
Aber was ist:

… mit Glatzen vs Recht?
Über dieses Merkmal ist schon viel geschrieben worden. Die Rechtspraxis (= Rechtsprechung) hat sich lange Zeit auf intuitive Pseudo-Rechtssätze und vermeintliche Erfahrungssätze gestützt: „Öffentlicher Friede“ sei ein tatsächlicher Umstand, eine empirisch messbare Stimmung oder eine quasi-psychologische Diagnose des
Gefühlszustands der deutschen Bevölkerung.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 4. November 2009 entschieden, „öffentlicher Friede“ sei nicht ein äußeres oder inneres Faktum, „nicht ein strafbegründendes Tatbestandsmerkmal, sondern eine Wertungsklausel zur Ausscheidung nicht strafwürdig erscheinender Fälle“ (BVerfG 1 BvR 2150/08 = NJW 2010, 47; Wunsiedel-Entscheidung). Wäre es anders, so müsste das Merkmal einer empirischen Feststellung – und daher auch entsprechenden Beweisanträgen in der Hauptverhandlung – zugänglich sein. Der wichtige Grundsatz der Entscheidung ist in Rechtsprechung und Literatur kaum angemessen zu Kenntnis genommen worden, da er dem eingeübten Evidenz-Schema widerspricht.
Öffentlicher Friede ist somit nicht ein empirisch zu messender Besorgnis- oder Erregungs-Level der Bevölkerung Deutschlands, sondern eine normativ zu bewertende, „wünschenswerte“ Gestimmtheit derselben, beurteilt nach dem Maßstab und aus Perspektive einer „objektiv-neutralen“ Person, also des erkennenden Gerichts. Kein Gericht hat jemals bei Taten der Gefährdung oder Störung des öffentlichen Friedens eine sachverständige Untersuchung der öffentlichen Stimmungslage angeordnet. Dass – außer in § 130 Abs. 4 – stets nur eine „Eignung“ zu Friedensstörung vorausgesetzt ist, bedeutet, dass es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt (mit konkreter Einschränkungsmöglichkeit) handelt; die „Störung“ muss nicht tatsächlich eintreten.
Vor diesem Hintergrund ist die genannte Parole auf ihre Eignung zur Friedensstörung (in Deutschland) zu prüfen. Sie richtet sich nicht nur abstrakt an den deutschen Staat, sondern an alle in Deutschland lebenden Menschen, insbesondere auch an die hier lebenden Juden. Zugleich fordert sie andere Bevölkerungsgruppen auf, sich der Forderung nach Vernichtung des Staates Israel anzuschließen. Sie ist schon aus diesem Grund in hohem Maß geeignet (und bestimmt), Aggression, Unsicherheit und Angst zu verursachen und in Deutschland lebende Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen. Hinzu kommt eine Bedrohung der Gesamtbevölkerung mit der hierdurch geschaffenen Lage der Gefährdung und Furcht.
An der Eignung zur Friedensstörung besteht daher im hier gegebenen konkreten Zusammenhang kein Zweifel. Das sieht, soweit inzwischen wohl auch die Berliner Polizei und/oder die Staatsanwaltschaft so, wie LTO berichtet.
Volksverhetzung?
Schließlich kann man noch über den Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nachdenken. Der „öffentliche Friede“ ist hier derselbe wie in § 140. Allerdings muss sich die Tat auf eine durch bestimmte Merkmale (z. B. religiöse, ethnische, nationale) charakterisierte Gruppe oder auf Teile der Bevölkerung beziehen. Damit ist, entgegen gelegentlicher Annahme, nur die in Deutschland lebende, also die inländische Bevölkerung gemeint. Hetze gegen Bevölkerungsgruppen im Ausland reicht daher grundsätzlich nicht aus, wenn nicht zugleich eine inländische Bevölkerungsgruppe einbezogen ist. Im Übrigen muss die Gruppe oder der Teil der inländischen Bevölkerung hinreichend konkretisiert sein. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Gruppe „in Deutschland lebende Juden“ der Fall.
Der Tatbestand des § 130 Abs. 1 ist aber aus einem anderen Grund wohl nicht gegeben: Die Parole, Palästina solle vom Jordan bis zum Mittelmeer“ reichen, richtet sich ausdrücklich gegen den Staat Israel, nicht aber mit einer hinreichenden Konkretheit gegen den jüdischen Bevölkerungsteil Deutschlands.
Antworten, im Ergebnis
1. Das Bejubeln von konkreten bzw. von hinreichend konkretisierbaren Tötungsdelikten der „Hamas“-Miliz in Israel ist nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar.
2. Die öffentliche Verbreitung der Parole „from the river to the sea / Palestine will be free“ ist im konkreten Bedeutungszusammenhang nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar. Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB besteht dagegen nicht.
3. Allgemeine „Solidaritäts“-Bekundungen mit den politischen, humanitären oder rechtlichen Anliegen „der Palästinenser“ oder einzelner Gruppen von ihnen sind nicht strafbar, sondern unterfallen Art. 5 Abs. 1 GG. Entsprechende öffentliche Demonstrationen sind über Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG auch dann gerechtfertigt, wenn die dort vertretenen politischen Positionen einer Mehrheit der (deutschen) Bevölkerung abwegig erscheinen. Die palästinensische Flagge ist kein Kennzeichen der Organisation Hamas und daher nicht nach § 86a StGB strafbar.