Amerika – first !

Die Frage ist jedoch, ob die Amerikaner derzeit wirklich genau hinhören, was Trump ihnen sagt.

Viele dürften sich vor allem daran erinnern, dass sie unter seiner Präsidentschaft keine Inflation plagte und die USA weder in Osteuropa noch im Nahen Osten in einen Krieg verwickelt wurden.

Wer Trump derzeit jedoch beim Wort nimmt, muss das Schlimmste für die amerikanische Demokratie und die liberale Weltordnung befürchten. In einer Wahlkampfrede am vergangenen Wochenende in New Hampshire bediente er sich der Rhetorik eines lupenreinen Autokraten: „Wir versprechen euch, die Kommunisten, die Marxisten, die Faschisten und die linksradikalen Schurken auszurotten, die wie Ungeziefer in unserem Land leben und bei Wahlen lügen, stehlen und betrügen.“

Hasstiraden gegen Linke und Migranten

Die grösste Gefahr für die USA sieht Trump nicht in den Ambitionen autokratischer Herrscher in China, Russland, Iran oder Nordkorea. „Die Bedrohung durch äussere Kräfte ist viel weniger unheimlich, gefährlich und schlimm als die Gefahr von innen», sagte der ehemalige Präsident in New Hampshire. Das linke „Ungeziefer“ werde – ob legal oder illegal – alles tun, um die USA und den amerikanischen Traum zu zerstören.

Gefährlich ist in Trumps Augen vor allem die Einwanderungspolitik der Demokraten. Obgleich Biden auf eine härtere Linie umschwenkte, stiegen die illegalen Übertritte an der Südgrenze in letzter Zeit auf Rekordwerte. Trump nützt dies, um Angst zu säen. Vergangene Woche verglich er Migranten mit Hollywoods berühmtestem Serienkiller: „Kennt ihr Hannibal Lecter?“, frug er sein Publikum. „Solche Leute kommen zurzeit in unser Land.“ Migranten würden „das Blut in unserem Land vergiften“, meinte Trump zugleich in einem Interview.

Um die Zuwanderung zu stoppen, will der ehemalige Präsident offenbar noch härter durchgreifen als in seiner ersten Amtszeit. Auch Sans-Papiers, die seit Jahren in den USA leben und arbeiten, sollen massenweise verhaftet und ausgeschafft werden, schreibt die „New York Times“.

Immer wieder lobt Trump Diktatoren wie Wladimir Putin oder Xi Jinping als „klug“, „genial“ oder „brillant. Indirekt scheint er damit sagen zu wollen: Auch die USA brauchen solche Führungsfiguren, um mit ihren inneren Feinden und den von ihnen verursachten Problemen fertigzuwerden. Kürzlich teilte Trump auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social ein apokalyptisches Bild, das ihn vor einem von Flammen umloderten Capitol zeigt. Darunter stand: „Ich komme zurück, um mit dem Chaos aufzuräumen.“

Dass jüngst vor allem seine eigenen Anhänger im Repräsentantenhaus mit der Absetzung des republikanischen Speakers für Chaos und Stillstand sorgten, interessiert Trump wenig. Unabhängig davon, wer die Probleme verursacht: Je dysfunktionaler die demokratischen Institutionen erscheinen, desto besser für ihn und seine Heilsbotschaft.

«Finale Schlacht gegen den tiefen Staat»

Bereits in einer Rede im März versprach Trump seinen Wählern: „Ich bin euer Krieger, ich bin euer Richter und für jene, die betrogen wurden: Ich bin eure Vergeltung.“ Der ehemalige Präsident wirft Biden gerne vor, die Justiz politisch zu instrumentalisieren. Dabei macht er selbst kein Hehl daraus, dass er seine Macht künftig nutzen würde, um gegen seine Kritiker vorzugehen. Mit den Anklagen gegen ihn habe die derzeitige Administration „den Geist aus der Flasche gelassen“, sagte Trump kürzlich in einem Interview. Wenn er wieder Präsident sei, könne er ebenfalls mithilfe der Justiz gegen seine politischen Gegner vorgehen.

Beratern und Freunden soll Trump bereits gesagt haben, dass er vor allem gegen ehemalige Verbündete und Mitarbeiter vorgehen wolle, die sich gegen ihn gestellt hätten. Dazu gehören etwa sein ehemaliger Stabschef John Kelly, sein früherer Justizminister Bill Barr oder sein ehemaliger Militärberater General Mark Milley.

Trumps Rachsucht, seine Verachtung für den Rechtsstaat und die Geringschätzung der westlichen Wertegemeinschaft sind nichts Neues. Sein Schlachtruf gegenüber seiner Kontrahentin Hillary Clinton 2016 lautete: „Sperrt sie weg!“ Bereits in seiner ersten Amtszeit wollte Trump etwa einen Ausnahmezustand ausrufen, um das Militär gegen Demonstranten einzusetzen. Er schlug vor, die Drogenlabors der mexikanischen Kartelle mit Raketen anzugreifen. Und er diskutierte mit seinen Beratern über einen Austritt aus der Nato.

Vor allem aber wollte er nach seiner Wahlniederlage 2020 mit Jeffrey Clark einen unterqualifizierten, aber höchst loyalen Bürokraten zum Justizminister machen, damit dieser ihm hilft, das Wahlresultat umzustürzen. Trump verzichtete erst darauf, als die führenden Justizbeamten geschlossen mit Rücktritten drohten.

In seiner ersten Amtszeit wurde Trump immer wieder von gewissenhaften Beratern, Funktionären und Ministern im Zaum gehalten. Damit dies nicht wieder passiert, sucht der ehemalige Präsident angeblich bereits jetzt nach loyalen Unterstützern für eine mögliche zweite Amtszeit. Laut Recherchen der „New York Times“ sollen unter anderem Anwälte für das Weisse Haus engagiert werden, die eine „radikalere Agenda“ ohne Widerrede abnicken. Bereits im vergangenen Jahr berichtete das Nachrichtenportal „Axios“ über den sogenannten „Plan F“, der darauf abzielt, bis zu 50 000 einflussreiche Beamte zu entlassen, um sie mit Getreuen zu ersetzen. Trump bezeichnet dies als seine „finale Schlacht gegen den tiefen Staat.

Gleichzeitig soll Trump unabhängige Regulierungsbehörden wie etwa die Kommission für Kommunikation oder die Kommission für Handel unter die direkte Kontrolle des Präsidenten bringen wollen. Bei einer zweiten Amtszeit könnte Trump auch die Unabhängigkeit der Notenbank zur Diskussion stellen, schreibt die New York Times.

Pläne für einen Ausnahmezustand

Um mögliche Proteste niederzuschlagen, sollen konservative Denkfabriken in Washington bereits an einer Verordnung arbeiten, mit welcher der Präsident an seinem ersten Tag im Amt unter Berufung auf die sogenannte Insurrection Act einen Ausnahmezustand erklären könnte. Der Leiter dieses Projekts ist kein Geringerer als Jeffrey Clark: jener Justizbeamte, der Trumps Umsturzversuch unterstützte.

Sollte Trump bereits vor Amtsantritt in einem der gegen ihn laufenden Strafverfahren verurteilt worden sein, dürfte er geneigt sein, sich selbst zu begnadigen. Gleichzeitig könnte er das Justizministerium unter Druck setzen, dass es noch laufende Prozesse gegen ihn einstelle. All das würde zu einem „verfassungsmässigen und politischen Chaos“ führen, schreibt der konservative Journalist David Frum warnend.

Setzt Trump seinen geplanten Rachefeldzug tatsächlich um, wird dies ziemlich sicher zu heftigen Protesten führen. Umso mehr, als ein möglicher Wahlsieg wohl nur knapp ausfallen würde. Sollte Trump zudem, wie angedeutet, die gewaltsamen Demonstranten begnadigen, die am 6. Januar 2021 das Capitol stürmten, dürfte dies rechtsextremistische Gruppierungen erneut ermutigen, sich auf der Strasse zu zeigen und die Auseinandersetzung mit linken Demonstranten zu suchen.

„Wollt ihr den totalen“ … TRUMP ? Heil Amerika … !

Ob sich die düsteren Prognosen für eine mögliche Trump-Rückkehr ins Weisse Haus bewahrheiten, muss sich zeigen. Die demokratischen Institutionen der USA haben sich als standfest erwiesen. Trumps menschenverachtende Rhetorik sollte dennoch weder überhört noch unterschätzt werden. Sie erinnere an die Sprache in Nazi-Deutschland, sagte Biden am Mittwoch. Derweil verweigerte Ronna McDaniel, die Vorsitzende von Trumps Republikanischer Partei, eine Stellungnahme: „Ich kommentiere die Botschaften der Präsidentschaftsbewerber nicht.» Dieses Schweigen der Republikaner ist im Grunde noch beunruhigender als Trumps Tiraden.
Amerika, pass auf Dich auf!

 

Passend zum Artikel
Nov. 2023 | Allgemein, Essay, Gesundheit, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Zeitgeschehen, Die Hoffnung stirbt zuletzt | Kommentieren