Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie und Ihr Partner haben ein Kind im Grundschulalter. Es leidet an einer seltenen Erbkrankheit. Ab spätestens seinem 18. Lebensjahr wird es immer stärkere Schmerzen und andere Qualen erleiden. Seine Lebenserwartung ist drastisch verkürzt.
Es gibt eine Therapie, die den Ausbruch der Krankheit möglicherweise verhindern könnte. Diese Therapie ist aber teuer und wird, weil sie noch experimentell ist, nicht von der Krankenkasse bezahlt.
Um sie finanzieren zu können, müssten Sie sich finanziell einschränken. Sie müssten etwa Ihr Auto verkaufen und könnten erst einmal keine Auslandsreisen mehr unternehmen? – Sorry, das ist einfach zu viel verlangt … !
Würden Sie Ihrem Kind erklären, Sie hätten das mal durchgerechnet:
Das sei einfach zu viel verlangt?
Würden Sie ihm sagen, dass Ihnen die Nützlichkeit und die sinnliche Erfahrung des Autofahrens, die jährliche Fernreise einfach wichtiger sind als sein Wohlergehen? Dass es sich nicht so haben solle, man wisse ja sowieso nicht so genau, wie schlimm die Schmerzen einmal sein würden und wie viel früher es sterben werde? Das könne man ja auch erst einmal abwarten?
Würden Sie es, wenn es protestiert, verzogen und selbstsüchtig nennen?
Jelzin und Juhnke drosseln den Alkoholkonsum
Diese Woche hat sich die deutsche Regierungskommission, die Maßnahmen für eine Reduktion des CO2-Ausstoßes durch den Straßenverkehr erarbeiten sollte, auf Ziele „geeinigt“ wie es heißt. Diese Ziele haben einen kleinen Schönheitsfehler: Sie reichen nicht aus, um die ohnehin nur mittelambitionierten deutschen Klimaschutzziele bis 2030 zu erreichen. Was daran liegen könnte, dass in der Kommission auch Vertreter der Mineralölbranche und des Branchenverbands der Automobilindustrie saßen. Das ist ungefähr so, als hätten Boris Jelzin und Harald Juhnke Maßnahmen zur Eindämmung des Alkoholmissbrauchs erarbeitet.
Es ist mittlerweile völlig klar, dass die menschengemachte Erderwärmung bereits gravierende Folgen hat. In naher Zukunft werden sie katastrophal sein. Wer noch Schwierigkeiten hat, sich das vorzustellen, dem sei ein nicht allzu langer Text des Buchautors David Wallace-Wells
(„The Uninhabitable Earth“) ans Herz gelegt.
Unter anderem drohen: Unbewohnbar heiße Millionenstädte, großflächig überflutete Küstenregionen (in denen Hunderte Millionen Menschen leben), katastrophal lange Dürreperioden, Wasserknappheit, Ernteausfälle, riesige Wald- und Buschbrände und als Folge all dessen Abermillionen an Klimaflüchtlingen. Alles auf einmal. Immer weiter, immer schlimmer. Wenn wir ganz großes Pech haben, gibt es irgendwann keine Wolken mehr .
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Ohrfeigen oder gleich Arbeitslager?
Mir ist von Tag zu Tag unverständlicher, wie Menschen mit Kindern und Enkeln es schaffen, vor all dem die Augen zu verschließen. Alle kognitiven Abwehrmechanismen müssen dazu gleichzeitig auf Hochtouren laufen: dissonante Information abwerten, Überbringer dissonanter Information abwerten, oft auf aggressive Weise.
Lesen Sie nachher mal ein paar Kommentare unter dieser Kolumne. Oder, noch eindrucksvoller: Kommentare unter den Facebook-Posts von Regionalzeitungen zu den „Fridays4Future“-Demonstrationen.
Da werden zur Erziehung der aufmüpfigen Schüler „Ohrfeigen“ oder „eine Tracht Prügel“ empfohlen, manchmal auch „Arbeitslager“. Die Aggression, die nicht nur Greta Thunberg, sondern auch allen, die von ihr inspiriert wurden, entgegenschlägt, ist atemberaubend. – Und entlarvend.
Onkel und Tanten drohen mit Dresche
Das Kind wird später entsetzlich leiden müssen und früh sterben, aber wenn es aufmuckt, drohen Onkel und Tanten mit Dresche. Das ist die Situation, in der sich die Jugend der Welt gerade wiederfindet.
Und kommen Sie jetzt bitte nicht wieder mit „aber Professor X hat gesagt“. Die Debatte über die Existenz des menschengemachten Klimawandels ist beendet. Es gibt einen globalen Konsens, dem sich nur Donald Trump und Beatrix von Storch noch nicht angeschlossen haben. In der Tat wurde jahrelang viel gelogen und gezielt in die Irre geführt beim Thema Klima – aber von Leuten, die von den Branchen bezahlt wurden, die ihre „Shareholder“ mit fossilen Brennstoffen reich machen.
Der deutsche Steuerzahler finanziert die Katastrophe mit
Von 2011 bis 2020 hat der Bund allein für Steinkohlesubventionen über acht Milliarden Euro ausgegeben – für die Erforschung erneuerbarer Energien nicht einmal sechs Milliarden. Seit den Sechzigern hat die Steinkohle den Steuerzahler 200 bis 300 Milliarden gekostet. Wir alle finanzieren die Katastrophe mit. Sogar die Automobilindustrie bekommt jedes Jahr Geld von uns.
Denken Sie daran, wenn Sie mal wieder jemanden sagen hören, erneuerbare Energien seien „nicht wettbewerbsfähig“.
Mir sind die Kinder längst noch nicht wütend genug.
Meine Vermutung ist, dass die erwachsenen Klimawandel-Abwiegler – von den Leugnisten reden wir gar nicht erst – sich selbst irgendwelche Beruhigungsgeschichten zurechtgelegt haben.
· „Wird schon nicht so schlimm.“
· „Das wird in Afrika und Asien übel, aber hier bei uns wird es schon gehen.“
· „Irgendeine technische Lösung werden wir schon noch rechtzeitig finden.“
· „Was wir machen ist egal, die anderen Länder machen ja ohnehin nicht mit.“
Das alles ist Selbstbetrug. Wir haben noch zehn Jahre zum Umlenken. Mehr nicht.
Stellen Sie sich mal eine Welt vor, in der zehn- oder zwanzigmal so viele Menschen wie heute auf der Flucht sind.
Auf eine noch nicht erfundene technische Zauberlösung zu hoffen, ist in etwa so, als verließen sich die Eltern im Eingangsbeispiel auf Wunder. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich hoffe auch, dass das irgendwann klappt. Aber es gibt Risiken, die geht man einfach nicht ein.
„Dann machen es halt die anderen?“
Und wenn die High-Tech-Nation Deutschland nicht in der Lage ist, ihre eigenen Ziele einzuhalten – warum sollte es dann ein Entwicklungsland tun? Abgesehen davon, dass wir mit dem Argument „dann machen es halt die anderen“ auch in den staatlich subventionierten Heroinhandel einsteigen könnten.
Die Generation der unter 25-Jährigen wird am schlimmsten unter der Klimakatastrophe leiden. Es verwundert deshalb, dass nicht auch die globale Studierendenschaft längst freitags mit auf die Straße geht. Ich vermute aber, das wird sich ändern.
Es gibt gerade eine Reihe von krassen Beispielen dafür, wie die Älteren in vollem Bewusstsein gegen die Interessen der Jüngeren entscheiden, aus Rechthaberei, Gier, Rücksichtslosigkeit oder einer Mischung von allem.
Es mehren sich aber auch die Anzeichen, dass diese verratene Generation sich das nicht mehr länger bieten lässt. Dass sie ihren überlegenen Umgang mit der digitalen Öffentlichkeit für ihre Zwecke zu nutzen weiß: US-Waffengesetze, EU-Urheberrechtsreform, Brexit, Klimapolitik – die Jungen haben angefangen, sich zu wehren.
Sie sollten nicht damit aufhören.