält, ist die Aggression klar zu spüren. Sie ist ja eine Abfuhr für den, auf dessen Kosten gelacht wird.
Der spitze Witz hat also lockernde Qualitäten etwas zweifelhaften Zuschnitts. Darin ist er dem milderen Humor immerhin verwandt. Das wird man von der Ironie in ihren besten Momenten nur dann gerne sagen, wenn man nicht gerade ihr Opfer wird. Vor lauter Intelligenz vibrierende Ironie ist ein ätzendes Schwert. Man könnte sagen: Wenn Humor der Knopf am Kragen ist, dann ist Ironie das Monokel unter der Augenbraue. Wer Ironie trägt, schaut mit zusammengekniffenen Augen auf die Welt. Das ist die elegante Durchblickerpose derer, die in einer Gesellschaft brillieren wollen, die sie eigentlich anekelt oder nur müde grinsen lässt. Wer klug, nicht nur eitel ist, weiß um diese Ambivalenz der Ironie und wird dann zu einer der schönsten Heiterkeitsformen fähig: Selbstironie.
Humor ist die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist
Alsdann: Wo sind sie eigentlich, die großen Selbstironiker der aktuellen Krisen? Politisch erweckte Satiremundwerker und ihre Follower nehmen sich furchtbar ernst. Es fehlt ihnen an Übung für den wahren Ernstfall, der erst noch eintreten könnte. Wenn es nämlich wirklich ernst wird, dann gilt, was Werner Finck gesagt hat: Humor ist die Lust zu lachen, wenn einem zum Heulen ist. Erst, wenn auch das nicht mehr hilft, rinnen die Tränen der Wut und der Angst. Und wenn diese Tränen getrocknet sind, ist man bereit für ein anderes, furchteinflößend gefährliches Lachen. Das sardonische Gelächter.
Man muss es sich vorstellen wie den schmerzverzerrten Hohnlaut, den Odysseus ausstieß, als er in der Verkleidung des Bettlers nach Hause zurückkam und ihm zur Begrüßung der Kuhfuß entgegenflog, den ein Freier seiner Frau nach ihm schleuderte. Auf Sardinien, das dem sardonischen Gelächter womöglich den Namen gab, soll sogar ein noch viel grausigerer Brauch existiert haben: Alte Menschen waren zu töten, dazu sollte man lachen. Von heute aus betrachtet: Bittergelächter aus den tiefsten Tiefen vernarbter Seelen. So ises worre.
Und wenn nun zuletzt auch das auf uns gewirkt hat, wenn wir selbst diese herbste Spielart erfühlt haben – dann, endlich, sind wir reif für den wahren, den lebensklugen, den weisen Humor. Dann schreiten wir heiter und ernst durch das Krisengebiet unseres Lebens, vergessen nie, wie schwer das Leben sein kann und können trotzdem lachen. Dass uns nicht morgen der Galgen droht, ist schließlich noch lange kein Grund, auf Galgenhumor zu verzichten.