Im öffentlichen Diskurs über Kindergrundsicherung nennt Bundesfinanzminister Christian Lindner zwei neue Argumente: Die Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland seit 2015 sei dahingehend positiv, als viele „ursprünglich deutsche Familien“ nicht mehr arm seien und lediglich die Zuwanderung die Kinderarmut weiter erhöht habe. Zudem seien eine Integration der Eltern in den Arbeitsmarkt und ein stärkeres Bildungssystem bessere Alternativen zur Kindergrundsicherung. Diese Aussagen zeugen von grundlegenden Missverständnissen über Kinderarmut und was eigentlich sie verursacht. Es ist höchste Zeit, diese Mythen auszuräumen.
Kinderarmut ist mehr als ein geringes Einkommen
Zum zweiten Mythos: Armut bedeutet nicht nur ein geringes Einkommen, sondern konkret eine geringe soziale, politische und wirtschaftliche Teilhabe. Von Armut betroffene Kinder haben nicht die gleichen Möglichkeiten, etwa ins Kino zu gehen, Ausflüge zu machen oder kulturelle Angebote zu nutzen wie andere Kinder. Dies führt zu schlechteren Bildungschancen. Das zeigt auch die enorme Zahl von 50.000 Jugendlichen, die jedes Jahr ihren Bildungsweg ohne Schulabschluss beenden. Das zeichnet den Lebensweg vieler junger Menschen vor – nicht zu Unrecht heißt es: Armut vererbt sich. Kinderarmut führt zu einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit vom Sozialsystem, weniger Lebenszufriedenheit und einer schlechteren Gesundheit. Kinderarmut bedeutet daher so viel mehr als geringes Einkommen. Sie nimmt vielen jungen Menschen die Zukunftsperspektive.
Der vierte Mythos: Die Migration und Zuwanderung von Geflüchteten sei verantwortlich für den Anstieg von Kinderarmut. Dieses Argument ist unabhängig davon falsch, dass es für einen Staat und für eine Gesellschaft völlig irrelevant sein sollte – moralisch, sozial und wirtschaftlich –, welche Hautfarbe, Religion oder Herkunft ein Kind hat. Wer sagt, dass Geflüchtete und andere Migrantinnen und Migranten in Deutschland in Armut landen müssen? Dieses Beispiel zeigt, dass die Hauptursache für Armut eben meist nicht bei den betroffenen Menschen, sondern in den Lebensumständen und dem Versagen des Staates liegen. Eine schnelle und unbürokratische Genehmigung zur Arbeit, zu Sprachkursen, Qualifizierung und Anerkennung von Qualifikation sind Dinge, die der Staat noch immer zu schlecht umsetzt, sodass vielen Geflüchteten gar keine andere Option bleibt, als von staatlichen Geldern zu leben.
Mit jedem Monat in Armut steigt der gesellschaftliche Schaden
Der fünfte Mythos ist die Aussage Christian Lindners, Armut lasse sich durch Arbeit der Eltern und Bildung lösen – anstelle einer Kindergrundsicherung. Der Bundesfinanzminister sei daran erinnert, dass die Kindergrundsicherung kein Anspruch der Eltern, sondern ein Anspruch der betroffenen Kinder ist. Und er sei daran erinnert, dass er selbst den Abbau vieler Hürden für Arbeit und bessere Arbeitseinkommen fördern könnte: durch die Reform von Ehegattensplitting und Minijobs oder steuerliche Entlastungen für Arbeitseinkommen. Dies gilt insbesondere für alleinerziehende Mütter, für die das Armutsrisiko in Deutschland bei fast 40 Prozent liegt.
Noch wichtiger ist jedoch, dass eine Verbesserung von Arbeitsmarkt- und Bildungschancen niemals ausreichende finanzielle Hilfen und eine Kindergrundsicherung ersetzen können. Denn Kinderarmut verursacht hier und heute einen permanenten Schaden für die Betroffenen. Und der lässt sich eben nicht durch die potenzielle Chance auf Arbeit und ein besseres Einkommen in zwei oder fünf Jahren vermeiden. Mit jedem Monat in Armut steigt der Schaden für die Betroffenen und für die Gesellschaft.
Die hohe Kinderarmut in Deutschland ist ein großes soziales,
wirtschaftliches und politisches Problem
Es ist falsch und kontraproduktiv, dieses Problem durch eine verstärkte Zuwanderung oder durch Versprechen besserer Bildungs- und Arbeitsmarktchancen zu relativieren. Armut bedeutet eine fehlende Teilhabe und verursacht gerade bei Kindern und Jugendlichen einen permanenten, lebenslangen Schaden in Bezug auf Chancen, Lebenszufriedenheit und Gesundheit – und damit für die Gesellschaft. Die Verantwortlichen in der Politik sollten dieses Problem deshalb ernst nehmen und nicht versuchen, es kleinzureden.
Man hätte gerne mal Zahlen, wie lange statistisch Arme Zuwanderer schon in Deutschland leben, sprich wie lange es braucht um hierzulande anzukommen, Sprache lernen, Ausbildung anzuerkennen oder machen, Job zu finden …