Auch Gregor Gysi konnte Sahra Wagenknecht nicht davon abhalten, eigene Wege zu gehen. Mit ZDFheute spricht das Linken-Original über die größte Krise seiner Partei.
Nach monatelangen Spekulationen hat die ehemalige Fraktionschefin der Linken am Montag ihren Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ vorgestellt. Die Gründung des Vereins, der später zur Partei werden soll, hat verheerende Folgen für Die Linke.
Ihr Mitbegründer Gregor Gysi sprach zuvor mit ZDFheute über die wohl größte Krise seiner Partei, seinen Bruch mit Wagenknecht und die Probleme, die er mit „ihrem Politikangebot“ hat.
ZDFheute: Herr Gysi, wie konnte Die Linke so nah an den Abgrund rücken?
Gregor Gysi: Wir sind aus verschiedenen Gründen in einer existenziellen Krise: Es gab nicht den richtigen Austausch zwischen den älteren und den jüngeren Mitgliedern, zwischen den östlichen und den westlichen Mitgliedern.
Dann haben wir den Osten nach der Vereinigung mit der WASG etwas vernachlässigt, weil wir dachten, jetzt ist unsere Hauptaufgabe Bayern und Nordrhein-Westfalen. Das war, glaube ich, auch ein Fehler. Es kommt also einiges zusammen.
Gysi: Gerade jetzt – wenn ich an die soziale Entwicklung denke, an die Kriege, an die Wohnungssituation, die sinkenden Reallöhne auf der einen und die vielen Milliardäre auf der anderen Seite – ist eine linke Partei so wichtig, dass wir uns anstrengen müssen, sie auf jeden Fall zu retten.
Ich war an drei Rettungsaktionen beteiligt: Einmal im Dezember 1989, als meine Partei vollständig am Abgrund stand.
Dann wurden falsche Steuerbescheide gegen uns erlassen, um uns finanziell zu ruinieren, das haben wir auch überstanden. Und da es die Gegner nicht geschafft haben, haben sich nun ein paar Linke überlegt, dass sie die Arbeit selbst erledigen müssen.
ZDFheute: Wie stellen Sie sich die nächsten Wochen für die Linke vor? Was passiert mit der Bundestagsfraktion?
Gysi: Das müssen wir sehen, wir müssen jetzt erst einmal die Pressekonferenz von Wagenknecht abwarten. Die Fraktion muss sich dazu verhalten, der Bundesvorstand muss sich dazu verhalten.
Aber wir müssen die Zukunft ins Auge nehmen, auch eine mögliche Gruppenbildung. Wir müssen auch die rechtlichen Fragen klären. Und dann muss mit Leidenschaft gekämpft werden. Ich möchte auch, dass der nächste Parteitag anders zusammengesetzt ist. Aber was ich an Sahra wirklich kritisiere:
Anstatt einfach gleich die Segel zu streichen und zu sagen: Ich gründe mal eine neue Partei, weil die Medien finden das schick und andere auch. Das ist für mich keine Lösung. Aber dazu war sie nicht bereit, sondern sie sondert sich aus und versucht, Leute mitzunehmen, was ich moralisch und politisch falsch finde.
ZDFheute: Was wird aus den Mandaten von Wagenknecht und ihren Mitstreitern?
Gysi: Sie müssten eigentlich ihre Mandate niederlegen, denn sie sind ja für die Linke in den Bundestag gewählt worden und nicht für eine andere Partei. Wenn sie die Mandate behalten sollten – ich hoffe, dass sie es nicht tun, aber ich befürchte, dass sie es tun – dann ist das für mich natürlich ein bisschen Mandatsklau. Und das macht man eigentlich nicht.
Wer ist Gregor Gysi? Eine Dokumentation über den Politiker.
Sie selbst haben bis zuletzt versucht, Sahra Wagenknecht noch umzustimmen.
Warum war sie für Sie nicht mehr erreichbar?
Gregor Gysi: Naja, das kann ich Ihnen sagen. Wir hatten ja schon ein gemeinsames Papier, das übrigens nie das Licht der Öffentlichkeit gesehen hat. Wir hatten uns darauf verständigt und wollten dazu eine Bundespressekonferenz machen.
Und dann kam die Friedenskundgebung mit Alice Schwarzer. Und da war der Bruch da, weil der Bundesvorstand sich von den Medien hat beeindrucken lassen, die alle sagten, da kommen so viele AfDler hin. Das wollten sie natürlich nicht. Und da ist der Bruch entstanden, sodass das dann leider nicht mehr zustande kam. Und seitdem war es schwerer, zu vermitteln.
ZDFheute: Ist denn Platz für beide in der deutschen Parteienlandschaft: für die „alte“ Linke und für das neue Bündnis?
Gysi: Das werden wir sehen. Ich glaube, dass sie Anfangserfolge hat und dann keine mehr. Ich glaube nicht, dass diese neue Partei 2025 in den Bundestag einziehen wird. Ihr Politikangebot ist so schwierig.
Sie will Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard und Sozialpolitik ein bisschen wie die Linke. Und dann hat man immer die Hoffnung, man kriegt von allen drei Wählerinnen und Wählern. Da kann man sich aber auch täuschen, das kann eine Minusrechnung werden. Die einen wählen dich deshalb nicht, die nächsten deshalb nicht.
Das Interview führte Christiane Hübscher, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.