Am 20. August 1823 wurde „Almansor“, ein Theaterstück von Heinrich Heine (1797- 1856), im Nationaltheater am Hagenmarkt in Braunschweig uraufgeführt. Inszeniert hatte es der Intendant August Klingemann (1777-1831), dessen anonym erschienenes Buch „Die Nachtwachen des Bonaventura“ zu den Klassikern der deutschen Romantik zählt. Die Aufführung war ein Desaster. Zuschauer verließen schimpfend das Theater. Es kam zu keiner weiteren Vorführung. Bis heute nicht. Ein Misserfolg? Rezensionen der Aufführung sind jedenfalls nicht erhalten. Antisemitismus mag vielleicht eine Rolle gespielt haben.
Der Fall wirft Fragen auf!
Der Basler Fachausschuss Literatur will den neuen Roman des Schriftstellers Alain Claude Sulzer vorerst nicht fördern, weil darin das Wort „Zigeuner“ vorkommt. Sulzer spricht in der „NZZ am Sonntag von Zensur und hat sein Fördergesuch zurückgezogen.
Der Fall wirft Fragen auf?
Mal zum Beispiel diese: Wohin mit diesem Machwerk:
Brahms: Zigeunerlieder Op. 103 (1888)
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2. Februar 2006 – Eine neue Rushdie-Affäre? Ganz Europa streitet über die dänischen Mohammed-Karikaturen: französische Zeitungen, dänische Zeitungen, spanische, belgische, lettische, ungarische, englische, schwedische, deutsche, portugiesische, slowenische, schweizer, tschechische, österreichische, italienische, polnische …
Eine europäische Presseschau:
Darf man Mohammed karikieren? Die Antwort auf diese Frage, sollte man meinen, lautet ja. Aber die Diskussion in Europa zeigt, dass dies keineswegs überall so gesehen wird.
Ob Kaiser Nero, der Rom in Brand gesteckt haben soll, oder die bizarren Lebensumstände des bayerischen Königs Ludwig II.: Skandale und Gerüchte rund um die herrschenden Klassen waren schon immer von großem Interesse für Volk und Bevölkerung.
Die Eskapaden des Adels sind nicht nur besonders schillernd, sie haben auch eine enorme Tragweite, denn ein psychisch instabiler Herrscher kann großen Schaden anrichten.
Das Gemälde Juana la Loca velando el cadáver de Felipe el Hermoso des spanischen Malers Francisco Pradillas aus dem Jahr 1877 zeigt Johanna I. von Kastilien, die den Beinamen die Wahnsinnige trug, am Sarg ihres verstorbenen Mannes.
Ob Kaiser Nero, der Rom in Brand gesteckt haben soll, oder die bizarren Lebensumstände des bayerischen Königs Ludwig II.: Skandale und Gerüchte rund um die herrschenden Klassen waren schon immer von großem Interesse für Volk und Bevölkerung. Die Eskapaden des Adels sind nicht nur besonders schillernd, sie haben auch eine enorme Tragweite, denn ein psychisch instabiler Herrscher kann großen Schaden anrichten.
Aufgrund von historischen Überlieferungen heute zu diagnostizieren, was für das teilweise wahnsinnige Verhalten mancher Monarchen und Monarchinnen verantwortlich war, ist kaum möglich. Doch es gibt Versuche, mit dem heutigen Wissen über psychische Störungen und Krankheiten medizinisch fundierte Erklärungen zu finden.
George III. auf einem Gemälde von Johann Zoffany aus dem Jahr 1771.
Foto von Johann Zoffany, 1733-1810 / Wikimedia Commons
George III. von England: Poryphyrie und Demenz
Der im Jahr 1738 geborene George III. bestieg im Jahr 1760 den Thron von Großbritannien und Irland. In der zweiten Hälfte seiner Regentschaft erlitt der König fünf Episoden geistiger Umnachtung, während denen er stunden- und teilweise tagelang mit Schaum vor dem Mund ununterbrochen redete, bis er heiser wurde. Der König sei „verfolgt von Trugbildern“ und spreche „mit Toten und abwesenden Personen“, notierten die Hofärzte und diagnostizierten „Fieber im Gehirn“ und „Delirium“.
Um ihm „böse Körpersäfte“ zu entziehen, wurde der Herrscher mit ätzenden Wickeln behandelt. Stellte sich keine Besserung ein, legte man ihm eine Zwangsjacke an. Ab dem Jahr 1811 war der Geisteszustand des Monarchen so untragbar, dass sein Sohn, George IV., die Amtsgeschäfte übernehmen musste. Trotzdem blieb George III. König, bis er im Jahr 1820 blind, fast taub und an Demenz erkrankt starb – ohne, dass der wahre Grund für seinen Wahnsinn gefunden wurde.
Im Jahr 1966 lieferte eine Studie englischer Ärzte eine mögliche Erklärung. Ihr zufolge litt Georg III. an Porphyrie, einer erblichen Stoffwechselkrankheit. Neben verschiedenen körperlichen Symptomen löst sie Halluzinationen und Psychosen aus, wie sie auch George III. gehabt haben soll. Im Jahr 2005 stellte ein Forschungsteam der University of Kent in Haarproben des früheren britischen Königs zudem einen auffällig hohen Arsengehalt fest. Sie vermuten, dass das Gift über verunreinigte Medizin in seinen Körper gelangt war und die Porphyrie-Anfälle verschlimmert hat.
Dass Poryphyrie tatsächlich die Ursache für George III. geistige Umnachtung war, wird inzwischen jedoch angezweifelt. Neuere Untersuchungen und Sprachanalysen von Texten, die er während seiner Episoden verfasste, lassen eine bipolare Störung vermuten.
Die Krönung des elfjährigen Karl VI. im Jahr 1380, dargestellt in einer Buchmalerei des französischen Tafelmalers Jean Fouquet.
Foto von Jean Fouquet, 1420 – ca. 1481 / Wikimedia Commons
Karl VI. von Frankreich: Schizophrenie und Glaswahn
Als der französische König Karl V. im Jahr 1380 starb, folgte ihm sein Sohn Karl VI. im Alter von nur elf Jahren auf den Thron. Ab dem Jahr 1388 regierte er unabhängig, engagiert und, dank erfahrener Berater, erfolgreich. Er war ein Reformator, der sich gegen Korruption und für eine bessere Bürokratie einsetzte.
Doch im Jahr 1392, im Alter von 24 Jahren, befiel ihn eine mysteriöse Krankheit – möglicherweise Enzephalitis oder Typhus –, die seine Haare und Nägel ausfallen ließ. Danach begannen psychotische Episoden, die ihn bis zu seinem Tod im Jahr 1422 heimsuchten. Nach einem Unglück während des Bal des Ardents, bei dem im Jahr 1393 vier seiner engsten Freunde ums Leben kamen, verfiel er endgültig dem Wahnsinn und war nur noch selten bei klarem Verstand. Die Amtsgeschäfte mussten andere führen.
Während seiner Episoden, die teilweise Monate anhielten, änderte sich das Wesen des Königs komplett. Eigentlich ein freundlicher, sanfter Mann, war er plötzlich aggressiv, maßlos und paranoid. Aus Karl dem Vielgeliebten wurde Karl der Wahnsinnige. Zudem litt er unter Glaswahn – einem Phänomen, das in der spätmittelalterlichen Oberschicht Europas stark verbreitet war. Er dachte, sein Körper würde zerbrechen, wenn er fiel oder jemand ihn berührte. Um das zu verhindern, saß er stundenlang bewegungslos da, ließ sich in schützende Decken wickeln und seine Kleidung mit Eisenstangen verstärken.
Anhand mittelalterlicher Überlieferungen das Leiden von Karl VI. zu diagnostizieren ist schwer. Möglicherweise war sein Wahnsinn eine Folge der Erkrankung im Jahr 1392, denn eine Enzephalitis kann zu schwerwiegenden Charakterveränderungen führen. Sein Verhalten, seine Symptome und das Alter, in dem die Episoden erstmals auftraten, lassen außerdem vermuten, dass der König an Schizophrenie litt.
Johanna I. von Kastilien als junge Frau auf einem Gemälde des niederländischen Malers Juan de Flandes.
Foto von Juan de Flandes, 1465-1519 / Wikimedia Commons
Johanna I. von Kastilien: Depression und Liebeswahn
Johanna I. von Kastilien wurde im Jahr 1479 als Tochter des Königs Ferdinand II. und Isabella I., Königin von Kastilien, geboren. Im Alter von 17 Jahren traf sie zum ersten Mal auf ihren zukünftigen Ehemann Philipp, den einzigen Sohn des römisch-deutschen Kaisers Maximilian I. aus dem Hause Habsburg. Es war Liebe auf den ersten Blick – auf beiden Seiten. Die Zuneigung war der Überlieferung nach so stark, dass Philipp noch vor Ort die Trauung vollziehen ließ.
Nachdem in den Jahren zuvor ihre Geschwister gestorben und Johanna dadurch in der Thronfolge unerwartet aufgestiegen war, wurde sie nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1504 zur Königin von Kastilien. Doch sowohl ihr Vater als auch ihr Ehemann setzten alles daran, sie aus den Amtsgeschäften zu verdrängen und selbst die Macht zu übernehmen.
Ihnen spielte in die Hände, dass sich bei Johanna ab dem 22. Lebensjahr psychische Probleme zeigten. Oft starrte sie tagelang unbewegt vor sich hin und sprach mit niemandem und litt unter Waschzwang. Ihre Liebe zu ihrem Mann nahm krankhafte Züge an: Während sie Philipp seit dem ersten Tag leidenschaftlich verfallen war, kühlten seine Gefühle für sie bald ab. Er war ihr regelmäßig untreu, was dazu führte, dass Johanna ihrer Eifersucht in aller Öffentlichkeit Luft machte, ihren Rivalinnen gegenüber handgreiflich wurde und versuchte, jeglichen Kontakt Philipps zu anderen Frauen zu unterbinden – ein Verhalten, das für eine Königin nicht angebracht war.
All dies nutzen Ferdinand und Philipp, um die Autorität Johannas nach und nach auszuhöhlen. Johannas Vater sprach ihr die Eignung als Herrscherin ab, ihr Ehemann ließ sich zu ihrem Vormund erklären – doch diesen Triumph konnte er nicht lange genießen: Im Jahr 1506 starb er an einer Lungenentzündung. Johanna erlitt einen schweren Zusammenbruch.
Sie ließ den Leichnam ihres geliebten Mannes in eine Kutsche laden und fuhr ein Jahr lang mit dem Sarg durch Spanien. Gerüchten zufolge soll sie diesen auf der Reise mehrmals geöffnet haben, um Philipp anzusehen. Im Jahr 1507 fand Ferdinand II. seine völlig verwahrloste Tochter wieder. Sie übertrug ihm die Regentschaft, er ließ sie in das Kloster der Festung Tordesillas einsperren. Hier verschlechterte sich ihre psychische Verfassung weiter. Sie verweigerte jegliche Körperhygiene, war entweder apathisch oder aggressiv und selten bei klarem Verstand. Im Jahr 1555 starb sie nach einem Unfall im Alter von 75 Jahren.
Es ist schwer zu sagen, welche Berichte über Johannas Wahnsinn den Tatsachen entsprechen und welche lediglich in die Welt gesetzt wurden, um sie für regierungsunfähig erklären zu können. Vermutlich litt Johanna an einer schweren Depression, möglicherweise auch an einer Psychose und an vererbter Schizophrenie.
İbrahim I. auf einem Gemälde unbekannten Ursprungs.
Foto von Wikimedia Commons
Sultan İbrahim I. – Narzisst mit Kindheitstrauma
İbrahim der Verrückte hatte keinen einfachen Start ins Leben. Der achte Sohn von Ahmed I., Sultan des Osmanischen Reichs, und dessen Hauptgemahlin Kösem Mahpeyker wurde im Jahr 1616 geboren. Die ersten Jahre seines Lebens verbrachte er im Kafes – dem Prinzenkäfig. In dem abgetrennten Bereich des Harems wurden männliche Nachkommen des Sultans nach dessen Ableben eingesperrt, um Streitigkeiten um den Thron zu vermeiden. Die Praxis war eine Alternative zum vorher gängigen Brudermord, den Ahmed I. abgeschafft hatte – doch sie ging nicht spurlos an İbrahim vorbei.
Er erlebte mit, wie sein Bruder und Vorgänger, Mustafa I., drei seiner Brüder hinrichten ließ. Weil İbrahim offenbar geistesgestört und keine Bedrohung war, wurde er verschont. Als Mustafa I. im Jahr 1640 starb, wurde er Sultan. Isolation und Paranoia hatten seiner Psyche jedoch merklich zugesetzt und er war erst bereit, seinen Käfig zu verlassen, nachdem ihm Mustafas Leiche gezeigt wurde und er sich sicher sein konnte, dass man ihm keine Falle stellte. Seine Paranoia verfolgte ihn bis ans Ende seines Lebens.
İbrahims achtjährige Regentschaft war geprägt von seinem Hedonismus. Die Amtsgeschäfte führte seine Mutter, er selbst gab sich seinem luxuriösen Lebenswandel und seinem stetig wachsenden Harem hin – finanziert durch immer höhere Steuern, die er seinem Volk auferlegte.
Der Sultan hatte eine besondere Vorliebe für füllige Frauen und soll seine Berater beauftragt haben, „die fetteste Frau seines Reichs“ zu finden. Ihre Suche endete in Armenien. Der Sultan gab seiner neuen Geliebten, die 150 Kilogramm wog, den Spitznamen Şivekar. Als sie İbrahim eines Tages erzählte, eine seiner Haremsdamen hätte eine Affäre mit einem anderen Mann, soll er alle 280 Mitglieder des Harems im Bosporus ertränkt haben.
Wie viel Wahrheit in dieser Geschichte steckt, ist nicht sicher. Doch sie passt zu dem überlieferten Verhalten des narzisstischen Sultans. Sein erratisches, selbstsüchtiges Verhalten führte sein Reich in Kriege und finanziell an den Rand des Ruins. Es besiegelte auch den Untergang des Hauses Osman – einer Dynastie, die rund 300 Jahre die Macht im Osmanischen Reich innehatte. Im Jahr 1648 endete die Herrschaft İbrahims I. wie sie begonnen hatte: Die Janitscharen – seine Leibgarde – putschten und sperrten den Sultan wieder in den Kafes. Kurz darauf wurde er gehängt.
Die Autoren der Perry-Rhodan-Hefte der 1960er haben KI mit all ihren Vor- und Nachteilen durchgespielt – und lagen oft richtig – Wobei Positronik eine zentrale Rolle bei ihm spiel – Seit September 1961 erscheinen wöchentlich Perry-Rhodan-Heftromane. Der Pabel-Moewig Verlag rechnete gar nicht mit einem großen Erfolg, mittlerweile blickt die Reihe aber auf über 3.200 Hefte zurück. 3.200 Hefte, in denen wahrhaft Visionäres zu lesen war. Wir haben uns die ersten Zyklen zu Gemüte geführt, Die dritte Macht und Atlan und Arkon, wie sie in den ersten 12 Silberbänden zusammengefasst sind, genau angesehen und uns gefragt: Inwiefern haben die Autoren der 60er Jahre positive und kritische Entwicklungen zu KI und Robotern vorhergesagt?
Seit die grüne Familienministerin Lisa Paus im Januar 2023 ihre Eckpunkte für ein Gesetz zur Kindergrundsicherung vorgelegt hat, herrscht über das sozialpolitische Prestigeprojekt der Ampelkoalition erbitterter Streit innerhalb des Bundeskabinetts. Finanzminister Christian Lindner übte heftige Kritik an seiner Kabinettskollegin, weil sie jährliche Mehrausgaben von zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung veranschlagte. Ein solches Projekt sei „derzeit nicht realisierbar“, behauptete der FDP-Vorsitzende. Für Familien habe man bereits viel getan. Beispielsweise sei das Kindergeld auf 250 Euro erhöht worden, und statt jährlich sieben Milliarden Euro stelle man für Familien und Kinder erheblich mehr zur Verfügung.
In den Zeitungen tässt sich täglich lesen, wie es um die intellektuelle Öffentlichkeit in Form ihres Feuilletons bestellt ist
Prägnanter kann der Befund ausfallen, tritt man einen Schritt von der alltäglichen Praxis zurück. Dazu bietet das aktuell aufliegende Kursbuch 153 von Rowohlt Gelegenheit, das als Vierteljahreszeitschrift eine längere Halbwertszeit hat. Diese Nummer des Kursbuchs eignet sich aus zwei Gründen gut. Sie beschäftigt sich mit einem Kerngebiet des Feuilletons, der Literatur als „Betrieb und Passion“, so der Untertitel. Und sie stellt Texte von Journalisten des Feuilletons denen von Schriftstellern und Hochschullehrern, Verlagsangestellten und dem Herausgeber-Paar gegenüber (auch wenn solche Grenzen fließend sind). Literatur als „Betrieb und Passion“ weckt zwar Neugier, lässt aber im nächsten Moment stutzen.
Merz bekräftigte erneut, dass die Union nicht mit der AfD kooperieren werde. Er beschränkte dies aber auf „gesetzgebende Körperschaften“ und „Regierungsbildungen“.
Kommunalpolitik sei etwas anderes als Landes- und Bundespolitik, sagte der CDU-Chef. Man müsse insbesondere auf Kommunalebene die demokratische Wahl von AfD-Amtsträgern akzeptieren. Wenn ein Bürgermeister von der AfD gewählt worden sei, müsse in den Kommunalparlamenten „nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet“.
Eine Aufweichung der auch von ihm selbst immer wieder formulierten „Brandmauer“ zwischen AfD und CDU sehe er darin nicht, sagte Merz. Er verwies auf die kürzlich erfolgten Wahlen eines AfD-Landrats in Thüringen und eines AfD-Bürgermeisters in Sachsen-Anhalt. Es habe sich dabei um demokratische Wahlen gehandelt – „und wir sind selbstverständlich verpflichtet, das Ergebnis demokratischer Wahlen zu akzeptieren“, sagte der CDU-Vorsitzende.
Merz sieht CDU als „Alternative gegen die Bundesregierung“
Angesichts der anhaltend hohen Umfragewerte für die AfD räumte Merz Schwächen in seiner eigenen Partei ein. „Wir müssen Vertrauen gewinnen, auch zurückgewinnen“, sagte er. Vertrauen verliere man schnell und gewinne es nur langsam wieder zurück. Seit seiner Wahl zum Parteichef sei die CDU ganz gut unterwegs, müsse aber noch zulegen.
Auf die Frage, was die AfD den Menschen biete und die CDU nicht, antwortete Merz: „Wir messen uns nicht an der AfD, sondern wir sind größte Oppositionsfraktion im Deutschen Bundestag. Damit sind wir die Alternative gegen diese Bundesregierung.“ Nun müsse die CDU Konzepte liefern.
Merz griff damit einen Begriff auf, den er bereits bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Kloster Andechs verwendet hatte. Damals nannte er die Union die „Alternative für Deutschland mit Substanz“. Als Opposition sei man immer die Alternative zur Bundesregierung, sagte er im ZDF. So sei Demokratie.
Marode Infrastruktur: Deutschland lebt von der Substanz
Die Industrienation blamiert sich mit einer unpünktlichen Bahn, kaputten Brücken und fehlenden Stromleitungen. Zumindest beim Strassennetz scheint aber eine Trendwende in Sicht.
Erste Szene: Lüdenscheid. Am 7. Mai 2023 um Punkt 12 Uhr zündet ein Sprengmeister die Sprengladungen. So planmässig die Talbrücke Rahmede in das vorbereitete Fallbett stürzt, so gross ist die Blamage für das Industrieland Deutschland. Im Dezember 2021 musste die Brücke wegen schwerer Schäden ungeplant gesperrt werden, seither quält sich der Verkehr durch die nahe Kreisstadt Lüdenscheid. Dabei geht es um eine wirtschaftliche Lebensader: Die Brücke ist Teil der A 45, einer Autobahn, die als Sauerlandlinie das Ruhrgebiet mit Süddeutschland verbindet.
Im Juli hat die Autobahn GmbH des Bundes den Auftrag für den Ersatzneubau an eine Bietergemeinschaft vergeben. Der erste Teil der Brücke soll Mitte 2026 für den Verkehr freigegeben werden. Für Anwohner und Automobilisten ist das eine enorme Geduldsprobe, gemessen an deutschen Verhältnissen ist es ein hohes Tempo: Normalerweise dauert die Sanierung beziehungsweise der Ausbau einer Brücke nach den bisherigen Vorschriften einschliesslich Planung und Genehmigung 5 bis 18 Jahre.
«Wurzelbehandlungen» fällig
Die 453 Meter lange Rahmedetalbrücke ist zum Symbol geworden für marode Infrastrukturen in Deutschland, die in Unternehmensbefragungen zunehmend als Standortnachteil genannt werden. Laut einer Statistik der Bundesanstalt für Strassenwesen (BASt), einer Forschungseinrichtung des Verkehrsministeriums, waren im März 2023 fast ein Zwanzigstel der gut 40 000 Brücken der Bundesfernstrassen (Autobahnen und Bundesstrassen) in einem schlechten Zustand: Bei 4,1 Prozent war der Zustand «nicht ausreichend», bei weiteren 0,5 Prozent sogar «ungenügend».
Auch im übrigen Autobahnnetz mehren sich die Bauarbeiten. Zahlreichere Baustellen, die länger bearbeitet würden, seien die Hauptursache für die Zunahme von Staus, erklärt der BASt-Abteilungsleiter Ulf Zander im Gespräch. Bis etwa 2008 seien die vom ADAC erhobenen Staulängen ungefähr konstant gewesen, danach hätten sie sich bis 2018 (bis vor der Pandemie) mehr als verdreifacht, obwohl der Verkehr im selben Zeitraum nur um elf Prozent zugenommen habe.
Zander erklärt dies zum einen mit vielen Baumassnahmen an Brücken, die lange dauern. Zum andern habe man jahrzehntelang von der Substanz gelebt und immer nur die oberste Schicht der Strassen rasch repariert. Jetzt würden gründliche Erneuerungen nötig: «Beim Zahnarzt würde man von einer Wurzelbehandlung sprechen.» Er ist indessen unter Verweis auf planerische und technische Ansätze zur Senkung der Anzahl und Dauer der Baustellen zuversichtlich, dass eine Trendwende in Sicht is
«Die späten 1960er und frühen 1970er Jahre waren die grosse Zeit des Autobahnbaus in Deutschland. Damals wurden Hunderte von Kilometern Autobahn pro Jahr und viele Brücken gebaut», erklärt Thomas Puls, Verkehrsexperte des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Diese Brücken seien nun etwa fünfzig Jahre alt, und selbst bei guter Pflege wäre eine Generalsanierung fällig. Die gute Pflege habe es aber nicht gegeben. Zudem sei die Verkehrsbelastung viel höher als beim Bau erwartet.
Die Hauptrouten des Schwerverkehrs auf deutschen Autobahnen beginnen an den Grenzen zu Polen und Österreich und laufen im Ruhrgebiet zusammen, wo viele Lastwagen den Binnenhafen Duisburg ansteuern. Dort landet viel Fracht aus Rotterdam per Binnenschiff an. Auf denselben Strecken ist auch die Schiene überlastet.
Zweite Szene: Riedbahn. Geht alles nach Plan, beginnt im Juli 2024 die Generalsanierung der sogenannten Riedbahn, einer rund 70 Kilometer langen, zweigleisigen Bahnstrecke zwischen Frankfurt (Main) Stadion und Mannheim Hauptbahnhof. Jeden Tag befahren sie etwa 300 Züge des Fern-, Nah- und Güterverkehrs. Für die Schiene hat sie ähnliche Symbolkraft wie die Rahmedetalbrücke für die Strasse. Hier entstehende Verspätungen wirken sich auf das ganze Netz aus.
Konzept Generalsanierung
Deshalb wurde die Riedbahn ausgewählt als Pilotprojekt für den neuen Sanierungsansatz der Deutschen Bahn (DB): Statt immer wieder kleinteilige Bauarbeiten durchzuführen, die zu Verkehrsbehinderungen führen, soll ein Kernnetz von rund 4200 Kilometer Länge bis 2030 schrittweise generalsaniert werden. Von Gleisen und Weichen über Oberleitungen, Signaltechnik und Brücken bis zu Bahnhöfen wird einmal alles komplett überholt – «Wurzelbehandlung» also auch hier. Danach würden grössere Bauarbeiten über mehrere Jahre hinweg nicht mehr erforderlich sein, verspricht die Bahn.
Allerdings muss die Riedbahn hierfür während fünf Monaten komplett gesperrt werden. Noch laufen die Planungen für einen Schienenersatzverkehr, noch werden Umleitungsstrecken «ertüchtigt». Und weil danach viele weitere Kernstrecken an die Reihe kommen, wird es noch jahrelange grosse Friktionen geben.
Gleichwohl sehen Experten wie Alexander Eisenkopf, Professor für Wirtschafts- und Verkehrspolitik an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen, kaum eine Alternative zu diesem Vorgehen. Auf der Schiene sei in den letzten zwanzig Jahren auf Verschleiss gefahren worden, hebt Eisenkopf hervor.
Über kaum eine Infrastruktur klagen Deutsche denn auch mehr als über die Bahn: Verspätungen, Zugsausfälle, überfüllte Waggons, defekte Klimaanlagen oder gesperrte Toiletten sind an der Tagesordnung. Im ersten Halbjahr 2023 waren nur 69 Prozent aller Fernverkehrszüge pünktlich, ähnlich schlecht steht es im Güterverkehr. Rund 80 Prozent der Unpünktlichkeit seien auf die Infrastruktur zurückzuführen, sagte der DB-Chef Richard Lutz an der Halbjahres-Pressekonferenz Ende Juli. Sie sei zu alt, zu störanfällig und für den wachsenden Verkehr nicht ausreichend dimensioniert.
Dritte Szene: Leingarten. Am 27. Juli 2023 gibt Wirtschaftsminister Robert Habeck am Umspannwerk Leingarten bei Heilbronn zusammen mit dem Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW den Startschuss für den Bau des ersten Konverters für die Stromleitung Suedlink. Der Konverter wandelt Gleichstrom in Wechselstrom um und bildet das südliche Ende einer 700 Kilometer langen Gleichstromleitung zwischen Brunsbüttel im norddeutschen Bundesland Schleswig-Holstein und Grossgartach in Baden-Württemberg. Sie gilt als Schlüsselprojekt der Energiewende, weil sie (Wind-)Strom aus dem windreichen Norden in den industriellen Süden des Landes transportieren wird. Eigentlich hätte sie 2022 fertig sein sollen, nun soll sie 2028 in Betrieb gehen.
Stromautobahnen benötigt
Dabei werden solche «Stromautobahnen» dringend benötigt: «Wenn die Windparks im Norden Deutschlands sehr viel Windenergie erzeugen und zugleich der Stromverbrauch sehr hoch ist, was typischerweise in den Wintermonaten geschehen kann, kann es zu Netzengpässen kommen. Um das Netz stabil zu halten, werden dann Massnahmen für das Engpass-Management ergriffen: Man fährt in Süddeutschland konventionelle, fossile Kraftwerke hoch und regelt in Norddeutschland Anlagen ab. Abgeregelt werden vornehmlich konventionelle Anlagen. Wenn das nicht reicht oder es deutlich effizienter ist, müssen auch Erzeuger erneuerbarer Energien abgeregelt werden», erklärt Markus Doll, Unterabteilungsleiter Energie bei der Bundesnetzagentur.
Dieses Engpass-Management verursacht Kosten unter anderem für den Betrieb der hochgefahrenen Kraftwerke im Süden und die Entschädigung der abgeregelten Erzeuger im Norden, die sich laut Doll 2022 auf rund 4 Milliarden Euro summiert haben. Mengenmässig machen diese Abregelungen zwar nicht viel aus: Nur rund 3 Prozent der erzeugten erneuerbaren Energien sind davon betroffen, 97 Prozent können ins Netz eingespeist werden.
Um aber weiterhin nur 3 Prozent oder weniger der Erneuerbaren abregeln zu müssen, müssen die Stromnetze laut Doll stark ausbaut werden. Denn zum einen will die Ampelregierung den Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung von 46 Prozent im letzten Jahr auf mindestens 80 Prozent im Jahr 2030 erhöhen, zum andern wird für E-Mobilität und Wärmepumpen immer mehr Energie in Form von Strom benötigt. Deshalb werden derzeit laut Wirtschaftsministerium rund 14 000 Trassenkilometer neu gebaut, die zu einem Bestand von 37 000 Kilometern hinzukommen.
Wo es klemmt
Bei allen Unterschieden zwischen Strasse, Schiene und Strom: Als Ursachen für Rückstände und damit Ansatzpunkte für Remedur stehen überall dieselben vier Bereiche im Vordergrund. Als erste Hürde nennen fast alle Gesprächspartner langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren mit vielen Einsprachemöglichkeiten. Puls spricht von einem «riesigen Bürokratieproblem». Die Ampelregierung hat deshalb eine Reihe von Beschleunigungsmassnahmen und rechtlichen Erleichterungen auf den Weg gebracht, die aber zum Teil noch nicht in Kraft sind.
Ein Beispiel: Wird eine Brücke im Zuge der Sanierung auch erweitert, sollen künftig die Genehmigungspflicht und die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung entfallen, was den Planungs- und Genehmigungszeitraum halbieren soll.
Noch ist es zu früh für ein Urteil darüber, ob diese Massnahmen ausreichen. Zugleich sind sie wegen der verbreiteten «Nicht in meinem Vorgarten»-Mentalität eine Gratwanderung: Alle wollen pünktliche Bahnen, flüssigen Verkehr und Strom aus der Steckdose, aber niemand will Eisenbahnlinien, Autobahnen oder Strommasten vor seiner Haustüre. Deshalb brauche es «eine angemessene Mitnahme der Bevölkerung», sagt Doll.
Ingenieure – ein knappes Gut
Einen zweiten Engpass bildet ein Mangel an Fachkräften, ob bei den Behörden oder in der Bauwirtschaft. «Wir werben uns permanent gegenseitig die Leute ab», gibt der BASt-Vertreter Zander zu bedenken. Zugleich würden immer weniger junge Leute Bauingenieurswesen studieren. Mehr Digitalisierung könnte sowohl Verfahren beschleunigen als auch knappe Fachkräfte entlasten, sagen mehrere Gesprächspartner.
Unterschiedlich sind, als dritter Punkt, die Einschätzungen bezüglich der Finanzierung. Bei Stromleitungen und Strassen gelten sie nicht (mehr) als Problem. Früher habe man nicht so viel in den Strassenbau investiert, was vor allem im nachgeordneten Netz zum Rückstau im Erhaltungsbau geführt habe, sagt Zander. Inzwischen habe man aber mehr Geld. Seit etwa 2015 sind die Bundesmittel für den Verkehrsbereich laut Daten des Finanzministeriums gestiegen, allerdings legten in letzter Zeit auch die Baukosten stark zu. Nun plant die «Ampel» für die nächsten Jahre eine weitere Aufstockung, vor allem zugunsten der Schiene.
Dort ist indessen auch der Nachholbedarf gross. 2022 lag Deutschland laut Berechnungen der Allianz pro Schiene bei den staatlichen Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur mit 114 Euro pro Einwohner europaweit im hinteren Feld. Die Schweiz gab mit 450 Euro pro Kopf rund das Vierfache aus. Das passt schlecht zum Ziel der Ampelkoalition, den Anteil der Schiene am Güterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent zu erhöhen (2021: 19 Prozent) und die Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln. Zwar hat die «Ampel» im März versprochen, zum Abbau des Investitionsstaus bis 2027 bis zu 45 Milliarden Euro zusätzlich in die Schiene zu investieren. Doch die Finanzierung dieser Summe ist erst teilweise gesichert.
Zerschlagung der Bahn?
Ein vierter Ansatzpunkt sind strukturelle Veränderungen. Für die Strasse erhofft man sich einiges von der bundeseigenen Autobahn GmbH, die seit 2021 für Planung, Bau, Betrieb, Instandhaltung und Finanzierung der Autobahnen zuständig ist und damit die zuvor zwischen Bund und Bundesländern aufgeteilten Zuständigkeiten zusammenführt. Bei der Deutschen Bahn werden per 1. Januar 2024 die Infrastrukturtöchter DB Netz und DB Station & Service in einer gemeinwohlorientierten Infrastrukturgesellschaft zusammengelegt, was zu einer konsequenteren Trennung von Infrastruktur und Betrieb führen soll.
Für den Ökonomen Eisenkopf ist das «zu kurz gesprungen». Weil die Bahn ihre Infrastruktur nie über Nutzungsgebühren werde finanzieren können, sondern auf Subventionen angewiesen bleibe, müsse die Politik auch Zugriff auf diese Infrastruktur haben. Eisenkopf plädiert deshalb ähnlich wie die Monopolkommission dafür, die Infrastruktur ganz aus dem DB-Konzern herauszulösen.
Diese Art von «Wurzelbehandlung» allerdings ist politisch seit Jahren höchst umstritten.
Dass ein Virus große Teile der Welt in den Lockdown treibt?
Nie im Leben!
Dass ein Flüsschen wie die Ahr ein ganzes Tal verwüstet?
So viel kann es doch gar nicht geregnet haben!
Dass Wladimir Putin die Ukraine überfällt?
So irre wird er ja wohl nicht sein!
Dass der Mensch – ohne Flieger – fliegen kann? Schaun wir mal …