Pegasus-versockelt und festgeklemmt

Von einem, der aus dem Leben gefallen ist und der doch – eigentlich – das Fallen, wenn schon, dann fliegend hätte erlebt haben wollen. Und nun findet er sich in einer Welt, in der er doch durchaus  – eigentlich noch – ganz vielleicht doch noch, sich hätte kundig gemacht haben können; diese Welt aber ist von ihm gewichen, sie gibt ihm, dem am Stock gehend Gefallenen, keine Kunde mehr.

Zeichen werden mehr und mehr zu nicht mehr zu entwirrenden, apokalyptischen Rätseln – unlösbar oft, abstoßend nicht selten — sind seiner Lebensart, seinem Habitus, seinem Geschmack ungemäß weil – und sicher nicht nur – unzeitgemäß geworden. Ach ja, zum besseren Verständnis: Apokalypse geschieht – kalyptisch – seit Adam, apo – kalyptisch mit „Christus“, der zwar seit Adam kalyptisch bleibt, doch vom Bauplan her alle Macht hat, auch wenn er, zeitlich begriffen scheitern musste.

 

Man kennt das Bild; so mählich, so schmachvoll: Gealtert, die Augen erloschen, aufhören zur rechten Zeit muss sehr schwer sein.

Ich habe mich überlebt

Was heißt das für einen Journalisten, einen Kritiker allzumal? Es bedeutet: Meine ästhetischen Kriterien sind veraltet, das Besteck des Diagnostikers rostet, meine Gierfreude am Schönen der Kunst ist zu Asche geworden, der gefiederte Pegasus, mit dem ich durch Bild und Text galoppierte, lahmt. Diese Welt – in der ich mich durchaus noch hätte kundig gemacht haben wollen – weicht mählich zwar, aber unausweislich von mir, gibt mir keine Kunde mehr; ich bin aus der Welt gefallen. Ihre Zeichen werden mehr und mehr zu Rätseln – unlösbar oft, abstoßend nicht selten, sind meiner Lebensart, meinem Habitus, meinem – Pardon für das harte Wort – Geschmack ungemäß. Ich bin nicht mehr zeitgemäß.

Mithin sollte ich nicht
weiterhin richten noch rechten noch urteilen

Wer nämlich urteilt, gibt ja zumindest vor, Bescheid zu wissen; wer aber nicht mehr Bescheid weiß, soll sich bescheiden. Wer nicht unersättlich ist, hat in diesem Beruf nichts mehr zu suchen (und findet nichts).
Aber wer satt ist, der kostet nicht mehr, schmeckt gar nichts. Für Literatur, für Literaturkritik bedeutet das eher Rülpsen denn ein Gaumengenuss: Die große Gier nach Schönheit verkommt zu Beliebigkeit. Schönheit ist nicht behaglich. Man muss kein Montaigne sein, auch kein Proust, um zu wissen: Schönheit ist so bedrohlich, so verschlingend wie das Meer. Der Wellen, Gischt und Brandung nicht mehr gewachsen ist, der soll nicht hinausschwimmen ins Unheimliche, soll allenfalls noch nur mehr ferner, unbeteiligter Beobachter sein.

Jede Zeit hat ihre Zeit

Will sagen: Man soll nicht – ich will nicht – der vergehenden Zeit hinterherlaufen. Wer noch ein wenig Verstand im Kopf hat, muss wissen, wann Schluss ist. „Sie sind eine Legende“, höre ich oft, gelegentlich heißt das auch „ein Denkmal“ oder „eine Ikone“ – gemeinhin Phänomene, die mit der Gegenwart nichts zu tun haben, einzuordnen etwa zwischen Nibelungenlied und dem Bismarck-Turm hoch über dem Neckar in Heidelberg.
Weit weg. Wer das sagt – mag sein: gar wohlwollend –, hat recht. „Vorbei, verweht, nie wieder“, intoniert der Klassiker.

Alles Leben hat seine Grenze

Alles Erleben auch. Wem die Töne einer Gegenwart nur mehr Geräusche sind, die Farben Kleckse, die Wörter klingende Schelle: Wo wäre dessen Legitimation zu lautem Klagelied (oder, sehr selten, leisem Lobpreis)? Ich spreche sie mir ab, fürderhin. Zu viele Gedichte sind mir nur mehr halbgebildetes Geplinker, zu viele gepriesene Romane nur mehr preiswerter Schotter. Der nicht mehr liebt, der räsoniere nicht. Liebeleere ist keine Qualität. Schon gar nicht für einen Kunstrichter.

Also beende ich mit diesem öffentlichen Schreiben meine journalistische Arbeit, die ich mit 21 Jahren begann: die als Literaturkritiker, die als kommentierender Journalist – nicht ohne indes den Dank an meine Leser zu vergessen. Ich würde demnächst über 80 Jahre alt geworden sein. Time to say goodbye?

Habe mich geprüft – werde es wieder nicht schaffen …

 

Aug 2023 | Allgemein, In vino veritas, Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch | Kommentieren