Erst mal hat das Auto zu einer ganz neuen Naturwahrnehmung beigetragen, wurde jedoch bald auch zum Umweltproblem. Reiche Stadtbewohner fuhren raus aufs Land, um dem Trubel zu entfliehen – 1920 kreuz und quer durch die Landschaft.

Übers Jahr gesehen ist Autofahren heute recht unabhängig von der Wetterlage. Je nachdem könnte man sich fragen, ob die Sommerreifen auf vereisten Wegen eine gute Idee sind oder ob man bei einem Unwetter in einen Kleinwagen steigen sollte. Umweltfaktoren spielen beim Autofahren aber – eigentlich – keine Rolle mehr. Das alles war einmal anders. Es gab eine Zeit – zu Beginn der Automobilität – da war Autofahren eine „durch und durch umweltbezogene Erfahrung“.
Die Automobile hatten weder Dach noch Scheiben, die sich hoch- und runterdrehen ließen. Geschweige denn, dass es etwa geteerte Straßen gegeben hätte, die dem Mobilisten den Weg bereiteten. Wer in den 1890er Jahren in eines dieser neuen Gefährte mit Motorantrieb stieg, musste mit Cape und Brille gerüstet sein, die einigermaßen vor Schlamm, Staub und Wasser schützten. Wenn es regnete, hieß es ohnehin anhalten und möglichst einen Unterschlupf zu finden. Damals war der Mensch im Auto noch den Elementen ausgeliefert.

Gefühl von Freiheit und Abenteuer

Im Gegensatz zu heute, wo beim Autofahren die natürliche Umgebung oft als Störfaktor betrachtet wird, setzten sich zu jener Zeit die Menschen in ihre Automobile, um Natur zu „erfahren“. Straßen gab es so gut wie nicht, den Weg mussten sie sich selbst suchen. Reiche Stadtbewohner, fuhren raus aufs Land, um dem Trubel zu entfliehen – und zwar kreuz und quer durch die Landschaft. „Sie fühlten sich freier, als mit einer Bahn zu fahren, weil sie sich unabhängig vom Schienenverlauf orientieren konnten“.

Die Jahreszahlen markieren die Anfänge des Automobils in den USA als Verkehrsmittel bis in die Jahre, als asphaltierte Straßen und geschlossene Autos die Norm wurden.
„Die frühe Automobilität führt zu einer noch nie dagewesenen Art des Umgangs mit der Natur, eine Erfahrung, die neue Sinneswahrnehmungen, neue literarische Ausdrucksmittel und neue Formen von Umweltwissen hervorbrachte“.
Was muss es für die Menschen damals für eine unglaubliche Erfahrung gewesen sein, mit einer Geschwindigkeit von 50 kmh durch die Landschaft zu fahren. Ein Forschungsteam ging dem unter anderem in Erzähltexten und Gedichten nach, dort, wo sinnliche Erfahrungen und Gefühle Ausdruck finden. Das Forschungsprojekt, das von einem ERC Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats gefördert wird, basiert auf der Hypothese: Nach wie vor hängen Autofahren und Umwelt eng zusammen: „Wir wollen zeigen, dass man über Automobilität auch anders nachdenken kann als heute und dass es ganz lange auch anders war.“

Die Infrastruktur hinter alledem

Genau so wenig selbstverständlich es in den Pionierzeiten war, in ein Auto zu steigen, um von A nach B zu kommen, war  das in der Gegenwart mit den ungleich komfortableren automobilen Nachfolgemodellen. Tatsächlich versteckt sich hinter der vermeintlichen Selbstverständlichkeit eine immens umweltbelastende und teure Infrastruktur: von den Straßen über die Tankstellen, Reparaturwerkstätten und Hotels. Infrastrukturen, die technisch-materieller Natur sind, sich aber erst herausbilden konnten, nachdem die Menschen eine Vorstellung davon hatten, was ein Auto sein soll und was man damit alles machen kann.
Auch das ist in Romanen, Tagebüchern, Gedichten, Reiseliteratur und vor allem auch in Zeitungsartikeln zu ermitteln. Als geschichtliche Quellen betrachtet sagen sie einiges über Wahrnehmungsmuster, Denkmuster und auch Gefühle ihrer Zeit aus. So auch im Fall der Automobilität: „Die meisten Amerikaner hatten bereits über Autos gelesen, bevor sie eines fuhren. Deshalb schauen wir uns an, was für Muster in der Umsetzung entstehen“.

Aber auch ganz konkrete Vorstellungen vom PKW-fahren sind in der fiktiven Literatur zu finden, ob es um die Frage geht, wo man das Benzin herbekommt, bis hin zu Überlegungen, wie Straßen aussehen sollen oder was einzelne Zielgruppen benötigen.
Bis in die 1920er Jahre hinein waren es hauptsächlich Ärzte und Bauern auf dem Land, die Ersten, die das Auto als Nutzfahrzeug erkannt hatten.
Aber was bedeutet es für das Design, wenn Frauen zum Lenker greifen? Eine wichtige Überlegung, da die wohlhabende weibliche Stadtbevölkerung als potenzielle Kundschaft bereits im Blickfeld erschien.

Straßen nach Beispielen in Romanen

So lieferte Literatur oft Inspiration für technische Erfindungen. „Man hat Straßen teilweise nach dem Beispiel von Romanen angelegt . und Ingenieure und Techniker fragten sich: Kann man das vielleicht wirklich bauen?“ So entstand in den USA eine Art von Straße, die als „Parkway“ bezeichnet wurde. Dabei sollte der Eindruck erweckt werden, man fahre durch einen Park, mit geschwungenen, netten kleinen Straßen und Bäumen rundherum. Ein Zusammenspiel von Technik und Imagination.
Die Menschen spielten damals schon vieles durch, was heute wieder diskutiert wird: elektronischer, Wasserstoff- und Verbrenner-Antrieb. Was sich durchsetzen wird, war Anfang des 20. Jahrhunderts völlig offen. Letztlich wurde es nicht so sehr auf Grundlage der Technik entschieden, sondern aufgrund der Infrastruktur.
Die Verbrenner-Lobby hat es geschafft, die Regierungen zu überzeugen, dass Verbrenner-Infrastrukturen besser sind. Hinter der vermeintlichen technisch-materiellen Zwangsläufigkeit der Entwicklung hin zu heutiger Automobilität steckt in Wirklichkeit ein hart umkämpftes Geflecht von Macht und Herrschaft“.

Verschwiegene Kosten

Die Literatur über Automobilität hat viel zum Unsichtbarmachen dieser teuren Infrastrukturen beigetragen, indem sie dem Tenor folgt: Man muss nur ins Auto steigen, dann ist man frei. So wenig diese Auffassung in den Anfangsjahren stimmte – ständig blieben die Automobile liegen – so wenig stimmt das heute angesichts der riesigen Infrastruktur dahinter. Neben dem positiven Effekt, dass das Auto half, mehr über die umgebende Natur zu erfahren – die Disziplin der Ökologie bildete sich damals heraus –, barg es bereits ein Umweltproblem. Es lässt sich bereits schon in den frühen Texten zeigen, wie die Infrastruktur dahinter verschwiegen und beschönigt wurde: Autofabriken waren – und sind – Moloche mit riesigem umweltschädlichem Ausstoß. Dass das Abgasproblem in den Städten damals noch nicht wahrgenommen wurde, lag lediglich an der geringen Zahl an Automobilen.

Okt. 2023 | Allgemein, Junge Rundschau, Sapere aude, Wirtschaft, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren