In liberalen Demokratien sind viele Dinge verboten: das Fahren über rote Ampeln zum Beispiel. Menschen sind oft nicht eins mit sich selbst.
Man liebt jemanden – und fürchtet Nähe. Man wünscht sich was – und freut sich nicht, es zu bekommen. Oder: Man will das Klima schützen –
und bucht dann doch Langstrecke.
Protect me from what I want – lautet ein Slogan der US-amerikanischen Konzeptkünstlerin Jenny Holzer, der 1982 als Leuchtschild in goldener Schrift über dem New Yorker Times Square prangte:
Schütze mich vor dem, was ich mir wünsche. Man kann diese Parole als Definition von Selbstsabotage verstehen – oder als konsumkritischen Kommentar.
In einer Zeit der eskalierenden Klimakrise lässt sich Protect me from what I want noch anders begreifen: als Hilferuf einer Gegenwart, die es ihren Insassinnen schwer macht, den Wunsch nach Klimaschutz mit damit einhergehendem Handeln zu vereinbaren. Diese Inkongruenz ist nicht etwa Ausdruck individuellen Versagens. Sie ist das Ergebnis einer politischen Ökonomie, die klimaschädliches Handeln fördert: Flugreisen sind oft günstiger als Zugfahrten, Fahrbahnen für Autos besser ausgebaut als Radwege.
So kann Protect me from what I want auch als politischer Appell gelten
Als Appell etwa, die Last der Verantwortung nicht länger allein schultern zu müssen. Wer gibt schon gern seinen Lebensstandard auf, solange das „Machen doch alle so“ weiterhin gilt? Wer verzichtet schon leichtfertig auf das, je nach Vermögensverhältnissen, einst so Gewöhnliche: viel Autofahren, viel Fleisch, viel Fliegen?
35 Prozent der Menschen in Deutschland wünschen sich dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend zufolge, dass klimaschädliches Verhalten auch mit Verboten eingeschränkt wird. Liberale tun diese Forderung gern als infantile Sehnsucht ab: Wer Verbote wünscht, fürchtet die eigene Freiheit und sehnt sich nach Orientierung durch Autorität.
Fragt man jedoch Bütger, von welchen Klimasünden sie gern abgehalten werden würden, zeigt sich kein libertär-autoritärer Charakter. Neben der populären Forderung, dass der Luxuskonsum von Superreichen – Privatjets, Privatpools – limitiert gehöre, werfen viele den Blick eher unaufgeregt auf ihre eigene Lebensrealität.
Der Diesel, das Fliegen oder das morgendliche Rasen auf dem Weg zur Arbeit:
Man wisse ja, dass all das klimaschädlich sei. Aber aus eigener Kraft sich selbst die Bequemlichkeit verwehren? Verbote würden es erleichtern, nicht mehr individuell abwägen zu müssen, ob man nun klimasündigt oder nicht.
Ist das aber am Ende doch infantil und zeugt von Angst vor Freiheit? Vor allem ist es erst einmal erkennbar privilegiert: Die Menschen, mit denen gesprochen wurde, stammen zum Großteil aus einem bürgerlichen Milieu, arbeiten als Architekten, Lehrer, Unternehmensberater oder Bildungsreferenten.
Dass sie ihr Handeln in einem globalen Maßstab begreifen, liegt sicher auch daran, dass sie die Zeit, Nerven und Ressourcen haben, um sich mit Nachhhaltigkeitsfragen zu befassen. Schließlich ist soziale Sicherheit, folgt man dem Soziologen Klaus Dörre, eine entscheidende Bedingung für die Beschäftigung mit der Klimakrise und die Entwicklung dessen, was er „Zukunftsbewusstsein“ nennt.
Über solch ein Bewusstsein verfügen die Menschen, deren Protokolle hier exemplarisch gezeigt werden. Ihr Blick in die Zukunft führt dazu, dass sie auf ihre Möglichkeiten, dem Klima zu schaden, mit kognitiver Dissonanz reagieren: „Wenn ich dann doch im Flugzeug sitze, fühle ich mich schlecht, aber nicht schlecht genug, um daraus wirklich eine Konsequenz zu ziehen“, sagt eine 41-Jährige, die beruflich regelmäßig Inlandsflüge nutzt. Ein 29-Jähriger bemängelt, dass es viel zu leicht geworden sei, Dinge im Internet zu bestellen. „Dem kann ich mich als Einzelperson nicht entziehen.“
Es ist fraglos diskussionswürdig, inwiefern es sich überhaupt lohnt,
als Einzelperson etwas ausrichten zu wollen
In der Bewältigung der Klimakrise aber geht es schließlich um wesentlich mehr als um die Frage des individuellen Konsums. Dass etwa das Denken in ökologischen Fußabdrücken derart verbreitet ist, ist einem Marketing-Coup der Ölindustrie in den Nullerjahren zu verdanken, der die klimapolitische Verantwortung galant von notwendigen Einsparungen in der Produktion hin zu den Konsumenten verlagerte.
Politische Fragen geraten zu moralischen Debatten
Bedeutet das dann aber auch, dass es falsch ist, wenn sich aus der Beobachtung des individuellen Konsums politische Forderungen ergeben?
Verbote sind weder infantil noch illiberal
Viele Verbotsforderungen, die darauf gründen, sind jedenfalls alles andere als der regressive Wunsch nach Zwang und Bevormundung. Im Gegenteil erscheinen sie vielmehr als Ausdruck des recht erwachsenen Bedürfnisses, Denken und Handeln miteinander in Kongruenz zu bringen:
Protect me from what I want
Erkenntnisse aus der Dissonanzforschung zeigen, wie wichtig diese Kongruenz sein kann. Menschen neigen dazu, kognitive Dissonanzen auszugleichen – beispielsweise indem sie die Auslöser trivialisieren oder sie schlicht vergessen. Wer sein Handeln in der Klimakrise permanent als widersprüchlich zum eigenen Wissensstand erlebt, wird womöglich die Klimakrise als Ganzes verdrängen.
Dem ließe sich mit einer Politik entgegenwirken, die klimapolitische Entscheidungen nicht länger dem Individuum überlässt. Dieses Individuum steht schließlich stets ineffektiv oder gar hilflos vor dem Kollektiv der anderen Individuen und den gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten, in die sich alle zusammen hineinsteigern: dass man binnen vier Stunden „easy“ von Hamburg nach München kommen sollte zum Beispiel oder dass Restaurants vor allem Fleischgerichte anbieten. Warum also ist das Verbot ein derartiges politisches Tabu, das die Klimakrise zum Schauplatz von Kulturkämpfen geraten lässt?
In liberalen Demokratien sind schließlich viele Dinge verboten
Mord, Asbest, das Fahren über rote Ampeln zum Beispiel. Es gibt dadurch weniger Tote durch Verbrechen, Krebs oder Verkehrsunfälle. Dass dennoch erstaunliche Affekte aktiviert werden, sobald die Verbotsvokabel auch nur im Raum steht, ist das Ergebnis einer neoliberalen Diskurshegemonie, wie der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies in seiner ideengeschichtlichen Studie Verbot und Verzicht veranschaulicht.
Die weitverbreitete Auffassung, das Verbot sei kein legitimes staatliches Instrument und individueller Konsum im Namen der Freiheit unantastbar, zeigt laut Lepenies, „wie stark sich die Ideale des Neoliberalismus in den Köpfen festgesetzt haben“. Diesen Idealen zugrunde liege die Vorstellung eines Staats, der sich weitestgehend aus dem Leben seiner Bürger raushalten sollte – und die von Bürgern, die nicht etwa als Teil des Staats, sondern getrennt von ihm betrachtet werden.
Gute Politik ist in dieser Anschauung eine „Politik des Unterlassens“
Untätigkeit wird so zu einer politischen Tugend
Das ist angesichts sehr eindeutiger Szenarien der Klimaforschung, keine Frage, Wahnsinn. Nicht der Wunsch nach Verboten, sondern die Haltung mancher Liberaler erweist sich als infantil: nicht nur, weil sie in der Forderung nach Einschränkungen ihre eigene Omnipotenz verletzt sehen, sondern auch, weil sie weiterhin auf technologische Innovationen hoffen, die uns schon retten werden wie Eltern ihre Kinder aus dem Bälleparadies.
Dieses Bällebad steht jedoch längst unter Wasser oder – je nachdem, wohin man schaut – in Flammen. Auf die immer neuen Videos von Rauchwolken über Rhodos oder Eisschollen in Norditalien reagieren manche mit Panik, andere mit Ignoranz. Beides ist wenig hilfreich. So absurd es zunächst klingen mag: Eine Klimapolitik, die auf Verbote setzt, könnte Menschen inmitten der Katastrophe ein Gefühl von Wirksamkeit vermitteln. Zum einen, weil diese Verbote Klima-Denken und Klima-Handeln in stärkere Kongruenz bringen könnten.
Zum anderen, weil eine Verhaltensänderung, wird sie Gesetz, dann eben doch einen Unterschied macht. Wenn vielleicht zehn Prozent der Deutschen, die ein ausgeprägtes Zukunftsbewusstsein eint, aus freien Stücken auf etwas verzichten, ist das eben etwas anderes, als wenn es gar nicht mehr stattfindet. Und zwar nicht nur mengenmäßig: Wenn etwas nicht mehr stattfinden darf, verschwindet es schnell aus dem Bewusstsein und damit auch aus dem Anspruchsdenken. Es mag uns heute zum Beispiel vollkommen absurd erscheinen, Autos zu verbieten. Andererseits erscheint es uns auch vollkommen absurd, dass Menschen früher glaubten, in Bussen rauchen zu dürfen. Als menschheitsgeschichtliche Selbstwirksamkeitserfahrung kann schließlich auch das Verbot von FCKW-Stoffen in Haarsprays und Kühlschränken gelten, das maßgeblich zur Schließung des Ozonlochs beitrug.
Verbote sind – nüchtern betrachtet – ein politisches Instrument
Dies – ob uns das passt oder nicht – zu guter Letzt um in einer Gesellschaft Sicherheit, Gesundheit und Krisenfestigkeit zu gewährleisten.
Ob sie durchsetzbar sind, hängt in Demokratien von gesellschaftlichen Mehrheiten ab.
Dass die sich nämlich dahin gehend verändern können, Verbote weniger zu dämonisieren:
Das ist möglich. Und weder infantil noch illiberal.