Dort nämlich (oder genau jetzt in der Rundschau) werden millionenfach Anweisungen gepostet, wie Sie und ich zu Milliardären werden können. Unter den Hashtags #BillionaireMindset, #MillionaireMindset oder auch #BillionaireRoutine finden sich allerhand Tipps für all jene, die mit stählernem Willen reich werden wollen. Früh morgens um 4 Uhr aufstehen. Meditieren, Sport machen, E-Mails checken. Drei Ziele für den Tag setzen. Ein rohes Ei mit Müsli und Magerquark frühstücken. Um 7 Uhr anfangen zu arbeiten. In der Mittagspause: joggen und die Aktienmärkte checken. Um 18 Uhr dann nach Hause, um am Side Hustle zu arbeiten. Spätestens um 21 Uhr ins güldne Bett. Guter Schlaf ist wichtig.
Machen Sie es wie Buffett, Gates und Zuckerberg
Mit dieser Routine ist ein Vermögen in zehnstelliger Höhe nahezu garantiert – aufs Mindset kommt es an. Schließlich machen es Warren Buffett, Bill Gates, Mark Zuckerberg und Co. angeblich genau genauso.
Doch was die sogenannte „Hustle Culture“ vor allem gegenüber jungen Menschen propagiert, ist ein leeres Versprechen: Du wirst nicht reich, indem du genug Proteine isst und auf Pornos verzichtest. Auch Gates und Buffett sind nicht dadurch zu Milliardären geworden. Sie hatten wohlhabende Eltern. Und die kann man sich nicht im Gym antrainieren.
Dessen ungeachtet widmen sich unzählige Accounts der Frage, wie jeder zum „Billionaire“ aufsteigen kann. Mit ihren vagen Empfehlungen scharen die Influencer zigtausende Follower hinter sich. Unter dem Hashtag #BillionaireMindset finden sich auf Instagram rund 1,8 Millionen Postings, unter MillionaireMindset sind es sogar ganze 9,1 Millionen.
Beliebig wie ein Wandtattoo
Dabei verbreiten die Influencer Weisheiten von einer Tiefe, wie sie auch Wandtattoos aus dem Baumarkt bieten: „Geh Risiken ein!“, „Arbeite super hart!“, „Hör nicht auf den kleinen Mann!“.
Die Hustle Culture ist – trotz des fehlenden Wohlfühlcharakters – ein weiterer Selbstoptimierungstrend. Wie bei ähnlichen Trends in den sozialen Medien, geht es auch hierbei darum, sich zu vergleichen und vermeintlich zu optimieren: Wer fährt die meisten Bugattis, wer kennt die meisten Musk-Zitate, wer frühstückt die meisten rohen Eier? Dafür bieten die sozialen Medien eine ideale Bühne – weshalb der scheinbar veraltete Trend zum Workaholism im Netz neu aufflammt.
Die Selbstoptimierung der Hustle Culture zielt damit auch nicht nur darauf ab, ein „perfektes Leben“ zu führen. Vielmehr geht es darum, unter größtmöglicher Selbstausbeutung möglichst viel Geld zu verdienen. Das angebliche Ziel der Hustler: Freiheit.
Leben, um zu arbeiten
Aus diesem Grund blicken Hustler meist verächtlich auf 9-to-5-Jobs. Die gewöhnliche Lohnarbeit verunglimpfen sie allzu gerne als rat race, als Rattenrennen.
Versteckt sich hinter der Jagd nach den Milliarden also in Wahrheit doch eine Systemkritik? Keineswegs. Das wird spätestens dann deutlich, wenn die Mindset-Bubble Buffett, Gates und Zuckerberg zu Gallionsfiguren der Leistungsgesellschaft hochstilisieren.
Die Ablehnung der Möchtegern-Millionäre richtet sich nicht gegen das System der Lohnarbeit und dessen Profiteure. Stattdessen verachten sie all jene, die arbeiten müssen, um zu überleben.
Schließlich könnte es jeder schaffen: Wenn er nur das richtige Frühstück äße, die richtigen Investments tätigte, die richtigen Freunde hätte und die richtigen Podcasts hörte.
Harte Arbeit ist der Weg zum Erfolg, so lautet das Mantra. Wer aber arm ist, der trägt daran selbst Schuld. Diese Menschen haben einfach das falsche Mindset: Sie würden sich ständig beschweren, nicht dazu lernen wollen, die Rundschau ignorieren und die Zukunft fürchten. Kurzum, sie leiden an einer „Pleite-Mentalität“.
Hustler beschweren sich hingegen nicht. Sie denken groß. Sie investieren. Sie duschen kalt. Derlei selbstauferlegte Entbehrungen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich hinter dem sinnleeren Aufstiegsversprechen vor allem eines verbirgt: eine große Selbsttäuschung.