Kultur ist immer so gut wie das städtische Leben. Wo kein städtisches Leben pulsiert, kann auch keine interessante Kultur entstehen. Umgekehrt gilt das freilich auch – wie ja schon Immanuel Kant angemerkt hat: „Städtisches Leben ohne Kultur ist blind, Kultur ohne städtisches Leben ist leer“. Kultur vermittelt Sinn – der in der Tat inhaltsleer bliebe, würde er nicht auf den Boden des wirklichen Lebens heruntergeholt.

Manche (was Wunder auch kirchen)- politische Themen, wie weiland die Schreiterschen Fensterentwürfe für die Heidelberger Heiliggeistkirche, oder das Ansinnen „der Kirche“, den ehemaligen Herrengarten zwischen Providenz und der Landfriedstraße mit  „Neubau“ des Kirchenmusikalischen Instituts“ welche einstmals als gesellschaftliches Problem geneigt war, behandelt zu werden. Was nun aber – zu guter Letzt – nicht mehr gewollt wird, das Kirchenmusikalische Institut hat erfeulicherweise eine neue Bleibe in der Hildastraße 6 gefunden.  Oder

Noch früher – allzu klug gewordene Frauen als Hexen zu denunzieren und zu verbrennen, darf man dann heutzutage jeden- und allenfalls für Halluzinationen gehalten haben. Waren sie das, sind sie das? Einige Lebensumstände freilich, die – wie etwa Armut – heute als Problem angesehen werden müssen, verstand man lange Zeit als Teil der natürlich-gottgewollten Ordnung, nicht – was Wunder) als notwendig zu lösende Aufgabe.

Probleme werden in einem fort konstruiert, dekonstruiert und interpretiert – dies alles diente und dient politischen Zwecken. Und wer eine bestimmte politische Entscheidung anstrebt, versucht – beispielsweise – diese mit einem anderen Problem in Verbindung zu bringen: Mit freilich gegensätzlichen Bedeutungen und unterschiedlichen Arten, die jeweils die entsprechenden Ideologien und moralischen Haltungen zu reflektieren und zu fördern. Oder vorgeben dies tun zu wollen …
Wie üblich in solchen und ähnlichen Fällen werden dann formulierte „Tatsachen“ (das „Kirchenmusikalische Institut platzt aus allen Nähten“ und im Gebäude des Kindergartens war „der Schwamm drin“ und so weiter) gebraucht, um Wirklichkeiten zu konstruieren, die mit anderen, auf anderen Tatsachen oder anderen Interpretationen basierenden Wirklichkeiten zusammenprallen (an dieser Stelle ganz deutlich dies: Das Kirchenmusikalische Institut ist zwar auch eine für mich (wie für viele andere Heidelberger auch) wichtige und wertvolle Institution – wird aber in diesem sich anbahnenden Konflikt (eben drum) von „dieser“ Kirche vorgeschoben. – Ich nenne das (zumal wider besseres Wissen) gelogen haben!

Jede dieser miteinander konkurrierenden Wirklichkeiten aber wird als objektiv dargestellt  …
Etwa so: Als „Gemeinsinn“

Oft genug werden doch Praktiken und Konflikte ganz bestimmter Gemeinschaften aufgegriffen: der reichlich abgehobene moral point of view nimmt sich aus wie ein Hotelzimmer, dessen minimale Erfordernisse von fließendem Wasser bis zur sauberen Wäsche zwar angegeben sind, in dem sich jedoch (mit Ausnahme von Franz Kafka) niemand zu Hause fühlen mag. Habermasianer würden umgekehrt den communitarians das Fehlen kontextübergreifender Kriterien vorwerfen, um zwischen moralisch vertretbaren und moralisch kritisierbaren Konzeptionen des gemeinschaftlich Guten begründet zu unterscheiden, vorwerfen – als philosophische Variante – zwischen weltbürgerlichem Universalismus (KI) und (kleinkariert)-kommunitärem Gemeinsinn angesiedelt.

Kultur? Politik?

„Im Prinzip (ja)“ ist Kultur von der Politik nicht zu trennen. Kultur, Politik, das ist unser Leben. Tatsächlich bilden die Künste, die Philosophie, die Metaphysik, die Religion oder andere Formen des Geisteslebens wie die Naturwissenschaften die Kultur. Doch hat die Politik, die im Grunde das Wissen um unsere Beziehungen und die Kunst, sie zu organisieren sein sollte, um das Leben in der Gesellschaft, das eigentlich kulturelle Leben, zu ermöglichen, heutzutage die anderen Manisfestationen des Geistes überrundet. Die Politik, die die Organisation jeder Gesellschaft sein sollte, ist auf chaotische Weise zu einer Organisation um der Organisation willen geworden; das führte zur Desorganisation des kulturellen Bereichs auf Kosten der Metaphysik, der Kunst, der Spiritualität und auch der Wissenschaft.“

Auch Ionescos Aussagen und Fragen beruhen auf der immer wieder ignorierten Selbstverständlichkeit, dass Kultur und Politik in einem unauflöslichen Zusammenhang der gegenseitigen Beeinflussung stehen. Heidelberg stand damals, vor 25 Jahren, als hier der Streit um Schreiters Fensterentwürfe für die Heiliggeist-Kirche hochgespült wurde, wie andere Kommunen auch, (was als Grund für die Kleinkariertheiten hat herhalten müssen),  mit dem Rücken an der Wand: Steigende Soziallasten bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit zwingen die Städte, regional unterschiedlich freilich, in die Knie.
Dass in der Neckarstadt Kultur trotz Vielerlei und Alledem immer noch eine erste Geige spielt, mag (auch) den Nimmermüden Sponsoren geschuldet sein. Danke dafür!

Geld regiert nun mal die Welt

Dieser Satz wurde schon immer vielfältig variiert. Aus „Money makes the World go round“ (Zeitgeist) oder „Wo Geld voran geht, sind alle Wege offen“ (Shakespeare) folgt im Umkehrschluß: „Ohne Moos nix los“. Wenn die Finanzen knapp werden, drohen Initiativen zu ersticken, wird Politik zum bloßen Reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen. Gemeinden können nur sehr eingeschränkt über ihre Ausgaben entscheiden. Das gleiche gilt für ihre Einnahmen.
In (beinahe allen) Kommunen wurden und werden finanzielle Ressourcen entzogen, um Politik zu gestalten, da sind drastische Sparmaßnahmen angesagt, die künftig natürlich nicht vor traditionellen Kulturinstitutionen halt machen können. Mehr noch allerdings werden es diejenigen Bereiche sein, die arbeitsvertraglich nicht abgesichert sind. Wollen wir mal zur Kenntnis zu bringen versuchen, dass aktive Kulturförderung durch die öffentliche Hand in der Tat nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch gefährdet ist. Standen die Reformideen der 70er Jahre noch ganz im Zeichen einer „Politik der Lebensqualität“, welche qualitative Gestaltung der Lebensverhältnisse als öffentliche Aufgabe auswies, wird der Ökonomie als Zentralbereich der Gesellschaft heute mehr Regulierungskraft zugetraut. Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es auch den Menschen gut, heißt die konservative Formel.

Nicht nur draufdreschen

Kultur (wozu das Heidelberger Kirchemusikalische Institut (KI) allemal auch gehört), dieser zuweilen geringgeschätzte „vorpolitische“ Raum hat längst die Bedeutung eines Kristallisationspunktes gewonnen. Denn „Lebensstile“ als kulturelle Ausdrucksformen werden künftig noch stärker als bisher den Ausschlag dafür geben, ob und wo das Kreuzchen gemacht wird.
Klassen- und Sozialstruktur nämlich, selbst Bildungsgrad (oder gar Konfessionszugehörigkeit) erlauben schon lange keine zuverlässigen Prognosen mehr; „Normalbiographien“ werden rar. Die Bedeutung von Lebensstilen, ihren ästhetischen und „irrationalen“ Manifestationen macht natürlich allüberall der Kulturbürokratie zu schaffen. In zahlreichen Diskussionen über Stadtgesellschaft, Wertewandel und Kultur arbeitet sie sich nichtsdestotrotz wacker, zäh und tapfer an die Problematik heran.

Zwar …

gilt es, für die Freiheit des Denkens, der Rede und der Kritik, für die Freiheit, diese Welt nicht nur zu diskutieren, sondern sie tätig zu erkennen und zum Besseren zu verändern, einzutreten. Die Beliebtheit anderer, nämlich geistiger Auseinandersetzungen, wird nur von ihrer Seltenheit übertroffen. In Heidelberg hatten wir beispielsweise die Auseinandersetzung um die Schreiterschen Entwürfe für die Heiliggeistfenster (beinahe schon (aber nicht) vergessen haben wir aber jetzt – erfreulicherweise – „Schreiter-Fenster“ in der Peterskirche) – die freilich von der Öffentlichkeit als solche der fehlenden Berichterstattung wegen darüber als auch geistige Auseinandersetzung nicht zur Kenntnis genommen werden mußte, dieweil die Peterskirche studentisch genutzt wird. Andernorts gibt es viele berühmte Beispiele: Jesus und die Schriftgelehrten, von den Kirchenvätern bis zum Streit zwischen Dr. Luther und Dr. Eck, Goethe und die Newtonianer, auf den Konzilen der sozialistischen Bewegungen auch – und findet eben heute noch immer statt; aber eben nicht unter jenen Leuten, die das Stichwort berühmt gemacht haben und nimmer müde werden, nach geistiger Auseinandersetzung zu rufen – es sei denn, sie hätten Angst davor, eine geistige Auseinandersetzung bringe in der Regel Übereinstimmung hervor.

Aber,

es mag das als Ausnahme einherkommen, doch ist viel häufiger der Sieg der einen Auffassung über die andere, etwa der einen verifizierbaren Wahrheit kulturpolitischer Gegebenheiten – so es die denn überhaupt gibt oder geben kann – oder die Proklamation der einen Meinung zur Verbindlichen durch den Machtanspruch irgendwelcher Minderheit oder einer anderen zur Entscheidung legitimierten Instanz, welcher der Disput der Geister als Vorbereitung (hätte dienen können) diente. Der Geist weht, von wannen er will und wohin er will.

Den übrigens von der Altstadtgemeinde mehrheitlich geforderte Herausriß des einen – als „Probefenster“ eingebauten (Bild oben) „Physikfensters“ konnte der Schreiber dieses Beitrags als damaliger Vorsitzender des Kirchengemeinderates Hl. Geist mit der einstimmigen Mehrheit dieses Gremiums  gegen die „vox populi“ verhindern. Würde es nämlich nach dem Willen der Mehrheit der Heidelberger (nicht nur) Altstädter wie auch des Gesamtkirchenrates gegangen sein, wäre es damals „entfernt“ worden.
Während meiner Philipika (als damaliger „Kirchenältester“ an Heiliggeist) vor dem Heidelberger „Stadtkirchenrat“ für den Verbleib zumindest dieses immerhin bereits eingebauten Fensters, wollte mich eine Mehrheit jener „Christen“ unter Androhung von Polizei am Weiterreden hindern. 
Jedoch ging ich nicht. Das Fenster blieb auch.

 

 

Okt. 2023 | Heidelberg, Allgemein, Feuilleton, Junge Rundschau, Kirche & Bodenpersonal, Politik, Sapere aude, Senioren | 1 Kommentar