Das wird von interessierter Seite aus immr mal wieder erzählt, unter die Leute gebracht und gehegt – und gepflegt und geweckt.
„Seit mehr als 3000 Jahren ist durchgehend eine jüdische Bevölkerung im heutigen Israel nachweisbar, der Definition nach kann es sich also gar nicht um einen „jüdischen Kolonialkonflikt“ handeln, was – Propaganda sei Dank – im entsprechenden Diskurs meist weggelassen wird. Noch leichter aber erkennbar ist, dass viele der Juden in Israel sephardischer Abstammung sind. Und jene deutschen Empörten, die von Israel als ‚rassistischem Regime‘ sprechen, dürften nicht einmal den Begriff Sepharden kennen. Aber, diese Menschen waren in den vergangenen Jahrhunderten bis zur massenhaften, manchmal pogromhaften Vertreibung durch Muslime im 20. Jahrhundert vor allem in Nordafrika ansässig. Und so, wie sich die deutsche Öffentlichkeit ‚Nordafrikaner‘ vorstellt, sähen sie auch aus. Vor allem, aber nicht nur die linken und liberalen Öffentlichkeiten haben sich zum Glück gegen Rassismus sensibilisiert.
Aber genau diese Sensibilisierung wird von der Propaganda zur Emotionalisierung ausgenutzt, um das falsche Bild von knallweißen, jüdischen Kolonialisten zu zeichnen, die die arme braune, einheimische Bevölkerung verdrängt – oder Schlimmeres.“
Wie damals der IS instrumentalisiere die Terrororganisation die Gewalt gegen Frauen, um damit vom westlichen Lebensmodel enttäuschte junge Männer zu gewinnen. „Die sexualisierte Gewalt, die diesen Frauen angetan wird, ist Gewalt von Männern. Sie ist aber auch Gewalt für Männer. Männer als Täter. Männer, die Frauen als Bedrohung empfinden, als Publikum, als Agitationsgegenstand. Frauen als Schlachtfeld männlicher Machtdemonstration. Entmenschlichung von Frauen als Werbebotschaft an andere Männer. Und auf der anderen Seite eine erstaunlich stumme feministische Internationale. Großes Schweigen. Relativierungen. Im besseren Fall Kontextualisierungen. In allen Fällen kaum Aufschrei, nur wenig intellektuelle Prominenz, die den Hass der Terroristen auf Frauen klar benennt. Aus der Sorge heraus, für rassistisch gehalten zu werden?“

In den sozialen Medien hat sich binnen weniger Tage eine Welle an antisemitischem Hass entladen, konstatiert ebenfalls der Historiker Volker Weiß entsetzt in der SZ. Was dabei besonders erschreckt, ist, wie gerne Aktivisten sofort den Narrativen der Hamas aufgesessen sind – besonders in Deutschland. So könne sich Israel nicht mehr auf die Garantien, aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt zu haben, verlassen. „Rechte wollen sich von der historischen Last befreien, an die sie die Gedenkpolitik erinnert. Linke schlagen das Judentum nach alter antisemitischer Art dem Establishment zu. Die liberale Mitte verharrt in ihrem Bedürfnis nach Äquidistanz – und die meisten Bürgerinnen und Bürger wollen am Sonntagnachmittag lieber einen letzten Kaffee in der Herbstsonne trinken, als auf die Demo für die Opfer der Hamas zu gehen. Es gibt eine dünne Schicht aus Staatsspitze und Menschen, die sich noch nicht im Kulturrelativismus aufgegeben haben. Doch es sind ganz außerordentlich fragile Abhängigkeiten, an die das jüdische Leben in Europa geknüpft ist. Aus diesem Grund wurde Israel gegründet.“

Der 7. Oktober zeigt: Antisemitische Narrative haben nie aufgehört in den Köpfen der Menschen zu bestehen, stellt Jacques Schuster in der Welt fest. Dies rufe in den Köpfen der Juden ein altes Trauma wach. „Der 7. Oktober hat diese kollektive Erinnerung – in Heinrich Heines Worten: diesen ‚ungeheuren Judenschmerz‘ – wieder nach oben getrieben, genau wie die ebenfalls uralte, fast irrsinnig machende Ratlosigkeit, wie dem Antisemitismus zu begegnen sei: Ist der Jude intelligent, dann ist er zersetzend; ist er Soldat, ist er Militarist; ist er gewandt, ist er ein Anbiederer; ist er zurückgezogen, heißt man ihn einen Luftgeist im Nirgendwo; ist er Teil einer schweigenden Mehrheit, muss er ein Duckmäuser sein; lebt er in der Diaspora, gehört er nicht wirklich dazu; baut er sich einen Staat, ist er ein imperialistischer Landräuber.“
 Die Hamas ist nicht das palästinen
sische Volk. Benjamin Netanyahu und Itamar Ben-Gvir sind nicht alle Israeli“, betont der englische Historiker Simon Sebag Montefiore, der die Linke im NZZ-Gespräch fragt, weshalb sie hier mit zweierlei Maß misst und festhält: „Sogar wenn man gegen Israel ist: In welcher Gesellschaft betrachtet man Menschen als Siedler, wenn sie dort bereits seit über hundert Jahren leben? Mit diesem falschen Argument wird die Tötung unschuldiger Menschen gerechtfertigt. (…) Das Narrativ entstand aus einem gefährlichen Mix aus sowjetischer Propaganda, marxistischer Dialektik, amerikanischer Antirassismustheorie und traditionellem Antisemitismus. Wir haben zugelassen, dass Aktivisten an die Spitzen unserer Universitäten und humanitären NGO – also von Institutionen des freien Denkens – kommen, die diese Ideologien vertreten. In Harvard, an der Penn und anderen Universitäten in den USA sieht man nun, wozu das führt. Zum Glück ist dieses Problem einfach zu lösen: Niemand muss in Harvard studieren oder lehren. Spender und Geldgeber haben die Wahl, ob sie solche Einrichtungen weiterhin finanzieren wollen.“

 

 

Auf den „Glauben und Zweifeln“-Seiten der Zeit erzählt Evelyn Finger unter anderem von Rabbi Ron Li-Paz, der vergangenen Sonntag am Rande der Messe im Petersdom bei den Kurienkanälen nachfragte, ob es möglich sei, mit dem Papst über die Angst der Juden zu sprechen: „Das ist der Moment, in dem mehrere Geistliche peinlich berührt die Stirn runzeln oder mitleidig lächeln. Einige wissen wohl: Papst Franziskus hat zwar im Beisein von Kardinalstaatssekretär Parolin mit Raphael Schutz, dem israelischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, gesprochen, will aber von der langen Liste jüdischer Bittsteller vorerst niemanden mehr empfangen. Keine Angehörigen der Geiseln, keine Überlebenden des Massakers – obwohl die bei Italiens Präsident Mattarella waren. Warum nicht? Weil, heißt es vertraulichst aus der Kurie, dies im Krieg zwischen der Hamas und Israel als Parteinahme missverstanden würde. Es gibt aber Vatikandiplomaten, die finden das falsch. Auch das Schweigen eines Papstes werde politisch interpretiert. Auch Nichtstun könne Sünde sein. Ein Friedensgebet für die Kriegsopfer, wie vergangenen Freitag im Petersdom, genüge nicht.“

Auch der ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hatte nach dem Massaker „beide Konfliktparteien“ gebeten, „zur Deeskalation beizutragen“ – eine moralische Bankrotterklärung in mehrfacher Hinsicht, schreiben in der FAZ die evangelischen Theologen Gabriele und Peter Scherle: „Was sind die Gründe? Im Blick auf den Staat Israel setzte sich im ÖRK seit den Sechzigerjahren eine Lesart durch, die davon ausgeht, der Staat sei Ausdruck eines Siedler-Kolonialismus und Vorposten des US-amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten. Nach dieser Lesart sind Juden im Staat Israel in erster Linie Täter. Werden Juden zu Opfern, sind sie demnach selbst Schuld, weil es sich um Notwehr derer handelt, die sich gegen die koloniale Macht und den ‚globalen Westen‘ zur Wehr setzen. In solch einer politisch unterkomplexen Deutung des Nahostkonfliktes wird übergangen oder übersehen, dass es sich bei der Hamas um eine reaktionär-islamistische Miliz handelt, die nicht nur die Vernichtung der Juden und des Staates Israel anstrebt, sondern auch die palästinensische Bevölkerung unter ein theokratisch-gewalttätiges Regime zwingt. Die dschihadistische Hamas vertritt nicht, sondern verrät die Interessen der Palästinenser.“

Nov. 2023 | In Arbeit | Kommentieren