Die nun eingepreisten „wahren Kosten“, so die Werbebotschaft, sollen den Verbraucher auf die „sozialen und ökologischen Auswirkungen“ der Produkte aufmerksam machen, die sich sonst nicht im Verkaufspreis widerspiegeln. Das ist blanker Hohn, tragen doch die marktbeherrschenden vier Konzerne des deutschen Lebensmitteleinzelhandels durch ihre Dumpingpreise und Erpressung der Bauern zu genau den nun kritisierten Bedingungen bei. Zynisch ist zudem, dass wieder einmal indirekt die Schuld auf den Verbraucher ausgelagert wird. Der solle sich – so die Botschaft – besser bio oder noch besser vegan ernähren. Das sei dann gut für die Gesellschaft, die Umwelt und das Klima. Wie sich der Verbraucher das erst recht angesichts der massiv gestiegenen Lebensmittelpreise leisten soll, verrät Penny freilich nicht. Und dass Penny mit Bio- und veganen Produkten höhere Margen realisieren kann, steht natürlich auch nicht in der Werbung.
Die Debatte um „zu billige Lebensmittel“ ist keineswegs neu und in der Tat verzwickt. Auf der einen Seite sind immer mehr Menschen auf bezahlbare Lebensmittel angewiesen, aber auf der anderen Seite sind die meisten Lebensmittel natürlich in der Tat „zu billig“. Die Kollateralschäden der aufgerufenen Dumpingpreise für Fleisch und Molkereiprodukte sind Umweltschäden, Nitrate im Grundwasser, schlechte Löhne und natürlich nur noch katastrophal zu nennende Tierwohlbedingungen. All dies ist Fakt, jedoch würde ein höherer Preis an diesen negativen Rahmenbedingungen monokausal auch nichts ändern.
Die isolierte Forderung nach höheren Lebensmittelpreisen ist grotesk. Edeka, Rewe, Lidl und Aldi könnten auch die Preise erhöhen, ohne dass dies direkte Auswirkungen auf die Produktionsbedingungen hat. Schon heute sind die Margen bei diesen Produkten oftmals verschwindend gering. Discounter und Supermärkte verzichten bei diesen Produkten sogar häufig auf Margen und nutzen Aktionsangebote, um die Kunden in den Markt zu locken und dann über die höheren Margen der anderen verkauften Produkte Renditen zu erzielen. Leidtragende dieser Entwicklung sind vor allem die Bauern, die von der Einkaufsmacht der vier Handelskonzerne, die zusammen 85 Prozent des deutschen Lebensmittelmarktes unter sich ausmachen, die Einkaufspreise diktiert bekommen.
Dass die Reduzierung der nicht eingepreisten „sozialen und ökologischen Auswirkungen“ bei der Einkaufspolitik der Handelsketten eine Rolle spielen würde, kann getrost als „Greenwashing“ bezeichnet werden. Auch die Penny-Gruppe, die nun aus Werbezwecken die Kollateralschäden dieser Praxis beklagt, ist für ebendiese Kollateralschäden im hohen Maße mitverantwortlich. Wie soll der Bauer beispielsweise bessere – und damit teurere – Umweltstandards implementieren, wenn Penny seine Produkte am liebsten verramscht und die Einkaufspreise drückt? Milchpreise, die oft unter dem Einkaufspreis liegen, und Nackensteaks, die zur Grillsaison in Sonderaktionen für ein Euro das Stück feilgeboten werden, können nun einmal zu diesen Preisen nicht nachhaltig produziert werden. Und es sind nicht die Bauern, die für diese Dumpingpreise verantwortlich sind, sondern der Einzelhandel. Nun auf die Tränendrüse zu drücken und sich implizit selbst als Opfer der Umstände darzustellen, ist zynisch.
Ebenfalls zynisch ist es jedoch, wenn der Handel nun die Armut instrumentalisiert. Gerade die steigenden Lebensmittelpreise haben im letzten Jahr dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen überhaupt keine nachhaltigen Lebensmittel mehr leisten können. Wenn das Konto leer ist, hat man keine Alternative und ist den Discountern am Ende sogar noch dankbar, wenn Lebensmittel dank der Dumpingpreise kein allzu großes Loch in die Budgetplanung reißen. Damit verteidigt der Einzelhandel auch immer wieder seine Einkaufspolitik. Zynismus. Man instrumentalisiert Armut als Ausrede für den Missbrauch der Marktmacht der großen Handelskonzerne, die ihrerseits den Bauern Dumpingpreise abpressen, zu denen nun einmal ökonomisch gar keine verantwortungsbewusste Produktion der Lebensmittel möglich ist.
Und nun sollen weniger finanzstarke Kunden auch noch indirekt für die Kollateralschäden, die mit der Produktion dieser Nahrungsmittel verbunden sind, verantwortlich gemacht werden. So lernen sie bei Penny beispielsweise, dass der preiswerte Maasdamer, der normalerweise 2,49 Euro in der 300g-Packung kostet, eigentlich 4,84 Euro kosten müsste – allein 84 Cent „wahre Kosten“ gehen dabei auf das Konto „Klima“. Aber was nützt diese Erkenntnis, wenn der sicherlich klimafreundlicher produzierte Biokäse so teuer ist, dass ihn sich viele Geringverdiener ohnehin nicht leisten können? Muss nun etwa die Rentnerin mit ihrem Penny-Maasdamer ein schlechtes Gewissen haben? Und der Besserverdiener mit seinem Biokäse ist fein raus? Prima, dann sei ihm ja der neue Audi Q8, die wohlverdiente Auszeit auf den Malediven und der Business-Trip nach New York vergeben. Und was hält Penny eigentlich davon, Erdbeeren aus Marokko oder Äpfel aus Südafrika aus dem Sortiment zu nehmen? Sind die etwa gut für das Klima?
Folgt man Penny, wäre es ohnehin am besten, man würde sich vom hauseigenen veganen „Schnitzel“ ernähren. Hier fällt der Aufschlag durch die „wahren Kosten“ mit fünf Prozent am geringsten aus. Das ist interessant, besteht das Produkt laut Zutatenlisten doch vor allem aus Wasser und Rapsöl, dem dann 20 weitere, oft chemische Zusätze hinzugegeben wurden. Man darf vermuten, dass bei diesem „hochverarbeiteten Lebensmittel“ die Zutatenkosten so gering sind, dass Penny – anders als bei natürlichen Lebensmitteln wie beispielsweise einem Schweine- oder Kalbsschnitzel – eine gewaltige Marge erzielen kann. Ob man die Welt mit diesem Chemieprodukt rettet, sei dahingestellt; für Penny dürfte es sich jedoch finanziell lohnen, wenn der Kunde statt zum margenschwachen „Dumping-Schweineschnitzel“ zum margenstarken veganen „Schnitzel“ greift. Und selbst der empfohlene Umstieg von konventionellen Produkten auf Bioprodukte ist für den Einzelhandel alles andere als Altruismus.
„Bio schafft Marge“, titelte vor einiger Zeit das Handelsblatt. Während der Lebensmitteleinzelhandel mit konventionellen Lebensmitteln aufgrund der eigenen Dumpingpreise bestenfalls sehr geringe Margen realisieren kann, ist dies bei Bioprodukten anders. So gesehen macht Pennys Werbekampagne durchaus Sinn – nicht für den Kunden und nicht für das Klima, dafür aber umso mehr für Penny selbst. Auch das ist Zynismus in Reinkultur.
Das scheinen auch die Verbraucher zu vermuten. So schaffte es die Tagesschau anscheinend bei einem „Ortstermin“ in einem Penny nicht einmal, einen Kunden zu finden, der vor der Kamera etwas Positives zu Pennys Aktion sagen wollte. Was machte man? Man ließ eine Produktionsassistentin Penny loben – freilich ohne dies transparent zu machen.