Charles Darwin (1809–1882)

Geheimnisse der Natur beschäftigen Wissenschaftler schon seit Jahrzehnten – dazu gehören auch jene Prozesse, welche die Evolution vorantreiben. So spaltet die Frage, ob bestimmte Unterschiede zwischen und innerhalb von Arten durch natürliche Auslese oder durch zufällige Abläufe verursacht werden, die Evolutionsbiologen bis heute. Ein internationales Forscherteam hat nun Licht in eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um die Evolutionstheorien von Darwin und dem japanischen Genetiker Kimura gebracht. Ihr Fazit: Die Debatte ist durch das Nebeneinander verschiedener Interpretationen verworren.
Der britische Naturforscher Charles Darwin gilt seiner Beiträge wegen zu den geologischen und biologischen Wissenschaften als einer der weltweit bedeutendsten Naturwissenschaftler. Sein einflussreiches Werk „On the Origin of Species“ (1859) bildet mit seiner streng wissenschaftlichen Erklärung der Vielfalt des Lebens die Grundlage der modernen Evolutionsbiologie. Darwin kam zu dem Schluss, dass sich die Arten durch natürliche Auslese entwickeln: Gut angepasste Organismen überleben, andere nicht.

 

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Okt. 2023 | Allgemein, Feuilleton, Wissenschaft | Kommentieren

Maximilien Robespierre (1758–1794) setzt auf Tribunale

Die Sätze, mit denen Maximilien Robespierre am 10. Juni 1794 die Gesetzesvorlage seines Verbündeten Couthon vor dem Nationalkonvent in Paris verteidigte, nehmen in der Liste rhetorischer Nebelkerzen einen Spitzenplatz ein: „Wir treten den perfiden Andeutungen entgegen, durch die man die Maßnahmen, die das öffentliche Interesse vorschreibt, als übertriebene Strenge einzustufen sucht. Diese Strenge muss jedoch nur von den Verschwörern, nur von den Feinden der Freiheit gefürchtet werden.“ Von da an kamen Henker und Guillotine mit dem Abarbeiten der Urteile kaum nach.

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Okt. 2023 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Sapere aude, Zeitgeschehen | Kommentieren
  • Potenzial zum Flächenbrand
    Der brutale Angriff der Hamas ist ein Schock für Israel. Wie reagiert die Netanjahu-Regierung? Dem Nahen Osten droht eine beispiellose Eskalation. […]Es ist ein Desaster vor allem für den gewöhnlich so gut informierten israelischen Geheimdienst, der eine solche auf Monate geplante Großoffensive nicht hatte kommen sehen. Nicht nur tappte man völlig im Dunkeln, was die Planungen anging, ganz offensichtlich hielt man dergleichen auch politisch nicht für möglich. Zu stark war wohl der Glaube, die Hamas würde sich im Rahmen einer kontrollierten Feindseligkeit an bestimmte Spielregeln halten und den ganz großen Krieg scheuen. Dass sie das nicht tat, könnte nun auch bedeuten, dass Israel sich an nichts mehr gebunden fühlt. Somit betreten beide Parteien bei der Art der Auseinandersetzung Neuland – und gerade dies lässt die Gefahr einer großen Eskalation, eines Krieges womöglich über Gaza hinaus, exponentiell steigen.
  • Eine besondere Niederlage ist dieser Gewaltrausch für Benjamin Netanjahu, israelischer On-off-Langzeitpremier, der nun inmitten der größten innenpolitischen Auseinandersetzung seines Landes den Kriegsherrn geben muss. So sehr dies zumindest zeitweise die tiefen gesellschaftlichen Gräben zuschüttet, da sich das Land im Angesicht der äußeren Gefahr vereint, ist es doch ein Scheitern der „netanjahuschen“ Vision, den Konflikt managen zu können. Sein Versprechen war es, die Palästinenserfrage in der Wahrnehmung der meisten Israelis zu einem kaum mehr spürbaren Hintergrundrauschen zu reduzieren. Die Lösung des Konflikts bestand nicht mehr in der ungeliebten Zweistaatenlösung, zu der seine rechtsnationale Regierung sogar die Lippenbekenntnisse eingestellt hatte, sondern in der Perpetuierung des Status quo aus Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser, den sowohl die weltweit führenden als auch israelische Menschenrechts-Organisationen mit dem in Deutschland so missliebigen Apartheidsbegriff umschreiben.
    Die Marginalisierung der Palästinenserfrage sollte in Netanjahus Logik international einhergehen mit einer Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Herrschern und Potentaten, die mit den Abraham Accords begonnen hat und mit dem gerade noch verhandelten Großdeal mit Saudi-Arabien ihren krönenden Abschluss finden sollte. Dies ist nun in weite Ferne gerückt, nicht nur weil sich die Palästinenser ganz offensichtlich nicht „managen“ lassen wollen, sondern auch weil die mutmaßlich hässlichen Bilder, die die angekündigte Bodenoffensive in den kommenden Tagen in Gaza produzieren wird, die Manövrierfähigkeit selbst des allmächtigen saudischen Kronprinzen erheblich einschränken dürfte. Anders als bei ihren Herrschern ist die Palästinasolidarität bei den arabischen Völkern weiterhin lebendig.
    Quelle: IPG Journal
  • Hubris Meets Nemesis in Israel
    By ruling out any political process in Palestine and boldly asserting that “the Jewish people have an exclusive and inalienable right to all parts of the Land of Israel,” Prime Minister Binyamin Netanyahu’s fanatical government made bloodshed inevitable. But that doesn’t explain Israel’s failure to prevent Hamas from attacking.
    Sooner or later, Israeli Prime Minister Binyamin Netanyahu’s destructive political magic, which has kept him in power for 15 years, was bound to usher in a major tragedy. A year ago, he formed the most radical and incompetent government in Israel’s history. Don’t worry, he assured his critics, I have “two hands firmly on the steering wheel.”
    But by ruling out any political process in Palestine and boldly asserting, in his government’s binding guidelines, that “the Jewish people have an exclusive and inalienable right to all parts of the Land of Israel,” Netanyahu’s fanatical government made bloodshed inevitable. Admittedly, blood flowed in Palestine even when peace-seekers such as Yitzhak Rabin and Ehud Barak were in office. But Netanyahu recklessly invited violence by paying his coalition partners any price for their support. He let them grab Palestinian lands, expand illegal settlements, scorn Muslim sensibilities regarding the sacred mosques on the Temple Mount, and promote suicidal delusions about the reconstruction of the biblical Temple in Jerusalem (in itself a recipe for what could be the mother of all Muslim Jihads). Meanwhile, he also sidelined the more moderate Palestinian leadership of Mahmoud Abbas in the West Bank, effectively beefing up the radical Hamas in Gaza.
    Quelle: Shlomo Ben-Ami auf Project Syndicatedazu: An Israel-Hamas Prisoner Exchange Now
    The government and Prime Minister Benjamin Netanyahu must not try to save Israel’s battered national honor, and that of the army, on the backs of helpless babies, children, teenagers, elderly people and parents, or on the backs of their families here in Israel, who are going crazy with worry and pain. No government, and certainly not the most reckless government in Israel’s history, has the right to traffic in the lives of innocent civilians and decide to sacrifice them on the altar of national pride. We must pay whatever is demanded, with no delays, no fancy maneuvering and no tricks.
    Quelle: HaaretzAnmerkung André Tautenhahn: Während in Israel eine nüchterne Debatte über politische Verantwortlichkeiten stattfindet und dabei massive Kritik am Premierminister und seiner Regierung geübt wird, ist die deutsche Debatte von Lächerlichkeiten geprägt, wie der Frage, ob man das Vorgehen Israels in Gaza nun Vergeltung nennen dürfe oder als Verteidigung bezeichnen müsse.

    dazu auch: Stellungnahme zum aktuellen Gaza-Krieg und der Gewalteskalation in Israel
    Nach diesem Wochenende fällt es schwer, die richtigen Worte zu finden. Wir sind voller Trauer um die Toten, in Gedanken bei den Trauernden und Verletzten, voller Angst um Freund:innen und Verwandte in ganz Israel-Palästina.
    Wir sind auch wütend, wütend auf die Unterstützer des 75jährigen israelischen Kolonialregimes und die Blockade des Gazastreifens, die zu diesen Ereignissen geführt hat.
    Nun ist eingetreten, wovor viele in unseren Reihen seit Jahren gewarnt haben. 16 Jahre Blockade, Mangel an sauberem Wasser, Strom, medizinischer Versorgung sowie regelmäßige Bombenangriffe haben Gaza zu einem Pulverfass gemacht. Gaza gilt laut UN seit 2020 als unbewohnbar. Was nun geschehen ist, glich einem Gefängnisausbruch, nachdem die Insassen zur lebenslangen Haft verurteilt wurden, nur weil sie Palästinener:innen sind.
    Die israelische Regierung hat eine Kriegserklärung abgegeben, doch der Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung dauert schon 75 Jahre. Vertreibung, Bombardements, Verhungern, Verdursten, Beschränkung von Essen, Strom, Wasser – das sind die Wurzeln der Gewalt.
    Viele in Deutschland zeigen sich gerade solidarisch mit Israel, mit einem Apartheidstaat, der eine rassistische Politik gegen das palästinensische Volk ausübt, die schon Zehntausende das Leben gekostet hat. Doch wer das Blutvergießen tatsächlich beenden möchte, muss sich für eine radikale Veränderung der bisherigen Politik einsetzen, damit alle Menschen in Freiheit leben können.
    Die deutsche Regierung hat seit Jahren keine Außenpolitik in Israel-Palästina. Die Palästinenser:innen werden in Deutschland systematisch entmenschlicht: Sie dürfen für ihre politischen Rechte und Aufforderungen nicht demonstrieren, ihre Geschichte, Identität oder Gefühle zeigen. Die deutsche Politik hat den gewaltlosen Widerstand in Form von BDS oder Demonstrationen immer wieder kriminalisiert und unterdrückt.
    Quelle: Jüdische Stimme

    Daniel Barenboim verurteilt die Hamas-Angriffe und kritisiert die Reaktion Israels
    Über Instagram nimmt der 80-jährige Dirigent Stellung zum Terror gegen Israel und zur Belagerung des Gazastreifens. Die Kommentare sind entsprechend heftig.
    Der Dirigent und langjährige Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden Daniel Barenboim hat sich per Instagram zu den Angriffen der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung geäußert und diese als „ein ungeheuerliches Verbrechen“ bezeichnet, das er „auf das Schärfste“ verurteile. Er verfolge die Entwicklung in Israel „mit Entsetzen und größter Sorge“. Das Ausmaß dieser menschlichen Tragödie, die noch lange nachwirken werde, zeige sich „nicht nur in den verlorenen Menschenleben, sondern auch in den Geiselnahmen, zerstörten Häusern und verwüsteten Gemeinden“. Der 80-jährige Barenboim bezeichnet aber nicht nur den vielfachen Tod im südlichen Israel, sondern auch in Gaza als Tragödie. Und er kritisiert die Reaktion Israels: „Die israelische Belagerung des Gazastreifens stellt eine Politik der kollektiven Bestrafung dar, die eine Verletzung der Menschenrechte ist.“
    Quelle: Berliner Zeitung

Okt. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

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Okt. 2023 | Allgemein, Kirche & Bodenpersonal, Die Hoffnung stirbt zuletzt, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

v.l.n.r.: Prof. Dr. Rüdiger Rupp, Leiter der Sektion Experimentelle Neurorehabilitation des UKHD, Prof. Dr. Ingo Autenrieth, Leitender Ärztlicher Direktor des UKHD, Prof. Dr. Tobias Renkawitz, Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie des UKHD, und Prof. Dr. Volker Ewerbeck, ehemaliger Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie des UKHD.

Zum Anlass des Jubiläumsjahres, fand am 4. Oktober 2023 ein Festakt für die Mitarbeiter des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) statt. Rebekka Stahl, Pflegedienstleitung des Zentrums für Orthopädie, Unfallchirurgie und Paraplegiologie des UKHD, begrüßte gemeinsam mit Professor Dr. Tobias Renkawitz, Zentrumssprecher und Ärztlicher Direktor der Klinik für Orthopädie des UKHD, Professor Dr. Gerhard Schmidmaier, Ärztlicher Direktor der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie des UKHD und Professor Dr. Norbert Weidner, Ärztlicher Direktor der Klinik für Paraplegiologie des UKHD, die Gäste.
Einen Rückblick über die Geschichte der letzten 100 Jahre gab der ehemalige Ärztliche Direktor Professor Dr. Volker Ewerbeck.

 

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Okt. 2023 | Heidelberg, Gesundheit | Kommentieren

Eingang zum ehemaligen KZ Mittelbau-Dora mit Wiese im Hintergrund

   … in diesem Lager arbeiteten mehr als 60.000 Häftlinge unter Zwang für die Rüstungsindustrie

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Okt. 2023 | Allgemein, Essay, In vino veritas, Junge Rundschau, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

In Bayern und Hessen hat die Union heute wirklich Grund zur Freude. Beide Wahlen sind gewonnen, selbst der eigentlich in Bayern unpopuläre Markus Söder hat für seine Partei 37 Prozent herausgeholt. Die Ampel ist abgestraft, die Union gestärkt. Ein Desaster für die Regierung in Berlin. Oppositionsführer Friedrich Merz verkündete auf X (vormals Twitter), spätestens zur Bundestagswahl 2025 sei das „Ampel-Chaos“ beendet. Sieht im Moment ganz so aus, als könne er da recht behalten.

Bei den Ampelparteien versuchte am Sonntagabend auch niemand, das Ergebnis zu beschönigen. SPD, FDP und Grüne sprachen unisono von einem Sieg der Union und einem „klaren Signal“ in Richtung Berlin. So viel Ehrlichkeit ist an Wahlabenden selten.
Doch der Elefant im Raum ist der furiose Wahlsieg der AfD in zwei westdeutschen Bundesländern. Die Partei ist in Bayern nun drittstärkste und in Hessen sogar zweitstärkste Kraft. Und damit zumindest in Wiesbaden die größte Oppositionsfraktion im Landtag. Jeder sechste Wähler hat die AfD gewählt.

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Okt. 2023 | Allgemein, In vino veritas, Junge Rundschau, Politik, Sapere aude, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

Citroën 2 CV

Ein mögliches Problem an der Berichterstattung über Klassiker ist, dass man kaum Neues berichten und erklären kann. Dachte ich. Bis ich 2015 eine Geschichte über die Technik des Citroën 2 CV veröffentlichte. Darauf meldeten sich nicht wenige Leser, die sagten, dass sie das Auto vollkommen unterschätzt hätten. Man kann das verstehen: Jahrzehntelang wurde zwar ausführlich beschrieben, wie es aussieht, fährt und sich anfühlt. Bereits sein Äußeres war ja bereits zur Vorstellung 1948 exotisch genug dafür und blieb es bis zum Ende.

Der Kleinstwagen war ausdrücklich für Landwirte entwickelt worden.

Zu verstehen jedoch, warum bei diesem Auto auch unterm Blech fast alles ziemlich anders ist, kann eine im Wortsinn tiefergehende Faszination ausmachen. Diese Gelegenheit bietet sich mal wieder, das Auto wurde heute vor 75 Jahren vorgestellt. Langweilen dürfte das jedenfalls nicht. Keine Beachtung schenken wir den unbestreitbar hochinteressanten Wechselwirkungen mit dem soziohistorischen Hintergrund bis hin zur Entwicklung zu einem unkonventionellen Anti-Statussymbol.

Obwohl der Ansatz, auf alles zu verzichten, was über die reine Funktion hinausgeht, ja an sich schon faszinierend ist. Derlei Minimalismus gab es allerdings schon lange vor dem 2 CV, etwa beim Ford Model T. Innovativ war aber nicht dessen Technik, sondern die konsequente Reduktion seiner Produktionskosten. Davon ist beim Fahren nichts zu merken, denn der Ford blieb ein weitestgehend konventionelles Automobil. André Citroën bewunderte Henry Fords Massenproduktion. Durch seinen frühen Tod 1935 erlebte er das 1937 begonnene Projekt TPV (Toute Petite Voiture) nicht mehr. Zuvor hatte er seine Automarke noch dem Reifen-Riesen Michelin verkauft.

Prototyp eines TPV von 1939 im Werksmuseum

Der 2 CV war nicht nach „Schema F plus Lastenheft“ konstruiert, sondern ganz offenbar ausdrücklich mit der Maßgabe, jede überkommene Lösung eines technischen Problems noch einmal neu zu denken. Darin übrigens dem Volkswagen nicht unähnlich, bei dessen Design sich Porsche, ebenfalls beginnend Mitte der 1930er-Jahre, höchstpersönlich keine Denkverbote auferlegt hatte. Man darf die Frage stellen, ob diese beiden Ansätze nach dem Krieg eine Chance gehabt hätten. Erfolgreich waren sie im Nachkriegseuropa aber wohl gerade wegen ihrer besonderen Anlagen.

Vor acht Jahren schrieb ich: „Bis heute ist der Aufwand, den man dazu betrieb, eigentlich völlig rätselhaft. Ein Bruchteil davon hätte im Prinzip bereits völlig genügt, um die Anforderungen überzuerfüllen. Tatsächlich werden die meisten Kunden die letzten zehn Prozent Verbesserung gar nicht bewusst wahrgenommen haben, obwohl darin 90 Prozent der Arbeit steckte. Aber es könnte vielleicht erklären, warum das Auto trotz seiner unbestreitbaren Nachteile an anderen Stellen überhaupt so lange populär blieb“. Gemeint sind das unerreicht komfortable und sichere Fahrwerk mit einer glasklar exakten, direkten und gefühlvollen Lenkung und nicht zuletzt eine überdurchschnittlich leistungsfähige Bremsanlage. Das galt besonders im damaligen Konkurrenzumfeld, in dem Fahrwerke an der Grenze zu gefährlich, maue Seilzugbremsen und schwammige Kugelumlauflenkungen die Regel waren.

Alles, wirklich alles anders als bei konventionellen Autos: 2 CV Chassis und Antrieb

Das ganze Auto ist bis in Details geprägt von einer Gedankenfreiheit im Sinne der Technik. Und zwar in einem Umfang, wie er in der Geschichte des Automobilbaus schon damals selten, heute aber – im Würgegriff des Shareholder-Value – vollkommen undenkbar ist. Das Wort „Technik“ stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet „List“. So verstanden kann man es gut anwenden auf Konstruktionsmerkmale, die darauf bedacht waren, die Physik mit möglichst geringem Aufwand auf die Seite des Nutzers zu ziehen. Ein „geht nicht“ schien für das Konstrukteursteam nicht zu existieren.

Die 2 CV Fourgonette war ohne großen Entwicklungsaufwand auf der Basis des Viertürers zu verwirklichen.

Im Fall des 2 CV bedeutete das aber eine erstaunliche Entwicklung hin zu einem Produkt, das in der Summe seiner Eigenschaften trotz aller Bescheidenheit oft deutlich besser funktionierte als die damals (und oft heute noch) übliche Technik. Die Konstruktion ohne Vorgänger erwies sich als so ausgereift, dass im Laufe der Jahre nur wenig geändert werden musste. Das meiste war so vorausschauend dimensioniert, dass die Technik eine Verdreifachung der Leistung klaglos mitmachte. Bei aller Einfachheit wurde die Fertigung trotz hoher Nachfrage auch wegen der höheren Produktionskosten 1991 eingestellt.

Vor acht Jahren charakterisierte ich die technischen Lösungen als eine Mischung aus Land- und Renntechnik. Was sich nach einer steilen These anhört, ist aber erklärbar.

Der Fahrerarbeitsplatz war ähnlich ausgestattet wie der eines zeitgenössischen Traktors. Alles blend- und ablenkungsfrei

Am auffälligsten war die Karosserie, deren Hässlichkeit bei der Vorstellung 1948 neben der geringen Leistung dazu beitrug, dass dem Auto keine Zukunft vorausgesagt wurde. Die vielen geraden Flächen erleichterten die Produktion. Das gewellte Karosserieblech, zunächst der Haube, bei den später lancierten Transportern der ganze Kasten, bot eine Versteifung des leichten, dünnen Materials ohne teuren Hinterbau. Ihr damals noch bis zur hinteren Stoßstange reichendes Stoffdach trug nicht nur einer besseren Klimatisierung Rechnung, sie war in erster Linie eine Maßnahme der Gewichtsersparnis. Der Transport von Sperrgut war damit aber auch möglich: Die zeitgenössische Werbung zeigte immerhin den Transport eines ganzen Klaviers in diesem Kleinstwagen.

Die unvergleichlich langhubige Radaufhängung ist nicht allein dem Fahrkomfort geschuldet, sie bietet in Verbindung mit dem geringen Gewicht, den großen Rädern, der guten Bodenfreiheit und einer kurzen Getriebeübersetzung in den unteren Gängen auch eine maximale Durchsetzungsfähigkeit im Gelände, bereits bei den frontgetriebenen Versionen. So brachten es die Allradmodelle nicht nur wegen ihres hohen Preises auf eine geringe Verbreitung – sie lohnten angesichts der Qualitäten der 2WD-Modelle meist die hohe Mehrausgabe nicht.

Die Geländetauglichkeit ist legendär und bewährte sich nicht nur in der Landwirtschaft. Sie ermöglichte auch Fernreisen mit kleinem Budget.

Zudem zentralisierte die Radaufhängung im Gegensatz zu konventionellen Lösungen die Krafteinleitung in den Rahmen, was eine substanzielle Gewichtseinsparung ermöglichte. Sauber konstruiert war auch dessen glatte Unterseite: weder Motor und Getriebe, noch Achsen, Auspuff oder Tank unterragten den völlig flachen Rahmen. Aufsetzen im Gelände blieb so meist ohne Folgen, der Wagen rutschte über Hindernisse. Für Motor und Tank gab es dennoch zusätzliche Skid-Plates als Sonderzubehör. Man sieht daran, dass das Auto auch fest im Blick auf die dritte Welt gedacht war – Frankreich hatte damals noch alle Kolonien.

Etliche Konstruktionsmerkmale aus der Renntechnik prägen das Fahrwerk: Etwa der Verzicht auf jegliche Elastokinematik, was eine maximal exakte Radführung garantiert. Aus diesem Grund haben Sportautos statt der im Serienbau heute üblichen Gummi/Metall-Lagerungen spielfreie Gelenke, die „Zero Clearance Joints“. Wohl einzigartig im Großserienprodukt 2 CV ist die sonst nur im Rennfahrzeugbau bekannte Kniehebel-Federung. Sogar mit Feingewinde an jeder Zugstrebe zur Fahrwerksjustierung. Oder der Einsatz von Trägheitsdämpfern an jedem Rad, wie er 2006 von der FIA in der Formel 1 verboten wurde, weil er die Haftung unfair stark verbesserte.

Der 2 CV offenbart in der Röntgenzeichnung, dass seine Technik gewissermaßen zweidimensional in einer Ebene angeordnet ist.

Aus dem gleichen Grund trugen Rennautos ihre Bremsen am Getriebe. Das verringerte drastisch die ungefederten Massen, bevor man Keramikbremsen einführte. Wie im 2 CV, dort wegen des Verhältnisses der schweren Trommelbremsen zum leichten Auto. Als dann 1981 Scheibenbremsen in den 2 CV einzogen, waren es nicht etwa die bis in die Mitteklasse üblichen Einkolben-Schwimmsättel aus Gusseisen. Es waren vielmehr Aluminium-Festsattelbremsen mit harteloxierten Leichtmetallkolben, wie man sie sonst nur in ausgesprochen sportlichen Autos findet.

Aus landwirtschaftlichen oder Gelände-Nutzfahrzeugen bekannt ist neben der langhubigen Federung der Verzicht auf Gummimanschetten. Bis zur Einführung der homokinetischen Antriebswellengelenke war das tatsächlich der Fall, die äußeren Gelenke der Lenkspurstangen kamen bis zum Schluss mit zwei Häubchen aus. Zudem waren sie bei Spiel nachstellbar, wie heute nur noch bei den letzten verbliebenen Geländewagen von Toyota. Das Lenkgetriebe lag geschützt im Achsträger. Auch die erste Generation der Schwingungsdämpfer war sicher gegen Auslaufen von Flüssigkeit oder Eindringen von Schmutz – es war eine Kombination aus einstellbaren Reibungs- und hermetisch geschlossenen Trägheitsdämpfern. Später fand man sogar eine Möglichkeit, auf Gummibremsleitungen zu verzichten – zugunsten durchgehender Stahlleitungen.

Der 2 CV in der zeitgenössischen Werbung. Die Türen, Heckklappe und Motorhaube konnte man ganz einfach nach oben bzw. seitlich aus ihren Scharnieren hinausschieben.

Maximale Robustheit bei minimalem Aufwand und Gewicht war auch der Grund für die Gebläsekühlung. Volkswagens Claim für den Käfer „Luft kocht nicht, Luft gefriert nicht“ stimmt ja auch für den kleinen Citroën, zudem fallen verletzliche Teile wie Kühler und Schläuche weg. Die Vorteile des Boxermotors, der fast vibrationsfreie Lauf trotz nur zwei Zylindern und der niedrige Schwerpunkt zählten zu seinen Stärken

Wie das alles im Detail funktioniert, haben wir in vier einzelnen Kapiteln genau beschrieben, darunter ist auch eines über den in seinen Intimzonen hochinteressanten, hier ziemlich weitgehend unterschlagenen Motor. Wir werden sie in loser Folge über unseren Teaser schicken. Wer das gleich lesen möchte, findet die Geschichten hier:

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, erster Teil

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, zweiter Teil

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, dritter Teil

Land- und Renntechnik im Citroën 2CV, vierter Teil

(fpi)

Okt. 2023 | In Arbeit | Kommentieren

Um die Einführung der Kindergrundsicherung wird eine Scheindebatte geführt: Die FDP fürchtet „mangelnde Arbeitsanreize“ für Erziehungsberechtigte. Ein Wutausbruch

10 nach 8 Kindergrundsicherung
Bis Eltern die Unterstützung von Amts wegen erreicht, vergehen oft Monate. Blöd nur, wenn das Kind in der Zwischenzeit essen möchte

Erinnern Sie sich noch an die Diskussion über die Kindergrundsicherung? Was frage ich! Nach den wochenlangen, ermüdenden Diskussionen hat inzwischen wohl jeder die Debatte erfolgreich verdrängt. Zur Erinnerung: Die Grünen-Familienministerin Lisa Paus wollte mit zwölf Milliarden Euro die Kinderarmut in Deutschland bekämpfen, Finanzminister Christian Lindner stampfte das Unternehmen auf 2,4 Milliarden Euro ein. Damit waren aber immer noch nicht alle Fragen innerhalb der Regierungskoalition geklärt.

Am vergangenen Freitag verkündete der erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Johannes Vogel, es gäbe für seine Partei noch immer Klärungsbedarf. Dieser betreffe die Frage des Bürokratieabbaus und „die Stärkung von Arbeitsanreizen“. Und täglich grüßt das Murmeltier! Die ganze Debatte über die Kindergrundsicherung hatte doch begonnen mit der ausdrücklichen Absicht, Bürokratie abzubauen. Wie kann es nach Monaten des Diskutierens und einer Einigung immer noch Klärungsbedarf geben? Wenn sich, was den bürokratischen Aufwand anbelangt, nichts gebessert haben sollte, wäre die Kindergrundsicherung gescheitert, bevor sie überhaupt in Kraft tritt.

Natürlich passt die Forderung nach Bürokratieabbau in das Programm der FDP. Allerdings trägt just der bürokratische Wahnsinn, eine Art gesetzlich implementierte Abschreckungsstrategie für potenzielle Antragssteller, dazu bei, dass die Kosten für die soziale Sicherung in diesem Land gedrückt werden können. Ob das beabsichtigt ist oder eher ein „Unfall“ im System, darf jeder für sich deuten.

Im derzeitigen System müssen Menschen, deren Einkommen nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt der eigenen Kinder zu decken, eine Vielzahl von Anträgen bei unterschiedlichen Behörden stellen. Ein Beispiel: Eine alleinerziehende Studentin kann für sich Bafög, für ihr Kind Kindergeld und ergänzendes Wohngeld beantragen. Für letzteres muss sie der Wohngeldstelle ihren Bafög-Bewilligungsbescheid vorlegen, die den Kindergeldanspruch und sonstige Einkommen der Studentin mit ihren monatlichen Kosten verrechnet und so einen Bedarf ermittelt. Da sowohl die Studentenwerke als auch die Wohngeldstellen eine sehr dünne Personaldecke besitzen, kann so etwas schon einmal Monate in Anspruch nehmen. Blöd nur, wenn das Kind in der Zwischenzeit essen möchte.

Ein anderes Beispiel: Eine Alleinerziehende arbeitet Teilzeit und erhält Kindesunterhalt vom Ex-Partner. Sie kann nun beispielsweise mit Bürgergeld „aufstocken“ oder Wohngeld beantragen. Ein Horror, falls ihre monatlichen Einnahmen schwanken, weil sie mal mehr, mal weniger Stunden arbeitet. Dann muss sie vierteljährlich ihre Einkünfte nachweisen, damit diese rückwirkend verrechnet werden können – und eine mögliche Überzahlung von Amts wegen zurückgefordert werden kann.

Ein letztes Beispiel: Nehmen wir ein Ehepaar mit geringem Einkommen, das einen Kinderzuschlag beantragen kann, um den finanziellen Bedarf des Kindes zu decken. Der Kinderzuschlag wird jedoch nur dann ausbezahlt, wenn Einkommen, Kinderzuschlag und eine mögliche Wohngeldzahlung genügen, um den Bedarf der Familie zu decken. Ist dies nicht der Fall, muss die Familie Bürgergeld beantragen. Total logisch, oder?

Es geht ja nicht nur um den prinzipiellen Irrsinn solcher Multi-Behörden-Verfahren. Jeder einzelne Antrag umfasst mindestens ein halbes Dutzend Seiten, das halbjährlich ausgefüllt werden muss. Ob es wirklich sinnvoll ist, Menschen, die ohnehin schon ein Päckchen zu tragen haben, auch noch solche bürokratische Lasten aufzubürden? Ganz zu schweigen von den Bürokratiekosten, die dadurch entstehen, dass Behörden die Bescheide anderer Behörden prüfen und verrechnen.

Der nun vorgelegte Kompromiss zur Kindergrundsicherung stellt eine kleine Vereinfachung dar: Es soll einen Familienservice bei der Agentur für Arbeit geben, der für alle Familien zuständig ist und über Ansprüche aufklären soll. Von einer echten Grundsicherung, gar einem bedingungslosen Grundeinkommen für Kinder, sind wir weit entfernt.

Warum nun so hohe Mehrkosten auf den Staat zukommen sollen, erschließt sich aus den Plänen nicht. Die Erklärung erscheint zynisch: Viele Menschen, die Anspruch auf Sozialleistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag haben, beantragen ihn nicht. Weil sie nichts von dem Anspruch wissen oder vor der Bürokratie zurückschrecken. Oder weil sie zu stolz sind, zum Amt zu gehen, um „Almosen“ einzusammeln. Beinahe die Hälfte der Wohngeldberechtigten stellt keinen Antrag. Den Kinderzuschlag beantragen nach Angaben des Familienministeriums, das auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag geantwortet hat, nur 35 Prozent der Anspruchsberechtigten.

Mit anderen Worten: Die Finanzplanung des Bundes in Fragen der Familienleistungen basiert seit Jahren darauf, dass Anspruchsberechtigte ihren Anspruch nicht wahrnehmen. Wenn Sie das verstehen, haben Sie das Zeug zum Finanzminister!

Lindners Hängematten-Theorie

Dass diese Eigentümlichkeit nicht auffiel, hatte mit einem äußerst erfolgreichen Debatten-Derailing durch Finanzminister Christian Lindner zu tun – womit wir bei der zweiten FDP-Forderung in Fragen der Kindergrundsicherung angekommen wären. Derailing bedeutet übersetzt Entgleisen und meint das Ablenken vom Kernthema einer Debatte. Es ist eine typische Trolling-Strategie in Internetdiskussionen, aber offensichtlich auch unter Politikern verbreitet. Christian Lindner wurde jedenfalls nicht müde zu betonen: „Wir wollen nicht zusätzliche Anreize geben, sich nicht um Arbeit zu bemühen.“ Damit war das Kernanliegen, die materielle Absicherung von Familien, zu einer Frage von Leistungsbereitschaft geworden. Die Bemerkung insinuiert, dass Familien, die Sozialleistungen in Anspruch nehmen, kein Erwerbseinkommen haben. Doch allein beim Bürgergeld liegt der Anteil der Aufstocker bei 20 Prozent. Hinzu kommen noch einmal jene, die Wohngeld beziehen und die ja ebenfalls über ein Einkommen verfügen.

Trotzdem blieb hängen, dass es sich bei der Kindergrundsicherung um eine Art soziale Hängematte handele, womit Lindner im Grunde auf das im angelsächsischen Raum verbreitete Bild der welfare queen anspielt. Aus einem unerfindlichen Grund wurde so eine allgemeine Diskussion über Sinn und Notwendigkeit einer Kindergrundsicherung zu einer Diskussion vor allem über Arbeitsanreize für Alleinerziehende umgemünzt. Ich möchte Lindner hier nicht einmal Absicht unterstellen, aber er folgte damit einer bei Männerrechtlern extrem beliebten Gedankenfigur, wonach alleinerziehende Mütter sich aushalten ließen – von ihren Ex-Partnern und vom Staat.

Immerhin gab es Autorinnen wie Mareice Kaiser, die auf Linders Hängematten-Theorie entgegneten, dass Care-Arbeit ebenfalls Arbeit sei. Das ist zwar richtig, folgt aber dem Derailing. Stattdessen müsste man Lindner die aktuellen Zahlen über erwerbstätige Alleinerziehende entgegenhalten: Gut die Hälfte der Alleinerziehenden mit Kindern unter elf Jahren ist erwerbstätig, davon 43 Prozent in Vollzeitbeschäftigung. Je älter die Kinder von Alleinerziehenden, desto höher der Anteil der Vollzeitbeschäftigten.

Je kleiner die Kinder, desto schwieriger ist es offensichtlich, eine Beschäftigung aufzunehmen. Es macht zudem einen Unterschied, ob man vollständig allein erziehen muss, weil der Ex-Partner beispielsweise den Kontakt verweigert, oder ob man die Betreuung der Kinder gerecht teilt. Ich kenne Alleinerziehende, die in der Woche, in der die Kinder beim Ex-Partner sind, Überstunden machen, um in der Betreuungswoche das Büro rechtzeitig für die Abholung der Kinder verlassen zu können. Das funktioniert allerdings längst nicht in allen Jobs.

Alleinerziehende dürfen auch nicht auf eine Sonderbehandlung in der Arbeitswelt hoffen. Das zeigt ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern. Eine Alleinerziehende hatte ihren Arbeitgeber gebeten, keine Wochenendschichten übernehmen zu müssen. Der Arbeitgeber lehnte dies ab; die Frau, eine Bäckereiangestellte, reichte daraufhin Klage ein, scheiterte jedoch vor Gericht. Interessant ist die Begründung des Gerichts: Die Alleinerziehende von den Wochenendschichten auszunehmen, stelle eine „Besserstellung“ derselben im Vergleich zu den anderen Angestellten dar. Man könnte die Sache natürlich als Nachteilsausgleich begreifen. Tut das Gericht allerdings nicht. Stattdessen heißt es im Urteil: „Dass es den anderen Mitarbeiterinnen gelinge, ihre arbeitsvertraglichen und ihre familiären Pflichten miteinander zu vereinbaren, ist demnach kein Grund, diese durch die vermehrte Zuweisung ungünstiger Schichten zusätzlich zu belasten – und gegenüber der Klägerin zu benachteiligen.“ Mit anderen Worten: Die anderen kriegen es doch auch gebacken!

Es ist ziemlich offensichtlich, warum die Alleinerziehende lieber nicht am Wochenende arbeiten möchte: Vermutlich entspricht der Stundenlohn des Babysitters ihrem eigenen, sie ginge also für nichts – oder allenfalls fürs Finanzamt – arbeiten. Womit wir wieder bei den Anreizen fürs Arbeiten wären. Selbst Christian Lindner würde vermutlich nicht umsonst arbeiten wollen. Und dass die Alleinerziehende mit ihren Kindern wenigstens am Wochenende mehr Zeit verbringen möchte, ist ebenfalls verständlich.

Tatsächlich lässt sich das Problem wohl nicht betriebsintern lösen, sondern nur mit einer schlichten Einsicht: Solange wir so tun, als sei die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lediglich eine Frage der individuellen Organisation, solange wird es Alleinerziehende geben, die an dieser Organisation scheitern. Nicht, weil sie weniger fähig sind, sondern weil man ihnen eine übermäßige Last aufbürdet. Nicht das Zuviel an Sozialleistungen hält Alleinerziehende in sozialen Sicherungssystemen, sondern der Mangel an gesellschaftlicher Unterstützung.

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Der Weltgeist, den Hegel 1806 in Napoleon sah, als dieser nach dem Sieg über die deutschen Truppen durch die Universitätsstadt Jena ritt, lebt zwei Jahrhunderte später in Kalifornien – so sieht es der deutsch-amerikanische Literaturwissenschafter Hans Ulrich Gumbrecht in seinem Buch „Weltgeist im Silicon Valley“. Die geopolitische Verschiebung von Mitteleuropa an die Westküste der USA bedeutet zugleich den Wechsel vom Politischen zum Wissenschaftlichen. Die Zukunft liegt nicht mehr in den Händen der Politik oder gar der „Philosophenkönige“ wie in Platons „Staat“. Sie liegt in den Händen der Wissenschaft wie in Francis Bacons „Nova Atlantis“, genauer: in der Computerwissenschaft.
Es sind nicht Menschen wie Napoleon, der mit Kriegszügen und dem Code civil im Gepäck seine Gegenwart revolutionierte, es sind Menschen wie der Amazon-Chef Jeff Bezos und der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, die Tag für Tag, mit jedem neuen Projekt und jedem neuen Datensatz ein bisschen mehr, die Zukunft bestimmen. (mehr …)

Okt. 2023 | Allgemein, Buchempfehlungen, Feuilleton, Junge Rundschau, Sapere aude, Wissenschaft, Zeitgeschehen, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren

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