Sterbehilfe ist ein zentrales gesellschaftliches, oft sehr emotionales Thema im Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Es geht um das Recht auf Selbstbestimmung der Betroffenen, aber auch um ärztliche Berufspflichten. Die Diskussion wird dadurch erschwert, dass der Begriff Sterbehilfe oft nicht einheitlich, zum Teil auch missverständlich verwendet wird. Das führt auch oft zu Rechtsunsicherheit. Für die rechtliche Beurteilung und für neue Gesetzesvorschläge ist es aber zentral, um welche konkrete Situation es genau geht. Das folgende begriffliche Gerüst soll zunächst die Orientierung erleichtern:
- Aktive Sterbehilfe – ist strafbar
- Beihilfe zum Suizid – ist nicht strafbar
- Passive Sterbehilfe – ist ebenfalls nicht strafbar
Was genau ist aktive Sterbehilfe?
Bei der aktiven Sterbehilfe verabreicht eine Person dem Patienten – in der Regel auf dessen Wunsch – ein Mittel, das unmittelbar tödlich wirkt. Das kann eine Überdosis eines Schmerz- oder Beruhigungsmedikaments oder eines Narkosepräparats sein. Der Patient nimmt das Mittel nicht selbst ein, sondern bekommt es von einem Arzt oder einer anderen Person eingeflößt. In Deutschland ist diese „aktive Sterbehilfe“ ausnahmslos verboten und wird zumindest als so genannte Tötung auf Verlangen bestraft, § 216 Strafgesetzbuch. Lässt sich der Wille des Patienten nicht ermitteln, kommt sogar eine Verurteilung wegen Totschlags oder Mordes in Betracht. Aktive Sterbehilfe in dieser Form ist weltweit nur in den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und im US-Bundesstaat Oregon erlaubt, jeweils unter bestimmten Voraussetzungen. In der politischen Diskussion in Deutschland spielt diese „schärfste“ Form der Sterbehilfe nur eine untergeordnete Rolle.
Was bedeutet Beihilfe zum Suizid?
Diese Situation kennen viele vielleicht aus Berichten über sogenannte Sterbehelfer. Bei der Beihilfe zum Suizid (auch assistierter Suizid genannt) wird dem Betroffenen ein tödliches Mittel nicht aktiv verabreicht, sondern von einer anderen Person zur Verfügung gestellt. Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe nimmt der freiverantwortlich handelnde Patient das Mittel selbst ein und bringt sich damit um. Es mag dabei der Eindruck entstehen: Ist das denn nicht egal, wer am Ende das Medikament gibt oder einnimmt? Aus rechtlicher Sicht ist das aber ein entscheidender Unterschied, denn: Die Selbsttötung ist in Deutschland nicht strafbar. Daher macht sich auch der Gehilfe (der das Medikament gereicht hat) grundsätzlich nicht strafbar. Dieses Thema spielt in der politischen Diskussion eine große Rolle. Besonders der assistierte Suizid als mögliches Geschäftsmodell steht in der Kritik.
Warum herrscht beim assistierten Suizid dennoch rechtliche Unsicherheit?
Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens ist eine Art „Strafbarkeit durch die Hintertür“ nicht ausgeschlossen, auf die in der rechtlichen Diskussion der letzten Jahrzehnte immer wieder hingewiesen wird. Das Problem: Bleibt der Gehilfe nach Übergabe des Medikaments im Raum, und der Patient verliert das Bewusstsein, könnte er wegen unterlassener Hilfeleistung oder Totschlags durch Unterlassen verfolgt werden. Denn er hat dann eigentlich die Pflicht, den Eintritt des Todes zu verhindern. Auf der sicheren Seite ist also nur der, der den Raum verlassen hat. Erst straffrei das Mittel übergeben dürfen, dann aber helfen müssen? Das klingt in der Tat widersprüchlich. Ein aktuelles, höchstrichterliches Urteil genau zu dieser Situation gibt es nicht. Diese Lage führt zu Rechtsunsicherheit nicht nur bei Ärzten.
Speziell für Ärzte gibt es, zweitens, ein weiteres Risiko – nicht das Strafrecht, sondern das ärztliche Standesrecht. In der Musterberufsordnung für Ärzte steht nämlich (§ 16, Beistand für Sterbende): „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Das bedeutet: Auch wenn ein Arzt sich mit einem assistierten Suizid nicht strafbar macht, muss er zumindest Sanktionen der Ärztekammern befürchten, zum Beispiel eine Geldbuße.
Was bedeutet passive Sterbehilfe?
Unter passiver Sterbehilfe versteht man den Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen oder ihre Beendigung. Das ist die Situation, vor der Ärzte und Verwandte oft bei schwerstkranken Patienten auf der Intensivstation stehen. Und die Situation, die viele Menschen meinen, wenn sie sinngemäß sagen: „Wenn es mal so weit mit mir ist, möchte ich nicht an Schläuche angeschlossen sein.“ Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe lässt man hier dem natürlichen Sterbeprozess seinen Lauf, etwa indem man das Beatmungsgerät abstellt, das den Patienten bisher am Leben hält. „Aber Abschalten der Geräte ist doch aktives Tun!“ mag man einwenden. Das stimmt. Dennoch fällt es rechtlich unter den Begriff der passiven Sterbehilfe. Neuere Urteile verwenden daher lieber den Begriff „Behandlungsabbruch“.
Wann ist passive Sterbehilfe in Deutschland erlaubt?
Zunächst muss für jede Art von Behandlung eine medizinische Indikation bestehen. Daran fehlt es, wenn die Behandlung nur das Sterben und damit auch mögliche Leiden verlängern würde. Dann ist die Behandlung schon medizinisch nicht mehr gerechtfertigt und muss eingestellt werden.
Gibt es noch eine Indikation, dann gilt: Ein Behandlungsabbruch ist erlaubt, wenn dies dem Patientenwillen entspricht. Ein Arzt macht sich in diesem Fall nicht strafbar, wenn er keine Geräte mehr anschließt oder sie abstellt. Das hat der Bundesgerichtshof über viele Jahre hinweg immer wieder entschieden. Die Rechtslage ist also grundsätzlich klar. Trotzdem gibt es immer wieder Unsicherheiten bei Ärzten, die sich verpflichtet fühlen, Leben zu erhalten. Wichtig: Ein „Behandlungsabbruch“ fällt nicht unter den oben zitierten § 16 der ärztlichen Berufsordnung.
Zentraler Maßstab für die zulässige passive Sterbehilfe ist also der Wille des Patienten. Den kann man auf verschiedene Art ermitteln. Entweder der Patient kann sich noch artikulieren, oder er hat ihn in einer Patientenverfügung niedergeschrieben. Möglich ist auch, den Willen über frühere Äußerungen zu ermitteln oder den „mutmaßlichen Willen“ herauszufinden.
Welche Rolle spielt die Patientenverfügung genau?
Oft kann der Patient im Ernstfall selbst keine Entscheidung mehr treffen, etwa weil er im Koma liegt. Idealerweise hat der Patient möglichst konkret in einer Patientenverfügung niedergelegt, in welcher Situation er welche Behandlung wünscht bzw. nicht mehr wünscht. Daran sind die Ärzte gebunden. Immer wieder gibt es aber Streit über den Inhalt einer Verfügung. Dann kommen ein vom Patienten bestimmter Bevollmächtigter oder ein gesetzlicher Betreuer ins Spiel. Diese entscheiden jedoch nicht selbst, sondern sind nur Sprachrohr des Patienten. Ein Betreuer hat laut Gesetz die Aufgabe, die Patientenverfügung durchzusetzen, zur Not mit Hilfe von Gerichten. Gibt es keine Patientenverfügung, muss der Betreuer seine Entscheidung an zuvor geäußerten Behandlungswünschen bzw. am „mutmaßlichen Willen“ des Patienten ausrichten.
Wie bestimmt man den „mutmaßlichen Willen“?
Wenn es auf den mutmaßlichen Patientenwillen ankommt, muss der Bevollmächtigte oder Betreuer des Patienten eine These aufstellen. Die Frage lautet dann: „Wie hätte sich der Betroffene selbst in der konkreten Situation entschieden, wenn er noch über sich bestimmen könnte?“ Der Betreuer darf aber nicht nur mutmaßen. Grundlage seiner Entscheidung müssen konkrete Anhaltspunkte sein, insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen des Patienten, seine ethischen und religiösen Überzeugungen und sonstigen persönlichen Wertvorstellungen. Das ist keine leichte Sache.
Der Bundesgerichtshof hat das am 14. Oktober 2014 in einem wichtigen Urteil konkretisiert. Das Landgericht Chemnitz hatte den Betreuern einer Wachkoma-Patientin verboten, die Ernährung über eine Magensonde einstellen zu lassen. Eine Patientenverfügung gab es nicht. Die Frau hatte aber zuvor mehrfach geäußert, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen in Anspruch nehmen wolle, wenn sie nicht mehr am Leben teilnehmen könne. Der Bundesgerichtshof betonte, dass die Gerichte die Hürden für den mutmaßlichen Willen nicht unerreichbar hoch hängen dürften. Es sei auch nicht zulässig, strengere Maßstäbe anzulegen, nur weil der Tod der Patientin noch nicht unmittelbar bevorstehe.
Dennoch sind solche Situationen in der Praxis natürlich extrem schwierig für alle Beteiligten. Deswegen war die Botschaft des BGH zwischen den Zeilen: Macht lieber eine eindeutige Patientenverfügung. Dann besteht rechtlich Klarheit, dass es sich beim Abschalten der Geräte um passive und also Sterbehilfe handelt.
Ändert die „Lambert-Entscheidung“ etwas an der deutschen Rechtslage?
Nein. Im Urteil zum Fall Vincent Lambert vom 5. Juni 2015 ging es um eine Situation der passiven Sterbehilfe. Innerhalb der Familie gab es unterschiedliche Ansichten dazu, wie der mutmaßliche Wille des schwerkranken Mannes gelautet hätte, also ob man die Maschinen abstellen soll oder nicht. Die französischen Gerichte hatten die Entscheidung gebilligt, den Patienten sterben zu lassen.
Das Gericht in Straßburg hat den Mitgliedsstaaten einen großen Entscheidungsspielraum in diesen zentralen Fragen zugebilligt, weil es keine einheitliche europäische Linie in diesen Fragen gebe. Die französischen Behörden hätten im vorliegenden Fall intensiv alle Positionen abgewogen und ihren Spielraum nicht überschritten. Das Urteil ist keinesfalls ein Freibrief für jede Art von Sterbehilfe in Europa. Es lässt jedem Staat bei der passiven Sterbehilfe einen weiten Spielraum und verlangt eine gewissenhafte Prüfung jedes Falles. Das ist ohnehin Voraussetzung für jede Entscheidung im Rahmen des so schwierigen Bereichs Sterbehilfe.